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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- Lustspiel in drei Acten nach dein Französischen von Börnstein
-- Drama in zwei Acten frei nach dem Französischen von Castelli. --
Dabei versteht sich's von selbst, daß wir Deutschen die ehrlichste Nation
auf der Weit sind, die Franzosen aber sind lauter Windbeutel, Glücks¬
ritter und gewissenlose Menschen, gegen die wir keine Rücksicht zu ha¬
ben brauchen. Daß so ein Höllenbraten von Franzos sich die Mühe
nahm, ein allerliebstes zwei-, drciactigcs Stück zu erfinden -- was
kümmert das uns? Wenn wir nur wissen, wer es übersetzt hat.
Der Name des Verfassers ist eine Nebensache. Mit gleicher gründlich
deutscher Ehrlichkeit verfährt eine große Berliner lithographische An¬
stalt. Ans allen Lithographien, die sie in die Welt versendet, könnt
ihr lesen: "lithograpHirt von Blau"; wer die Zeichnung ge¬
macht hat >- das ist pures Nebending. Dieser Horaz Vernet, dieser
Ingres, dieser Ary Scheffer, deren Bilder auf eine so pfiffige Art
nachgezeichnet und nachgedruckt werden, sind nur Franzosen, Lnmpcn-
volk, Mysteres de Paris, unmoralische Wälsche; die deutsche Nation
will Nichts wissen, als daß Herr Blau der Lithograph war. Rival die
deutsche Ehrlichkeit! Vivat Herr Börnstein! Herr Castelli! Herr Blau!

-- Der italienische Tenorist Moriani, der jetzt in Dresden singt
und gegenüber von Tichatschck den Kürzeren zieht, reist mit großen
vornehmen Empfehlungsschreiben versehen. Wie alles Ausländische,
wird auch er vorzüglich von dem Adel beschützt. Eine hübsche Anek¬
dote trug sich in Prag zu. Die Zeitschrift Ost und West enthielt
eine Kritik, in welcher dieser Sänger mit unparteilicher Strenge be¬
sprochen wurde. Einige Tage darauf kam dem Redacteur Herrn Ru¬
dolf Glaser die indirecte Warnung von einigen hohen Adelige" zu,
daß wenn sein Blatt sich noch einmal derlei zu Schulden kommen
ließe, man das Abonnement desselben aufgeben würde. Schön!

-- Nichts als Untersuchungen! Ueber den Königsberger Wa-
lesrode ist wegen seiner vor langer Zeit in Königsberg gehaltenen und
nachher veröffentlichten Vorlesungen eine Untersuchung verhängt; eben
so über einige Berliner Literaten, die im entfernten Verdacht stehen,
mit den Studenten vom Lescvcrein sympathisirt zu haben; in Leipzig
sind eben die Untersuchungen gegen eine Anzahl von Studenten be¬
endigt worden, die sich gemeinschaftlich "eine politische Bildung ver¬
schaffen wollten;" in Heidelberg sind verschiedene Pfeifcnqnastcn und
Bänder der Studenten in Untersuchung. J>, Deutschland werden die
politischen Untersuchungen bald etwas so Gewöhnliches sein, wie der
Schnupfen oder der Katzenjammer. Statt: "wie befinden Sie sich?
wird man fragen: wie geht's, sind Sie schon untersucht? Die ganze
neuere Geschichte Deutschlands, glaube ich, ist noch in Untersuchung;
darum geht sie so langsam vorwärts. Ernsthafter, obgleich nicht so


— Lustspiel in drei Acten nach dein Französischen von Börnstein
— Drama in zwei Acten frei nach dem Französischen von Castelli. —
Dabei versteht sich's von selbst, daß wir Deutschen die ehrlichste Nation
auf der Weit sind, die Franzosen aber sind lauter Windbeutel, Glücks¬
ritter und gewissenlose Menschen, gegen die wir keine Rücksicht zu ha¬
ben brauchen. Daß so ein Höllenbraten von Franzos sich die Mühe
nahm, ein allerliebstes zwei-, drciactigcs Stück zu erfinden — was
kümmert das uns? Wenn wir nur wissen, wer es übersetzt hat.
Der Name des Verfassers ist eine Nebensache. Mit gleicher gründlich
deutscher Ehrlichkeit verfährt eine große Berliner lithographische An¬
stalt. Ans allen Lithographien, die sie in die Welt versendet, könnt
ihr lesen: „lithograpHirt von Blau"; wer die Zeichnung ge¬
macht hat >- das ist pures Nebending. Dieser Horaz Vernet, dieser
Ingres, dieser Ary Scheffer, deren Bilder auf eine so pfiffige Art
nachgezeichnet und nachgedruckt werden, sind nur Franzosen, Lnmpcn-
volk, Mysteres de Paris, unmoralische Wälsche; die deutsche Nation
will Nichts wissen, als daß Herr Blau der Lithograph war. Rival die
deutsche Ehrlichkeit! Vivat Herr Börnstein! Herr Castelli! Herr Blau!

— Der italienische Tenorist Moriani, der jetzt in Dresden singt
und gegenüber von Tichatschck den Kürzeren zieht, reist mit großen
vornehmen Empfehlungsschreiben versehen. Wie alles Ausländische,
wird auch er vorzüglich von dem Adel beschützt. Eine hübsche Anek¬
dote trug sich in Prag zu. Die Zeitschrift Ost und West enthielt
eine Kritik, in welcher dieser Sänger mit unparteilicher Strenge be¬
sprochen wurde. Einige Tage darauf kam dem Redacteur Herrn Ru¬
dolf Glaser die indirecte Warnung von einigen hohen Adelige» zu,
daß wenn sein Blatt sich noch einmal derlei zu Schulden kommen
ließe, man das Abonnement desselben aufgeben würde. Schön!

— Nichts als Untersuchungen! Ueber den Königsberger Wa-
lesrode ist wegen seiner vor langer Zeit in Königsberg gehaltenen und
nachher veröffentlichten Vorlesungen eine Untersuchung verhängt; eben
so über einige Berliner Literaten, die im entfernten Verdacht stehen,
mit den Studenten vom Lescvcrein sympathisirt zu haben; in Leipzig
sind eben die Untersuchungen gegen eine Anzahl von Studenten be¬
endigt worden, die sich gemeinschaftlich „eine politische Bildung ver¬
schaffen wollten;" in Heidelberg sind verschiedene Pfeifcnqnastcn und
Bänder der Studenten in Untersuchung. J>, Deutschland werden die
politischen Untersuchungen bald etwas so Gewöhnliches sein, wie der
Schnupfen oder der Katzenjammer. Statt: „wie befinden Sie sich?
wird man fragen: wie geht's, sind Sie schon untersucht? Die ganze
neuere Geschichte Deutschlands, glaube ich, ist noch in Untersuchung;
darum geht sie so langsam vorwärts. Ernsthafter, obgleich nicht so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/114>, abgerufen am 29.06.2024.