Jena, die Heidelberger und Bonner aristokratische Nachlässigkeit des feinen Aeufiern, das Farbenbunt der bairischen privilegtrten Lands¬ mannschaften -- es ist Alles verschwunden, Natur und Krähwin, kclei sprechen aus Wesen und Bewegung der Großstädter, der Mo¬ dernen. Berlin hat nicht, wie andere Universitäten, eine bestimmte Farbe, einen Charakter, es ist hier Alles zusammengefahren, daher auch Alles isolirt. Das gilt nicht blos von den Studirenden. In den Ansichten der Professoren finden Sie alle Stufen von chinesischem Knechtsinn und muhamedanischen Prädestinationsglauben bis zur frei¬ sten Entwickelung demokratischer Gleichheit und autokratischer Vernunft- religion. Diese Männer stehen einzeln neben einander, jeder hat sei¬ neu Boden für sich. Kühne vergleicht einmal die Berliner Universität mit einem botanischen Garten, ich glaube, daß sie eher eine hohe Staffage ist, auf welcher man die verschiedenen Pflanzen in Töpfen aufgestellt hat. Die eine erhält viel Mist, viel Pflege, die andere wurzelt in vertrockneter Erde und gedeiht doch, aber der gemeinsame Boden fehlt.
Unter den Ersten, was ehemaligen Ruhm und jetzige amtliche Stellung betrifft, steht ein Mann, dessen Name kürzlich wieder in grelles Gedächtniß zurückgerufen wurde: der geheime Oberregierungs¬ rath Fr. W. I. von Schelling. AIS Schelling vor zwei Jahren nach Berlin berufen ward und zum ersten Male den Lehrstuhl der Philosophie hier bestieg, äußerte er sich in den bekannten Worten, daß alle frühere Philosophie ein Unding sei und er die alleinselig¬ machende kund thun werde. Daß er dies nicht gethan, ist auch be¬ kannt. Es muß ein theurer, kostbarer Schatz sein, den der alte Mann so ängstlich verschließt. Aber er ist doch an'S Licht gezogen worden, Kapp und Paulus haben seine Bestandtheile zerlegt, daS Gepräge untersucht und was der geheime Obcrregicrungörath dazu gesagt, ist ebenfalls bekannt. Nie hat sich Jemand so den öffentlichen Angriffen blosgcgcben, und doch behaupte ich, daß Schelling so han¬ delt, weil er nicht anders handeln kann. In allen seinen Produktionen offenbart sich das Ringen des Stoffes mit dem Gedanken, mit der Form, ein Ringen nach Vollendung, die nie erreicht wurde. Des¬ halb ist es thöricht, von Schelling ein "System" zu verlangen: er kann es nicht geben, es würde weder ihn noch sonst Jemand befrie¬ digen. Was er bis jetzt hervorgearbeitet, eS will sich nicht zusam-
Jena, die Heidelberger und Bonner aristokratische Nachlässigkeit des feinen Aeufiern, das Farbenbunt der bairischen privilegtrten Lands¬ mannschaften — es ist Alles verschwunden, Natur und Krähwin, kclei sprechen aus Wesen und Bewegung der Großstädter, der Mo¬ dernen. Berlin hat nicht, wie andere Universitäten, eine bestimmte Farbe, einen Charakter, es ist hier Alles zusammengefahren, daher auch Alles isolirt. Das gilt nicht blos von den Studirenden. In den Ansichten der Professoren finden Sie alle Stufen von chinesischem Knechtsinn und muhamedanischen Prädestinationsglauben bis zur frei¬ sten Entwickelung demokratischer Gleichheit und autokratischer Vernunft- religion. Diese Männer stehen einzeln neben einander, jeder hat sei¬ neu Boden für sich. Kühne vergleicht einmal die Berliner Universität mit einem botanischen Garten, ich glaube, daß sie eher eine hohe Staffage ist, auf welcher man die verschiedenen Pflanzen in Töpfen aufgestellt hat. Die eine erhält viel Mist, viel Pflege, die andere wurzelt in vertrockneter Erde und gedeiht doch, aber der gemeinsame Boden fehlt.
