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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ärgerlich, ist die Untersuchung, welche die neapolitanische Regierung
aegcn den Aetna und seine schrecklichen Lavaauöströmungen einleitete.
Man sagt, die Untersuchungen hätten Nichts ergeben, obgleich sie
unpolitisch sind. Oder steht der Aetna vielleicht in unterirdischer Ver¬
bindung mit den Rebellen in der Romcigna?

-- Der "Sommernachtstraum" ist ans der Leipziger Bühne
glücklich vom Stapel gelaufen: ohne zu mißfallen, ohne den Wunsch
nach öfterer Wiederholung rege zu machen. Die Masse des Publicums
hält sich an das Ballet -- was sie im 02M "Wade" nennen -- und es
gibt Leipziger Patrioten, welche triumphirend versichern, daß Fräulein
Günther ein besserer Puck sei, als die Berliner Hagn; das Urtheil der
Musiker ist sehr verschieden, obgleich sonst Mendelssohn's Name hier
immer durchdrang. Was soll man aber von der Theilnahme der Li¬
teraten sagen? Diese theilen sich in Literaten, welche Dramen schreiben,
und in Literaten, die keine Dramen schreiben. Erstere sahen die Aus¬
führung mit einem Lächeln des Mitleids an und berichteten ohne Bit¬
terkeit, mit großer Fassung darüber; letztere -- mein Gott, soll man
.es sagen? -- wird man es glauben? -- letztere sind großentheils gar
nichl im Theater gewesen. Sie haben unterdessen mit Fanatismus
über O'Connell, über Hader, über den Dombau und den Zollverein
gesprochen. So weit ist es gekommen! Ein Kunstgenuß, nach dem
sich Tieck sein Leben lang sehnte, läßt diese Barbaren kalt, und das
wollen Musensöhne sei"! Sommernachtstraum! -- ein Name, der
sonst an alle Wunder der Phantasie, an alles Entzücken der Begeiste¬
rung erinnerte, jetzt ruft er ein höhnisches Lächeln, saure Gesichter oder
ein Achselzucken hervor.

-- öl. Boden in Frankfurt am Main hat nun, nachdem Jor¬
dan's Selbstvertheidigung erschienen ist, nachträglich zu seiner Kritik
deS Processes, einen juristischen Epilog herausgegeben, worin er die
Ueberzeugung ausspricht, daß der arme verfolgte Rechtslehrer gewiß vom
kurfürstlich hessischen OberavpcllaliouSgcricht werde freigesprochen wer¬
den. Endlich! Wir sind neugierig, ob Jordan seine Freisprechung
erleben wird. Gleichzeitig hört man, daß Wcidig'ö Proceß von dem
liberalen Criminalrichter Nollncr authentisch nach den Acten die er
von der Regierung erhalten hat, dargestellt werden soll. Wenn nur
die wichtigste" Aktenstücke nicht unterdessen abhanden gekommen sind.

-- Wer da glaubt, unsere Zeit sei ohne Romantik und Wunder¬
lichkeit, der nehme sich einmal nur die Mühe, einen Hausen gleich¬
zeitiger Tagesneuigkeiten nuf's Gerathewohl neben einander zu stellen,
zum Beispiel:

-- In der Schweiz hat eine Mutter ihrem achtjährigen Töchter-


ärgerlich, ist die Untersuchung, welche die neapolitanische Regierung
aegcn den Aetna und seine schrecklichen Lavaauöströmungen einleitete.
Man sagt, die Untersuchungen hätten Nichts ergeben, obgleich sie
unpolitisch sind. Oder steht der Aetna vielleicht in unterirdischer Ver¬
bindung mit den Rebellen in der Romcigna?

— Der „Sommernachtstraum" ist ans der Leipziger Bühne
glücklich vom Stapel gelaufen: ohne zu mißfallen, ohne den Wunsch
nach öfterer Wiederholung rege zu machen. Die Masse des Publicums
hält sich an das Ballet — was sie im 02M „Wade" nennen — und es
gibt Leipziger Patrioten, welche triumphirend versichern, daß Fräulein
Günther ein besserer Puck sei, als die Berliner Hagn; das Urtheil der
Musiker ist sehr verschieden, obgleich sonst Mendelssohn's Name hier
immer durchdrang. Was soll man aber von der Theilnahme der Li¬
teraten sagen? Diese theilen sich in Literaten, welche Dramen schreiben,
und in Literaten, die keine Dramen schreiben. Erstere sahen die Aus¬
führung mit einem Lächeln des Mitleids an und berichteten ohne Bit¬
terkeit, mit großer Fassung darüber; letztere — mein Gott, soll man
.es sagen? — wird man es glauben? — letztere sind großentheils gar
nichl im Theater gewesen. Sie haben unterdessen mit Fanatismus
über O'Connell, über Hader, über den Dombau und den Zollverein
gesprochen. So weit ist es gekommen! Ein Kunstgenuß, nach dem
sich Tieck sein Leben lang sehnte, läßt diese Barbaren kalt, und das
wollen Musensöhne sei»! Sommernachtstraum! — ein Name, der
sonst an alle Wunder der Phantasie, an alles Entzücken der Begeiste¬
rung erinnerte, jetzt ruft er ein höhnisches Lächeln, saure Gesichter oder
ein Achselzucken hervor.

