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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Herr Korrespondent, da er behauptet, das Gerücht über Halm und Ent
sei nicht von mir ausgegangen, und ich danke ihm für die zuversicht¬
lich gute Meinung, die er von mir hegt. Ich erfuhr jenes Gerücht
in meiner ländlichen Einsamkeit erst, als schon alle Zeitungen davon
voll waren. Hierauf aber, das bekenne ich ohne Bedenken, fand ich
mich im Interesse der Ehre unserer Literatur aufgefordert, die Sache
ernsthaft zur Sprache zu bringen. Ich theilte daher unparteiisch die
ganze Thatsache des Verdachtes mit, der mit merkwürdiger Schnellig¬
keit sich in der That allgemein verbreitet hatte, und forderte im Na¬
men unsrer Nationalehre dringend auf, daß man, woher es nur mög¬
lich wäre, gründliche Beweise für oder wider, auftreiben und bekannt
machen möchte, damit dem Lebenden oder dem Todten sein Recht geschehe.


Ich bin mit herzlicher Hochachtung Ihr ergebenster
r.ur.ranSucl
D j Fz chska.

-- Der so eben verstorbene Poet Casimir Dclavigne machte sein
Glück hauptsächlich durch Gelegenheitsgedichte. Stirn, unter dem Titel
Messcnicnncs berühmten drei Elegien erschienen kurz uach dem Augenblicke,
wo die alliirten Armeen ihren zweiten Einzug in Paris hielten. Damals,
wo das Nationalgefühl Frankreichs so tief gebeugt und verletzt war, erstand
ein dreiundzwanzigjähriger junger Mann, der in feurigen, kräftigen
Worten der Nation Muth zusprach und Blücher und Wellington
warnende Worte zurief, den Jammer eines besiegten Volkes nicht
durch Uebermuth zu erhöhen. Diese drei Messcnicuucs machten Dela-
vigne allsogleich zu einem Liebling Frankreichs. In seinen spätern
MesscnicnncS besang er Griechenland und Italien; in der Juliuswoche
dichtete er die Parisicmic, einige Monate später, während des polnischen
Aufstandes, die Varsvvicnne u. s. w. Seine Leier kam immer apro¬
pos u,,d die französische Nation ist für solche Dinge dankbarer als
die deutsche.

-- Die Schriften über Juden-Emancipation und Nicht-Emanci¬
pation nehmen gar kein Ende. Wie kann mau über eine fertige Frage
"och so viel schreiben? In neuester Zeit hat sogar Herr Moriz Brühl
"Selbstbekenntnisse eines Katechumenen" herausgegeben, die er "dem
hochgestellten Priester am Rhein" gewidmet hat. Wir haben, Gott
sei Dank, diese Schrift nicht gelesen. Schon der Name des Verfassers
richte hi", uns abzuschrecken; in einer so hochwichtige" Sache dürfen
nur Männer von unbescholtenem Lebenswandel ihre Stimme erheben;
was will Herr -Moriz Brühl, dessen Name noch aus seinem vorjähri¬
gen Scandal, als er sich für Drechsler-Manfred ausgab und Dahl-
">ann Geld ablich? Wen will er bekehren, Christen oder Jude"?
Die Selbstbekenntnisse des Herrn Brühl können weder für ihn, noch
Mr den Leser erquicklich sein.


Herr Korrespondent, da er behauptet, das Gerücht über Halm und Ent
sei nicht von mir ausgegangen, und ich danke ihm für die zuversicht¬
lich gute Meinung, die er von mir hegt. Ich erfuhr jenes Gerücht
in meiner ländlichen Einsamkeit erst, als schon alle Zeitungen davon
voll waren. Hierauf aber, das bekenne ich ohne Bedenken, fand ich
mich im Interesse der Ehre unserer Literatur aufgefordert, die Sache
ernsthaft zur Sprache zu bringen. Ich theilte daher unparteiisch die
ganze Thatsache des Verdachtes mit, der mit merkwürdiger Schnellig¬
keit sich in der That allgemein verbreitet hatte, und forderte im Na¬
men unsrer Nationalehre dringend auf, daß man, woher es nur mög¬
lich wäre, gründliche Beweise für oder wider, auftreiben und bekannt
machen möchte, damit dem Lebenden oder dem Todten sein Recht geschehe.


Ich bin mit herzlicher Hochachtung Ihr ergebenster
r.ur.ranSucl
D j Fz chska.

