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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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beten Versen an! Glücklich diejenigen, die irgend einen harmlosen histori¬
schen Gegenstand gefunden; die es verstehen, alte Balladenstoffe um-
zuschmelzen oder deren Phantasie es gelingt, einen Wunderquell in
Arabien, in Hispanien zu entdecken! Die Anderen hängen sich ver¬
zweifelnd an einen Strohhalm, sie klammern sich an einen Mond¬
oder Abendsonnenstrahl, der wieder einmal auf eine Ruine fallt; sie
spinnen sich aus dem Wechsel der Jahreszeiten, aus der Wirkung
eines OelgemäldeS, aus dem Namen eines Dichters, aus einer
Glosse u. s. w., mühsam einen elegischen oder didaktischen Faden, um
aus dem vagen Labyrinth ihrer Gefühlssehnsucht zu einer bestimmten
Empfindung, um aus der leblosen Naturmalerei wenigstens zu einer
Pointe, zur glücklichen Variation eines alten Wiedersehens-, Unsterb¬
lichkeit-, Liebes- oder Grabgedankens zu kommen. Es ist be¬
zeichnend, daß man so selten ein eigentliches Lied oder ein liedartiges
Gedicht findet - Fricdr. Bach's melodische Verse machen darin
eine Ausnahme --; nicht daß ich den Werth eines lyrischen Gedich¬
tes grade von seiner Komponirbarkeit abhängig machen wollte, denn
das hängt nur zu oft blos von der äußeren Form ab: ich nenne
liedartig, was durch einen unmittelbaren Ausbruch des bewegten
Gemüths, durch die frei werdende Gewalt der Empfindung entsteht.
Bei den Prager Poeten aber ringen sich Gedanke und Empfindung
selten und schwer von der Last der Bilder los, an denen ihre Phan¬
tasie übrigens reich ist. Freilich wird der poetische Gedanke sich stets in
Bildern verkörpern: allein er muß nicht von ihnen erdrückt werden,
sie vielmehr beseelen und beherrschen und sich so frei in ihnen bewe¬
gen, wie ein feuriger und graziöser Menschengeist in den Gliedern
irdischer Schönheit. Sonst hat man hübsche Leichen geschaffen.

Und doch soll dies Alles weniger Tadel eines Fehlers, als
Klage über ein Unglück sein. Ich mag hier nicht die Ursachen die¬
ser Uebelstände näher auseinandersetzen; eS würde theils zu weit,
theils zu neuen Mißverständnissen sühren. Wenn ich das Kind beim
wahren Namen nenne und die Dinge angebe, wie sie einmal sind,
so könnte ich leicht wieder für einen versteckten Deutschfeind und Cze-
chomanen angesehen werden. Also nnr eine Andeutung. So viel
ist gewiß, daß die Hauptquelle dieser trübseligen Erscheinung in dem
Mangel ^n deutschem Volksleben besteht. Wie oft läßt dieser gebro¬
chene Gesang deutscher Poeten das dämmerige, innerlich getrübte


beten Versen an! Glücklich diejenigen, die irgend einen harmlosen histori¬
schen Gegenstand gefunden; die es verstehen, alte Balladenstoffe um-
zuschmelzen oder deren Phantasie es gelingt, einen Wunderquell in
Arabien, in Hispanien zu entdecken! Die Anderen hängen sich ver¬
zweifelnd an einen Strohhalm, sie klammern sich an einen Mond¬
oder Abendsonnenstrahl, der wieder einmal auf eine Ruine fallt; sie
spinnen sich aus dem Wechsel der Jahreszeiten, aus der Wirkung
eines OelgemäldeS, aus dem Namen eines Dichters, aus einer
Glosse u. s. w., mühsam einen elegischen oder didaktischen Faden, um
aus dem vagen Labyrinth ihrer Gefühlssehnsucht zu einer bestimmten
Empfindung, um aus der leblosen Naturmalerei wenigstens zu einer
Pointe, zur glücklichen Variation eines alten Wiedersehens-, Unsterb¬
lichkeit-, Liebes- oder Grabgedankens zu kommen. Es ist be¬
zeichnend, daß man so selten ein eigentliches Lied oder ein liedartiges
Gedicht findet - Fricdr. Bach's melodische Verse machen darin
eine Ausnahme —; nicht daß ich den Werth eines lyrischen Gedich¬
tes grade von seiner Komponirbarkeit abhängig machen wollte, denn
das hängt nur zu oft blos von der äußeren Form ab: ich nenne
liedartig, was durch einen unmittelbaren Ausbruch des bewegten
Gemüths, durch die frei werdende Gewalt der Empfindung entsteht.
Bei den Prager Poeten aber ringen sich Gedanke und Empfindung
selten und schwer von der Last der Bilder los, an denen ihre Phan¬
tasie übrigens reich ist. Freilich wird der poetische Gedanke sich stets in
Bildern verkörpern: allein er muß nicht von ihnen erdrückt werden,
sie vielmehr beseelen und beherrschen und sich so frei in ihnen bewe¬
gen, wie ein feuriger und graziöser Menschengeist in den Gliedern
irdischer Schönheit. Sonst hat man hübsche Leichen geschaffen.

