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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Stabes, auf Fehlgriff in den Mitteln zum Zweck. In der Geschichte
der italienischen Kunst gab es eine Epoche, wo man im Giganti¬
schen das Schöne suchte. Michelangelo beherrschte diese Spätepoche.
Er gab riesige Leiber und meinte damit menschliche Größe hinzu¬
stellen. Holofernes und Judith sind solche Colosse, welche die Men¬
schenmöglichkeit überschreiten. Ihre gigantischen Naturen gehen in's
Unmeßbare über. Wir staunen sie an, aber wir erwarten Nichts
von ihnen. Die Entscheidung ihres Processes mit einander liegt
außerhalb der Kreise menschlicher Empfindung. Ob er sie frißt,
ob sie ihn würgt; -- wir wissen das Letztere aus der Historie im
Voraus; -- aber die entgegengesetzte Wendung im dialektischen
Kampfe beider Naturen läge eben so nahe und würde uns eben so
wenig überraschen. Der Maßstab in der Zeichnung beider Gestalten
ist von Anfang an ein verrehltcr, Riesen sind nicht die echten Heroen;
das elementarisch Ungeheure ist nicht das menschlich Große. Aller
.Tiefsinn, aller Schwung, alle Warme und Größe der dichterischen
Empfindung, wie sie Hebbel in seiner Natur hegt und trägt, will
nun nicht mehr ausreichen, die maßlos gezogenen Conturen zu füllen,
und er müht sich vergeblich ab, die beiden Geburten seiner Phantasie
vor dem Lächerlichen zu behüten. Seine Schöpferkraft hat sich hier
verschwendet. Er hat nämlich innere Erfindung, tiefe Seelenkunde
genug, um das Verhältniß der zwei geschichtlich gegebenen Figuren
ganz neu zu fassen und zu stellen. Seine Judith findet diesem Ho-
lofernes gegenüber alle übrige Männerwelt kleinlich und widrig
elend. Sie hat in ihm allein Größe entdeckt, Wahrheit und Kraft,
wenn auch in Form barbarischer Ausartung. Daß sie ihn liebt,
während sie den Feind ihres Volkes in ihm mordet, ist ergreifend,
ein tiefer Zug. Ich kann mir denken, auch ein Deutscher unserer
Zeit hätte Napoleon so im Gemisch von Feindschaft und Bewun¬
derung ermorden können. Holofernes ist aber keine wirkliche Männer¬
größe, wie Napoleon. Er ist das Zerrbild davon, der Popanz der
Großheit. Judith nimmt, indem sie ihn liebt, nur Theil an dem
Schicksal, mit einem einzigen Schritte vom Erhabenen in's Gegen¬
stück zu verfallen. Und dieser eine Schritt ist ein leichter. Der dä¬
nische Professor braucht uns nicht erst zu zeigen, wie leicht es ist,
Holofernes lächerlich zu machen. Auch die Darstellung auf der
Bühne bewies es. In Berlin gab vor Jahren Madame Krelinger


Stabes, auf Fehlgriff in den Mitteln zum Zweck. In der Geschichte
der italienischen Kunst gab es eine Epoche, wo man im Giganti¬
schen das Schöne suchte. Michelangelo beherrschte diese Spätepoche.
