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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Geistesleben der halb Germanisirten errathen, die es nicht so weit
gebracht, deutsche Verse zu schreiben! Jhre Bildung ist eine angelernte
und selbst im besten Falle wird es ihnen kaum gelingen, die Jdeen
einer Welt, die sie nur aus Büchern kennen, mit ihren eingebornen
und angelebten Anschauungen und Gefühlen in rechten Einklang zu
setzen. Aus einem deutschen Schul-, Beamten- und Salonsleben
wächst noch kein deutsches Gedicht. Dies wäre freilich nur ein lite-
rarisches Unglück, wie Mancher lächelnd bemerken wird, - wenn es
nicht nothwendig auch andere, sehr wesentliche Entbehrungen voraus-
setzte. -Ich glaube, daß mancher von den Prager Poeten sich dieser
peinlichen Stellung nicht recht bewußt sein mag: fühlen aber wird er
sie, wenn auch nur dunkel, nicht wissend, was ^ und wo es ihm fehle.
Allein, abgesehen von jenen innerlich lähmenden und verwirrenden
Einflüssen, die ich nur andeuten wollte, gibt es auch mehx äußerliche
Trübsale, die sich gewiß Niemand verhehlen wird. Wie der deutsche
Poet dort mit seinen ursprünglichen Anschauungen nicht im deutschen
Volksleben wurzelt, so weiß auch kein deutsches Volk von ihm, hört
kein deutsches Volk van seiner Sehnsucht, ehe er etwa berühmt ist
und begraben. Ex ruft und kein Echa antwartet, die segensvolle
Rückwirkung der Gegenliebe fehlt und so erlischt ihm die Liebe, ^so
verrastet die Kraft, sa erblindet ihm der Zauberspiegel der paetischen
Ahnung. Sein Publicum ist eine kleine Elite van Gebildeten und
Dilettanten, die eben sa isolirt stehen, wie er. Nicht blos, um ihr
zeitliches Glück zu machen, verlassen so viel deutsche Poeten die böh-
mische Heimath und bauen ihr Nest sür immer in der Kaiserstadt:
sie suchen Deutschland in Wien.

Wer sich in diese Zustände hineindenken kann, wixd füx unsere
Prager Poeten ein doppelt mildes Urtheil haben und ihx tapferes
Streben um so höher schätzen; verehren aber wird ex ein Talent, wie
Egon Ebert, dem trotz so mannichfacher Ungunst seine Heimath
reizende und harmonievolle Schöpfungen verdankt. Ebert h^at nur
wenige Lieder gedichtet, seine Balladen und seine "Wlasta" jedoch
haben oft den festen und reinen Klang Uhland'scher. Epik. In sei-
nen neuesten Dichtungen hat er sogar eine seltene Eigenthümlichkeit
gewonnen. Ich weise namentlich aus das seelenvolle Gedicht, "Mi-
losch und Miliza" hin, das den vorigen Jahrgang der "Libussa"


Geistesleben der halb Germanisirten errathen, die es nicht so weit
gebracht, deutsche Verse zu schreiben! Jhre Bildung ist eine angelernte
und selbst im besten Falle wird es ihnen kaum gelingen, die Jdeen
einer Welt, die sie nur aus Büchern kennen, mit ihren eingebornen
und angelebten Anschauungen und Gefühlen in rechten Einklang zu
setzen. Aus einem deutschen Schul-, Beamten- und Salonsleben
wächst noch kein deutsches Gedicht. Dies wäre freilich nur ein lite-
rarisches Unglück, wie Mancher lächelnd bemerken wird, - wenn es
nicht nothwendig auch andere, sehr wesentliche Entbehrungen voraus-
setzte. -Ich glaube, daß mancher von den Prager Poeten sich dieser
peinlichen Stellung nicht recht bewußt sein mag: fühlen aber wird er
sie, wenn auch nur dunkel, nicht wissend, was ^ und wo es ihm fehle.
Allein, abgesehen von jenen innerlich lähmenden und verwirrenden
Einflüssen, die ich nur andeuten wollte, gibt es auch mehx äußerliche
Trübsale, die sich gewiß Niemand verhehlen wird. Wie der deutsche
Poet dort mit seinen ursprünglichen Anschauungen nicht im deutschen
Volksleben wurzelt, so weiß auch kein deutsches Volk von ihm, hört
kein deutsches Volk van seiner Sehnsucht, ehe er etwa berühmt ist
und begraben. Ex ruft und kein Echa antwartet, die segensvolle
Rückwirkung der Gegenliebe fehlt und so erlischt ihm die Liebe, ^so
verrastet die Kraft, sa erblindet ihm der Zauberspiegel der paetischen
Ahnung. Sein Publicum ist eine kleine Elite van Gebildeten und
Dilettanten, die eben sa isolirt stehen, wie er. Nicht blos, um ihr
zeitliches Glück zu machen, verlassen so viel deutsche Poeten die böh-
mische Heimath und bauen ihr Nest sür immer in der Kaiserstadt:
sie suchen Deutschland in Wien.

