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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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mehr als alle, selbst den alten "Zuhörer Schelling's, Steffens, nicht
ausgenommen.

Steffens hält sich still, verschlossen, im höchsten Grad neutral.
Es sieht ihm gar nicht unähnlich, das; er geäußert haben soll, Schel¬
lina, habe in seinen Vorlesungen über die Offenbarungsphilosophie
viel Gutes und Schönes gesagt, aber kein einziger unter seinen Zu¬
hörern könne sich rühmen, es verstanden zu haben. Wer zudem noch
Steffens' wohlgefällige Selbsterhebung kennt, womit er in seiner Auto¬
biographie seine Verdienste bei Aufstellung der Naturphilosophie her¬
vorhebt, der wird seine Zurückhaltung leicht aus eben derselben Quelle
ableiten, wie Schelling's Schmeicheleien: Beide fürchten einander, nicht
wie offene Gegner, sondern wie zwei GewisscnSbedrückte, die gegen¬
seitig Verrath' ahnen. Was Steffens' Eigenthümlichkeit betrifft, so
sind seine Vorträge über Anthropologie und Psychologie das Geist¬
reichste, was je in diesem Zweise gedacht und gesprochen worden.
Eine strenge Entwickelung wird freilich vermißt, aber das ist man
schon aus seinen Romanen gewohnt. Genial, unsystematisch sind alle
Producte dieses überreichen Geistes.

Neben Schelling und Steffens hat als dritten berühmten Pro¬
fessor der Berliner Universität Gustav Kühne seinen Freund Theodor
Mundt genannt. Mundt wird aber nie den Einfluß gewinnen, der
die Behauptung einer solchen Stellung motiviren könnte. Dazu
geht ihm der tiefere Charakter und vor Allem eine entschieden aus¬
gesprochene Gesinnung ab, was ihm in der öffentlichen Meinung nur
hinderlich sein kann. Diesen Mangel sucht er in seinen Vorträgen
vergebens durch ein Haschen nach Witzen und Anspielungen zu ver¬
bergen. Er hat keiner Partei Vertrauen gewinnen können und ver¬
harrt in dem unglücklichsten Dilemma, in welches ein Mann der
Oeffentlichkeit nur fallen kann.

Die in keinem Fache zu schwach besetzte philosophische Facultät
hat sich seit Kurzem um eine Celebrität, in der Person des Marbur¬
ger Professors Amadeus Hub er, vermehrt. Herr Huber hat vor
Jahren die "Skizzen aus Spanien" geschrieben, über deren Entstehung
jetzt mancherlei verlautet, was hoffentlich nur Böswilligkeit aufsprengt.
Später, nachdem er sich durch sogenannten Liberalismus bemerkbar
gemacht, schienen ihn die Verhältnisse des preußischen Staates zu in-
teressiren und er schleuderte zwei Pamphlete in die Welt, welche, wenn


mehr als alle, selbst den alten "Zuhörer Schelling's, Steffens, nicht
ausgenommen.

Steffens hält sich still, verschlossen, im höchsten Grad neutral.
Es sieht ihm gar nicht unähnlich, das; er geäußert haben soll, Schel¬
lina, habe in seinen Vorlesungen über die Offenbarungsphilosophie
viel Gutes und Schönes gesagt, aber kein einziger unter seinen Zu¬
hörern könne sich rühmen, es verstanden zu haben. Wer zudem noch
Steffens' wohlgefällige Selbsterhebung kennt, womit er in seiner Auto¬
biographie seine Verdienste bei Aufstellung der Naturphilosophie her¬
vorhebt, der wird seine Zurückhaltung leicht aus eben derselben Quelle
ableiten, wie Schelling's Schmeicheleien: Beide fürchten einander, nicht
wie offene Gegner, sondern wie zwei GewisscnSbedrückte, die gegen¬
seitig Verrath' ahnen. Was Steffens' Eigenthümlichkeit betrifft, so
sind seine Vorträge über Anthropologie und Psychologie das Geist¬
reichste, was je in diesem Zweise gedacht und gesprochen worden.
Eine strenge Entwickelung wird freilich vermißt, aber das ist man
schon aus seinen Romanen gewohnt. Genial, unsystematisch sind alle
Producte dieses überreichen Geistes.

Neben Schelling und Steffens hat als dritten berühmten Pro¬
fessor der Berliner Universität Gustav Kühne seinen Freund Theodor
Mundt genannt. Mundt wird aber nie den Einfluß gewinnen, der
die Behauptung einer solchen Stellung motiviren könnte. Dazu
geht ihm der tiefere Charakter und vor Allem eine entschieden aus¬
gesprochene Gesinnung ab, was ihm in der öffentlichen Meinung nur
hinderlich sein kann. Diesen Mangel sucht er in seinen Vorträgen
vergebens durch ein Haschen nach Witzen und Anspielungen zu ver¬
bergen. Er hat keiner Partei Vertrauen gewinnen können und ver¬
harrt in dem unglücklichsten Dilemma, in welches ein Mann der
Oeffentlichkeit nur fallen kann.

Die in keinem Fache zu schwach besetzte philosophische Facultät
hat sich seit Kurzem um eine Celebrität, in der Person des Marbur¬
ger Professors Amadeus Hub er, vermehrt. Herr Huber hat vor
Jahren die „Skizzen aus Spanien" geschrieben, über deren Entstehung
jetzt mancherlei verlautet, was hoffentlich nur Böswilligkeit aufsprengt.
Später, nachdem er sich durch sogenannten Liberalismus bemerkbar
gemacht, schienen ihn die Verhältnisse des preußischen Staates zu in-
teressiren und er schleuderte zwei Pamphlete in die Welt, welche, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/134>, abgerufen am 29.06.2024.