— öl. Boden in Frankfurt am Main hat nun, nachdem Jor¬
dan's Selbstvertheidigung erschienen ist, nachträglich zu seiner Kritik
deS Processes, einen juristischen Epilog herausgegeben, worin er die
Ueberzeugung ausspricht, daß der arme verfolgte Rechtslehrer gewiß vom
kurfürstlich hessischen OberavpcllaliouSgcricht werde freigesprochen wer¬
den. Endlich! Wir sind neugierig, ob Jordan seine Freisprechung
erleben wird. Gleichzeitig hört man, daß Wcidig'ö Proceß von dem
liberalen Criminalrichter Nollncr authentisch nach den Acten die er
von der Regierung erhalten hat, dargestellt werden soll. Wenn nur
die wichtigste» Aktenstücke nicht unterdessen abhanden gekommen sind.

— Wer da glaubt, unsere Zeit sei ohne Romantik und Wunder¬
lichkeit, der nehme sich einmal nur die Mühe, einen Hausen gleich¬
zeitiger Tagesneuigkeiten nuf's Gerathewohl neben einander zu stellen,
zum Beispiel:

— In der Schweiz hat eine Mutter ihrem achtjährigen Töchter-


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[0115] ärgerlich, ist die Untersuchung, welche die neapolitanische Regierung aegcn den Aetna und seine schrecklichen Lavaauöströmungen einleitete. Man sagt, die Untersuchungen hätten Nichts ergeben, obgleich sie unpolitisch sind. Oder steht der Aetna vielleicht in unterirdischer Ver¬ bindung mit den Rebellen in der Romcigna? — Der „Sommernachtstraum" ist ans der Leipziger Bühne glücklich vom Stapel gelaufen: ohne zu mißfallen, ohne den Wunsch nach öfterer Wiederholung rege zu machen. Die Masse des Publicums hält sich an das Ballet — was sie im 02M „Wade" nennen — und es gibt Leipziger Patrioten, welche triumphirend versichern, daß Fräulein Günther ein besserer Puck sei, als die Berliner Hagn; das Urtheil der Musiker ist sehr verschieden, obgleich sonst Mendelssohn's Name hier immer durchdrang. Was soll man aber von der Theilnahme der Li¬ teraten sagen? Diese theilen sich in Literaten, welche Dramen schreiben, und in Literaten, die keine Dramen schreiben. Erstere sahen die Aus¬ führung mit einem Lächeln des Mitleids an und berichteten ohne Bit¬ terkeit, mit großer Fassung darüber; letztere — mein Gott, soll man .es sagen? — wird man es glauben? — letztere sind großentheils gar nichl im Theater gewesen. Sie haben unterdessen mit Fanatismus über O'Connell, über Hader, über den Dombau und den Zollverein gesprochen. So weit ist es gekommen! Ein Kunstgenuß, nach dem sich Tieck sein Leben lang sehnte, läßt diese Barbaren kalt, und das wollen Musensöhne sei»! Sommernachtstraum! — ein Name, der sonst an alle Wunder der Phantasie, an alles Entzücken der Begeiste¬ rung erinnerte, jetzt ruft er ein höhnisches Lächeln, saure Gesichter oder ein Achselzucken hervor. — öl. Boden in Frankfurt am Main hat nun, nachdem Jor¬ dan's Selbstvertheidigung erschienen ist, nachträglich zu seiner Kritik deS Processes, einen juristischen Epilog herausgegeben, worin er die Ueberzeugung ausspricht, daß der arme verfolgte Rechtslehrer gewiß vom kurfürstlich hessischen OberavpcllaliouSgcricht werde freigesprochen wer¬ den. Endlich! Wir sind neugierig, ob Jordan seine Freisprechung erleben wird. Gleichzeitig hört man, daß Wcidig'ö Proceß von dem liberalen Criminalrichter Nollncr authentisch nach den Acten die er von der Regierung erhalten hat, dargestellt werden soll. Wenn nur die wichtigste» Aktenstücke nicht unterdessen abhanden gekommen sind. — Wer da glaubt, unsere Zeit sei ohne Romantik und Wunder¬ lichkeit, der nehme sich einmal nur die Mühe, einen Hausen gleich¬ zeitiger Tagesneuigkeiten nuf's Gerathewohl neben einander zu stellen, zum Beispiel: — In der Schweiz hat eine Mutter ihrem achtjährigen Töchter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/115>, abgerufen am 28.09.2024.