Wer sich in diese Zustände hineindenken kann, wixd füx unsere
Prager Poeten ein doppelt mildes Urtheil haben und ihx tapferes
Streben um so höher schätzen; verehren aber wird ex ein Talent, wie
Egon Ebert, dem trotz so mannichfacher Ungunst seine Heimath
reizende und harmonievolle Schöpfungen verdankt. Ebert h^at nur
wenige Lieder gedichtet, seine Balladen und seine "Wlasta" jedoch
haben oft den festen und reinen Klang Uhland'scher. Epik. In sei-
nen neuesten Dichtungen hat er sogar eine seltene Eigenthümlichkeit
gewonnen. Ich weise namentlich aus das seelenvolle Gedicht, "Mi-
losch und Miliza" hin, das den vorigen Jahrgang der "Libussa"


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[0105] Geistesleben der halb Germanisirten errathen, die es nicht so weit gebracht, deutsche Verse zu schreiben! Jhre Bildung ist eine angelernte und selbst im besten Falle wird es ihnen kaum gelingen, die Jdeen einer Welt, die sie nur aus Büchern kennen, mit ihren eingebornen und angelebten Anschauungen und Gefühlen in rechten Einklang zu setzen. Aus einem deutschen Schul-, Beamten- und Salonsleben wächst noch kein deutsches Gedicht. Dies wäre freilich nur ein lite- rarisches Unglück, wie Mancher lächelnd bemerken wird, - wenn es nicht nothwendig auch andere, sehr wesentliche Entbehrungen voraus- setzte. -Ich glaube, daß mancher von den Prager Poeten sich dieser peinlichen Stellung nicht recht bewußt sein mag: fühlen aber wird er sie, wenn auch nur dunkel, nicht wissend, was ^ und wo es ihm fehle. Allein, abgesehen von jenen innerlich lähmenden und verwirrenden Einflüssen, die ich nur andeuten wollte, gibt es auch mehx äußerliche Trübsale, die sich gewiß Niemand verhehlen wird. Wie der deutsche Poet dort mit seinen ursprünglichen Anschauungen nicht im deutschen Volksleben wurzelt, so weiß auch kein deutsches Volk von ihm, hört kein deutsches Volk van seiner Sehnsucht, ehe er etwa berühmt ist und begraben. Ex ruft und kein Echa antwartet, die segensvolle Rückwirkung der Gegenliebe fehlt und so erlischt ihm die Liebe, ^so verrastet die Kraft, sa erblindet ihm der Zauberspiegel der paetischen Ahnung. Sein Publicum ist eine kleine Elite van Gebildeten und Dilettanten, die eben sa isolirt stehen, wie er. Nicht blos, um ihr zeitliches Glück zu machen, verlassen so viel deutsche Poeten die böh- mische Heimath und bauen ihr Nest sür immer in der Kaiserstadt: sie suchen Deutschland in Wien. Wer sich in diese Zustände hineindenken kann, wixd füx unsere Prager Poeten ein doppelt mildes Urtheil haben und ihx tapferes Streben um so höher schätzen; verehren aber wird ex ein Talent, wie Egon Ebert, dem trotz so mannichfacher Ungunst seine Heimath reizende und harmonievolle Schöpfungen verdankt. Ebert h^at nur wenige Lieder gedichtet, seine Balladen und seine "Wlasta" jedoch haben oft den festen und reinen Klang Uhland'scher. Epik. In sei- nen neuesten Dichtungen hat er sogar eine seltene Eigenthümlichkeit gewonnen. Ich weise namentlich aus das seelenvolle Gedicht, "Mi- losch und Miliza" hin, das den vorigen Jahrgang der "Libussa"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/105>, abgerufen am 29.06.2024.