— Der so eben verstorbene Poet Casimir Dclavigne machte sein
Glück hauptsächlich durch Gelegenheitsgedichte. Stirn, unter dem Titel
Messcnicnncs berühmten drei Elegien erschienen kurz uach dem Augenblicke,
wo die alliirten Armeen ihren zweiten Einzug in Paris hielten. Damals,
wo das Nationalgefühl Frankreichs so tief gebeugt und verletzt war, erstand
ein dreiundzwanzigjähriger junger Mann, der in feurigen, kräftigen
Worten der Nation Muth zusprach und Blücher und Wellington
warnende Worte zurief, den Jammer eines besiegten Volkes nicht
durch Uebermuth zu erhöhen. Diese drei Messcnicuucs machten Dela-
vigne allsogleich zu einem Liebling Frankreichs. In seinen spätern
MesscnicnncS besang er Griechenland und Italien; in der Juliuswoche
dichtete er die Parisicmic, einige Monate später, während des polnischen
Aufstandes, die Varsvvicnne u. s. w. Seine Leier kam immer apro¬
pos u,,d die französische Nation ist für solche Dinge dankbarer als
die deutsche.

— Die Schriften über Juden-Emancipation und Nicht-Emanci¬
pation nehmen gar kein Ende. Wie kann mau über eine fertige Frage
"och so viel schreiben? In neuester Zeit hat sogar Herr Moriz Brühl
„Selbstbekenntnisse eines Katechumenen" herausgegeben, die er „dem
hochgestellten Priester am Rhein" gewidmet hat. Wir haben, Gott
sei Dank, diese Schrift nicht gelesen. Schon der Name des Verfassers
richte hi», uns abzuschrecken; in einer so hochwichtige» Sache dürfen
nur Männer von unbescholtenem Lebenswandel ihre Stimme erheben;
was will Herr -Moriz Brühl, dessen Name noch aus seinem vorjähri¬
gen Scandal, als er sich für Drechsler-Manfred ausgab und Dahl-
">ann Geld ablich? Wen will er bekehren, Christen oder Jude»?
Die Selbstbekenntnisse des Herrn Brühl können weder für ihn, noch
Mr den Leser erquicklich sein.


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[0113] Herr Korrespondent, da er behauptet, das Gerücht über Halm und Ent sei nicht von mir ausgegangen, und ich danke ihm für die zuversicht¬ lich gute Meinung, die er von mir hegt. Ich erfuhr jenes Gerücht in meiner ländlichen Einsamkeit erst, als schon alle Zeitungen davon voll waren. Hierauf aber, das bekenne ich ohne Bedenken, fand ich mich im Interesse der Ehre unserer Literatur aufgefordert, die Sache ernsthaft zur Sprache zu bringen. Ich theilte daher unparteiisch die ganze Thatsache des Verdachtes mit, der mit merkwürdiger Schnellig¬ keit sich in der That allgemein verbreitet hatte, und forderte im Na¬ men unsrer Nationalehre dringend auf, daß man, woher es nur mög¬ lich wäre, gründliche Beweise für oder wider, auftreiben und bekannt machen möchte, damit dem Lebenden oder dem Todten sein Recht geschehe. Ich bin mit herzlicher Hochachtung Ihr ergebenster r.ur.ranSucl D j Fz chska. — Der so eben verstorbene Poet Casimir Dclavigne machte sein Glück hauptsächlich durch Gelegenheitsgedichte. Stirn, unter dem Titel Messcnicnncs berühmten drei Elegien erschienen kurz uach dem Augenblicke, wo die alliirten Armeen ihren zweiten Einzug in Paris hielten. Damals, wo das Nationalgefühl Frankreichs so tief gebeugt und verletzt war, erstand ein dreiundzwanzigjähriger junger Mann, der in feurigen, kräftigen Worten der Nation Muth zusprach und Blücher und Wellington warnende Worte zurief, den Jammer eines besiegten Volkes nicht durch Uebermuth zu erhöhen. Diese drei Messcnicuucs machten Dela- vigne allsogleich zu einem Liebling Frankreichs. In seinen spätern MesscnicnncS besang er Griechenland und Italien; in der Juliuswoche dichtete er die Parisicmic, einige Monate später, während des polnischen Aufstandes, die Varsvvicnne u. s. w. Seine Leier kam immer apro¬ pos u,,d die französische Nation ist für solche Dinge dankbarer als die deutsche. — Die Schriften über Juden-Emancipation und Nicht-Emanci¬ pation nehmen gar kein Ende. Wie kann mau über eine fertige Frage "och so viel schreiben? In neuester Zeit hat sogar Herr Moriz Brühl „Selbstbekenntnisse eines Katechumenen" herausgegeben, die er „dem hochgestellten Priester am Rhein" gewidmet hat. Wir haben, Gott sei Dank, diese Schrift nicht gelesen. Schon der Name des Verfassers richte hi», uns abzuschrecken; in einer so hochwichtige» Sache dürfen nur Männer von unbescholtenem Lebenswandel ihre Stimme erheben; was will Herr -Moriz Brühl, dessen Name noch aus seinem vorjähri¬ gen Scandal, als er sich für Drechsler-Manfred ausgab und Dahl- ">ann Geld ablich? Wen will er bekehren, Christen oder Jude»? Die Selbstbekenntnisse des Herrn Brühl können weder für ihn, noch Mr den Leser erquicklich sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/113>, abgerufen am 29.06.2024.