Er gab riesige Leiber und meinte damit menschliche Größe hinzu¬
stellen. Holofernes und Judith sind solche Colosse, welche die Men¬
schenmöglichkeit überschreiten. Ihre gigantischen Naturen gehen in's
Unmeßbare über. Wir staunen sie an, aber wir erwarten Nichts
von ihnen. Die Entscheidung ihres Processes mit einander liegt
außerhalb der Kreise menschlicher Empfindung. Ob er sie frißt,
ob sie ihn würgt; — wir wissen das Letztere aus der Historie im
Voraus; — aber die entgegengesetzte Wendung im dialektischen
Kampfe beider Naturen läge eben so nahe und würde uns eben so
wenig überraschen. Der Maßstab in der Zeichnung beider Gestalten
ist von Anfang an ein verrehltcr, Riesen sind nicht die echten Heroen;
das elementarisch Ungeheure ist nicht das menschlich Große. Aller
.Tiefsinn, aller Schwung, alle Warme und Größe der dichterischen
Empfindung, wie sie Hebbel in seiner Natur hegt und trägt, will
nun nicht mehr ausreichen, die maßlos gezogenen Conturen zu füllen,
und er müht sich vergeblich ab, die beiden Geburten seiner Phantasie
vor dem Lächerlichen zu behüten. Seine Schöpferkraft hat sich hier
verschwendet. Er hat nämlich innere Erfindung, tiefe Seelenkunde
genug, um das Verhältniß der zwei geschichtlich gegebenen Figuren
ganz neu zu fassen und zu stellen. Seine Judith findet diesem Ho-
lofernes gegenüber alle übrige Männerwelt kleinlich und widrig
elend. Sie hat in ihm allein Größe entdeckt, Wahrheit und Kraft,
wenn auch in Form barbarischer Ausartung. Daß sie ihn liebt,
während sie den Feind ihres Volkes in ihm mordet, ist ergreifend,
ein tiefer Zug. Ich kann mir denken, auch ein Deutscher unserer
Zeit hätte Napoleon so im Gemisch von Feindschaft und Bewun¬
derung ermorden können. Holofernes ist aber keine wirkliche Männer¬
größe, wie Napoleon. Er ist das Zerrbild davon, der Popanz der
Großheit. Judith nimmt, indem sie ihn liebt, nur Theil an dem
Schicksal, mit einem einzigen Schritte vom Erhabenen in's Gegen¬
stück zu verfallen. Und dieser eine Schritt ist ein leichter. Der dä¬
nische Professor braucht uns nicht erst zu zeigen, wie leicht es ist,
Holofernes lächerlich zu machen. Auch die Darstellung auf der
Bühne bewies es. In Berlin gab vor Jahren Madame Krelinger


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[0122] Stabes, auf Fehlgriff in den Mitteln zum Zweck. In der Geschichte der italienischen Kunst gab es eine Epoche, wo man im Giganti¬ schen das Schöne suchte. Michelangelo beherrschte diese Spätepoche. Er gab riesige Leiber und meinte damit menschliche Größe hinzu¬ stellen. Holofernes und Judith sind solche Colosse, welche die Men¬ schenmöglichkeit überschreiten. Ihre gigantischen Naturen gehen in's Unmeßbare über. Wir staunen sie an, aber wir erwarten Nichts von ihnen. Die Entscheidung ihres Processes mit einander liegt außerhalb der Kreise menschlicher Empfindung. Ob er sie frißt, ob sie ihn würgt; — wir wissen das Letztere aus der Historie im Voraus; — aber die entgegengesetzte Wendung im dialektischen Kampfe beider Naturen läge eben so nahe und würde uns eben so wenig überraschen. Der Maßstab in der Zeichnung beider Gestalten ist von Anfang an ein verrehltcr, Riesen sind nicht die echten Heroen; das elementarisch Ungeheure ist nicht das menschlich Große. Aller .Tiefsinn, aller Schwung, alle Warme und Größe der dichterischen Empfindung, wie sie Hebbel in seiner Natur hegt und trägt, will nun nicht mehr ausreichen, die maßlos gezogenen Conturen zu füllen, und er müht sich vergeblich ab, die beiden Geburten seiner Phantasie vor dem Lächerlichen zu behüten. Seine Schöpferkraft hat sich hier verschwendet. Er hat nämlich innere Erfindung, tiefe Seelenkunde genug, um das Verhältniß der zwei geschichtlich gegebenen Figuren ganz neu zu fassen und zu stellen. Seine Judith findet diesem Ho- lofernes gegenüber alle übrige Männerwelt kleinlich und widrig elend. Sie hat in ihm allein Größe entdeckt, Wahrheit und Kraft, wenn auch in Form barbarischer Ausartung. Daß sie ihn liebt, während sie den Feind ihres Volkes in ihm mordet, ist ergreifend, ein tiefer Zug. Ich kann mir denken, auch ein Deutscher unserer Zeit hätte Napoleon so im Gemisch von Feindschaft und Bewun¬ derung ermorden können. Holofernes ist aber keine wirkliche Männer¬ größe, wie Napoleon. Er ist das Zerrbild davon, der Popanz der Großheit. Judith nimmt, indem sie ihn liebt, nur Theil an dem Schicksal, mit einem einzigen Schritte vom Erhabenen in's Gegen¬ stück zu verfallen. Und dieser eine Schritt ist ein leichter. Der dä¬ nische Professor braucht uns nicht erst zu zeigen, wie leicht es ist, Holofernes lächerlich zu machen. Auch die Darstellung auf der Bühne bewies es. In Berlin gab vor Jahren Madame Krelinger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/122>, abgerufen am 29.06.2024.