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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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menfügen zu harmonischem Ganzen, seine Schöpfungen sind Frag¬
mente, Ruinen. In diesem Winter gibt er wiederum eine Einleitung,
wenn auch nicht in die vielbesprochene Offenbarungsphilosophie, doch
in die Philosophie überhaupt. Wiederum eine Einleitung, eine In-
troductio, wie die Anzeige sich ausdrückt! Es war ein großes Au¬
ditorium, aber ganz gefüllt durch ausgelassene, fast frivole Neugier,
die seltsam gegen das weiße Haupt des kleinen Tageshcros abstach.
Jetzt hat der Zulauf lange nachgelassen, nur die Coteric füllt einiger¬
maßen die Räume. Schelling ist zu hart und leidenschaftlich gegen
Hegel und seine Philosophie ausgebrochen, als daß man es ihm ver¬
gessen könnte, und sein" letzten Thaten tragen gewiß Nichts dazu bei.
Die Schadenfreude ist auch nicht ausgeblieben. Wenn man eine
große Schule, nachdem ste ihres Hauptes beraubt und in sich selbst
uneinig ist, im Allgemeinen des gröbsten Irrthums und noch ganz an¬
derer Dinge beschuldigt, so kann man diesen Kampf nicht durch vor¬
nehmes Schweigen beendigen, es ist ein Kampf um Leben und Tod,
wo sich selbst der innere Zwist in starke Eintracht zerschmelzen muß.
Die Hegel'sche Schule mit ihren Abstufungen ist in Berlin wohl re-
präsentirt und ihr Sieg über die Schelling sehe Lehre bis jetzt und
für immer unzweifelhaft entschieden. Schweigen auf dem Felde der
Oeffentlichkeit ist immer ein böses Präjudiz, aber zu Schelling's Ehre
will ich die allgemeine Meinung theilen, daß nur sein Alter ihn kin¬
disch gemacht.

Diejenigen, welche die Einführung der Hegel'schen Philosophie
in die Religion mit dem günstigsten Erfolg bei dem denkenden
Theil der Theologen unternommen, sind hauptsächlich Marheineke
und Vatke, zwei Männer, welche durch ihr würdiges Auftreten und
die sichere Haltung ihrer Lehre Vertrauen gewinnen. An ihnen ist
daher auch zuerst Anlaß zu Polizcieinschreitungen genommen. Nicht
minder tüchtig wirkt Michelet, der trotz seiner Jugend bekanntlich
allein im Stande war, die Naturphilosophie Hegel'ö zu bearbeiten.
Er hat seinen Meister richtig und bestimmt aufgefaßt und mit Kühn--
heit und Glück sich an die schwierige Auslegung gewagt. Sein
Vortrag ist im höchsten Grad klar und faßlich, ich möchte ihn populär
nennen. Dabei ist eine gewisse, sast geniale Oberflächlichkeit und
Leichtigkeit nicht zu verkennen, obschon er, wie gesagt, seinen Lehrer
verstanden hat, und in dessen wie auch in den übrigen Philosophien


menfügen zu harmonischem Ganzen, seine Schöpfungen sind Frag¬
mente, Ruinen. In diesem Winter gibt er wiederum eine Einleitung,
wenn auch nicht in die vielbesprochene Offenbarungsphilosophie, doch
in die Philosophie überhaupt. Wiederum eine Einleitung, eine In-
troductio, wie die Anzeige sich ausdrückt! Es war ein großes Au¬
ditorium, aber ganz gefüllt durch ausgelassene, fast frivole Neugier,
die seltsam gegen das weiße Haupt des kleinen Tageshcros abstach.
Jetzt hat der Zulauf lange nachgelassen, nur die Coteric füllt einiger¬
maßen die Räume. Schelling ist zu hart und leidenschaftlich gegen
Hegel und seine Philosophie ausgebrochen, als daß man es ihm ver¬
gessen könnte, und sein» letzten Thaten tragen gewiß Nichts dazu bei.
Die Schadenfreude ist auch nicht ausgeblieben. Wenn man eine
große Schule, nachdem ste ihres Hauptes beraubt und in sich selbst
uneinig ist, im Allgemeinen des gröbsten Irrthums und noch ganz an¬
derer Dinge beschuldigt, so kann man diesen Kampf nicht durch vor¬
nehmes Schweigen beendigen, es ist ein Kampf um Leben und Tod,
wo sich selbst der innere Zwist in starke Eintracht zerschmelzen muß.
Die Hegel'sche Schule mit ihren Abstufungen ist in Berlin wohl re-
präsentirt und ihr Sieg über die Schelling sehe Lehre bis jetzt und
für immer unzweifelhaft entschieden. Schweigen auf dem Felde der
Oeffentlichkeit ist immer ein böses Präjudiz, aber zu Schelling's Ehre
will ich die allgemeine Meinung theilen, daß nur sein Alter ihn kin¬
disch gemacht.