Unter den Ersten, was ehemaligen Ruhm und jetzige amtliche Stellung betrifft, steht ein Mann, dessen Name kürzlich wieder in grelles Gedächtniß zurückgerufen wurde: der geheime Oberregierungs¬ rath Fr. W. I. von Schelling. AIS Schelling vor zwei Jahren nach Berlin berufen ward und zum ersten Male den Lehrstuhl der Philosophie hier bestieg, äußerte er sich in den bekannten Worten, daß alle frühere Philosophie ein Unding sei und er die alleinselig¬ machende kund thun werde. Daß er dies nicht gethan, ist auch be¬ kannt. Es muß ein theurer, kostbarer Schatz sein, den der alte Mann so ängstlich verschließt. Aber er ist doch an'S Licht gezogen worden, Kapp und Paulus haben seine Bestandtheile zerlegt, daS Gepräge untersucht und was der geheime Obcrregicrungörath dazu gesagt, ist ebenfalls bekannt. Nie hat sich Jemand so den öffentlichen Angriffen blosgcgcben, und doch behaupte ich, daß Schelling so han¬ delt, weil er nicht anders handeln kann. In allen seinen Produktionen offenbart sich das Ringen des Stoffes mit dem Gedanken, mit der Form, ein Ringen nach Vollendung, die nie erreicht wurde. Des¬ halb ist es thöricht, von Schelling ein „System" zu verlangen: er kann es nicht geben, es würde weder ihn noch sonst Jemand befrie¬ digen. Was er bis jetzt hervorgearbeitet, eS will sich nicht zusam-
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Jena, die Heidelberger und Bonner aristokratische Nachlässigkeit des
feinen Aeufiern, das Farbenbunt der bairischen privilegtrten Lands¬
mannschaften — es ist Alles verschwunden, Natur und Krähwin,
kclei sprechen aus Wesen und Bewegung der Großstädter, der Mo¬
dernen. Berlin hat nicht, wie andere Universitäten, eine bestimmte
Farbe, einen Charakter, es ist hier Alles zusammengefahren, daher
auch Alles isolirt. Das gilt nicht blos von den Studirenden. In
den Ansichten der Professoren finden Sie alle Stufen von chinesischem
Knechtsinn und muhamedanischen Prädestinationsglauben bis zur frei¬
sten Entwickelung demokratischer Gleichheit und autokratischer Vernunft-
religion. Diese Männer stehen einzeln neben einander, jeder hat sei¬
neu Boden für sich. Kühne vergleicht einmal die Berliner Universität
mit einem botanischen Garten, ich glaube, daß sie eher eine hohe
Staffage ist, auf welcher man die verschiedenen Pflanzen in Töpfen
aufgestellt hat. Die eine erhält viel Mist, viel Pflege, die andere
wurzelt in vertrockneter Erde und gedeiht doch, aber der gemeinsame
Boden fehlt.
Unter den Ersten, was ehemaligen Ruhm und jetzige amtliche
Stellung betrifft, steht ein Mann, dessen Name kürzlich wieder in
grelles Gedächtniß zurückgerufen wurde: der geheime Oberregierungs¬
rath Fr. W. I. von Schelling. AIS Schelling vor zwei Jahren
nach Berlin berufen ward und zum ersten Male den Lehrstuhl der
Philosophie hier bestieg, äußerte er sich in den bekannten Worten,
daß alle frühere Philosophie ein Unding sei und er die alleinselig¬
machende kund thun werde. Daß er dies nicht gethan, ist auch be¬
kannt. Es muß ein theurer, kostbarer Schatz sein, den der alte
Mann so ängstlich verschließt. Aber er ist doch an'S Licht gezogen
worden, Kapp und Paulus haben seine Bestandtheile zerlegt, daS
Gepräge untersucht und was der geheime Obcrregicrungörath dazu
gesagt, ist ebenfalls bekannt. Nie hat sich Jemand so den öffentlichen
Angriffen blosgcgcben, und doch behaupte ich, daß Schelling so han¬
delt, weil er nicht anders handeln kann. In allen seinen Produktionen
offenbart sich das Ringen des Stoffes mit dem Gedanken, mit der
Form, ein Ringen nach Vollendung, die nie erreicht wurde. Des¬
halb ist es thöricht, von Schelling ein „System" zu verlangen: er
kann es nicht geben, es würde weder ihn noch sonst Jemand befrie¬
digen. Was er bis jetzt hervorgearbeitet, eS will sich nicht zusam-
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/131>, abgerufen am 22.12.2024.
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