Diejenigen, welche die Einführung der Hegel'schen Philosophie
in die Religion mit dem günstigsten Erfolg bei dem denkenden
Theil der Theologen unternommen, sind hauptsächlich Marheineke
und Vatke, zwei Männer, welche durch ihr würdiges Auftreten und
die sichere Haltung ihrer Lehre Vertrauen gewinnen. An ihnen ist
daher auch zuerst Anlaß zu Polizcieinschreitungen genommen. Nicht
minder tüchtig wirkt Michelet, der trotz seiner Jugend bekanntlich
allein im Stande war, die Naturphilosophie Hegel'ö zu bearbeiten.
Er hat seinen Meister richtig und bestimmt aufgefaßt und mit Kühn--
heit und Glück sich an die schwierige Auslegung gewagt. Sein
Vortrag ist im höchsten Grad klar und faßlich, ich möchte ihn populär
nennen. Dabei ist eine gewisse, sast geniale Oberflächlichkeit und
Leichtigkeit nicht zu verkennen, obschon er, wie gesagt, seinen Lehrer
verstanden hat, und in dessen wie auch in den übrigen Philosophien


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[0132] menfügen zu harmonischem Ganzen, seine Schöpfungen sind Frag¬ mente, Ruinen. In diesem Winter gibt er wiederum eine Einleitung, wenn auch nicht in die vielbesprochene Offenbarungsphilosophie, doch in die Philosophie überhaupt. Wiederum eine Einleitung, eine In- troductio, wie die Anzeige sich ausdrückt! Es war ein großes Au¬ ditorium, aber ganz gefüllt durch ausgelassene, fast frivole Neugier, die seltsam gegen das weiße Haupt des kleinen Tageshcros abstach. Jetzt hat der Zulauf lange nachgelassen, nur die Coteric füllt einiger¬ maßen die Räume. Schelling ist zu hart und leidenschaftlich gegen Hegel und seine Philosophie ausgebrochen, als daß man es ihm ver¬ gessen könnte, und sein» letzten Thaten tragen gewiß Nichts dazu bei. Die Schadenfreude ist auch nicht ausgeblieben. Wenn man eine große Schule, nachdem ste ihres Hauptes beraubt und in sich selbst uneinig ist, im Allgemeinen des gröbsten Irrthums und noch ganz an¬ derer Dinge beschuldigt, so kann man diesen Kampf nicht durch vor¬ nehmes Schweigen beendigen, es ist ein Kampf um Leben und Tod, wo sich selbst der innere Zwist in starke Eintracht zerschmelzen muß. Die Hegel'sche Schule mit ihren Abstufungen ist in Berlin wohl re- präsentirt und ihr Sieg über die Schelling sehe Lehre bis jetzt und für immer unzweifelhaft entschieden. Schweigen auf dem Felde der Oeffentlichkeit ist immer ein böses Präjudiz, aber zu Schelling's Ehre will ich die allgemeine Meinung theilen, daß nur sein Alter ihn kin¬ disch gemacht. Diejenigen, welche die Einführung der Hegel'schen Philosophie in die Religion mit dem günstigsten Erfolg bei dem denkenden Theil der Theologen unternommen, sind hauptsächlich Marheineke und Vatke, zwei Männer, welche durch ihr würdiges Auftreten und die sichere Haltung ihrer Lehre Vertrauen gewinnen. An ihnen ist daher auch zuerst Anlaß zu Polizcieinschreitungen genommen. Nicht minder tüchtig wirkt Michelet, der trotz seiner Jugend bekanntlich allein im Stande war, die Naturphilosophie Hegel'ö zu bearbeiten. Er hat seinen Meister richtig und bestimmt aufgefaßt und mit Kühn-- heit und Glück sich an die schwierige Auslegung gewagt. Sein Vortrag ist im höchsten Grad klar und faßlich, ich möchte ihn populär nennen. Dabei ist eine gewisse, sast geniale Oberflächlichkeit und Leichtigkeit nicht zu verkennen, obschon er, wie gesagt, seinen Lehrer verstanden hat, und in dessen wie auch in den übrigen Philosophien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/132>, abgerufen am 29.06.2024.