Und doch soll dies Alles weniger Tadel eines Fehlers, als
Klage über ein Unglück sein. Ich mag hier nicht die Ursachen die¬
ser Uebelstände näher auseinandersetzen; eS würde theils zu weit,
theils zu neuen Mißverständnissen sühren. Wenn ich das Kind beim
wahren Namen nenne und die Dinge angebe, wie sie einmal sind,
so könnte ich leicht wieder für einen versteckten Deutschfeind und Cze-
chomanen angesehen werden. Also nnr eine Andeutung. So viel
ist gewiß, daß die Hauptquelle dieser trübseligen Erscheinung in dem
Mangel ^n deutschem Volksleben besteht. Wie oft läßt dieser gebro¬
chene Gesang deutscher Poeten das dämmerige, innerlich getrübte


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[0104] beten Versen an! Glücklich diejenigen, die irgend einen harmlosen histori¬ schen Gegenstand gefunden; die es verstehen, alte Balladenstoffe um- zuschmelzen oder deren Phantasie es gelingt, einen Wunderquell in Arabien, in Hispanien zu entdecken! Die Anderen hängen sich ver¬ zweifelnd an einen Strohhalm, sie klammern sich an einen Mond¬ oder Abendsonnenstrahl, der wieder einmal auf eine Ruine fallt; sie spinnen sich aus dem Wechsel der Jahreszeiten, aus der Wirkung eines OelgemäldeS, aus dem Namen eines Dichters, aus einer Glosse u. s. w., mühsam einen elegischen oder didaktischen Faden, um aus dem vagen Labyrinth ihrer Gefühlssehnsucht zu einer bestimmten Empfindung, um aus der leblosen Naturmalerei wenigstens zu einer Pointe, zur glücklichen Variation eines alten Wiedersehens-, Unsterb¬ lichkeit-, Liebes- oder Grabgedankens zu kommen. Es ist be¬ zeichnend, daß man so selten ein eigentliches Lied oder ein liedartiges Gedicht findet - Fricdr. Bach's melodische Verse machen darin eine Ausnahme —; nicht daß ich den Werth eines lyrischen Gedich¬ tes grade von seiner Komponirbarkeit abhängig machen wollte, denn das hängt nur zu oft blos von der äußeren Form ab: ich nenne liedartig, was durch einen unmittelbaren Ausbruch des bewegten Gemüths, durch die frei werdende Gewalt der Empfindung entsteht. Bei den Prager Poeten aber ringen sich Gedanke und Empfindung selten und schwer von der Last der Bilder los, an denen ihre Phan¬ tasie übrigens reich ist. Freilich wird der poetische Gedanke sich stets in Bildern verkörpern: allein er muß nicht von ihnen erdrückt werden, sie vielmehr beseelen und beherrschen und sich so frei in ihnen bewe¬ gen, wie ein feuriger und graziöser Menschengeist in den Gliedern irdischer Schönheit. Sonst hat man hübsche Leichen geschaffen. Und doch soll dies Alles weniger Tadel eines Fehlers, als Klage über ein Unglück sein. Ich mag hier nicht die Ursachen die¬ ser Uebelstände näher auseinandersetzen; eS würde theils zu weit, theils zu neuen Mißverständnissen sühren. Wenn ich das Kind beim wahren Namen nenne und die Dinge angebe, wie sie einmal sind, so könnte ich leicht wieder für einen versteckten Deutschfeind und Cze- chomanen angesehen werden. Also nnr eine Andeutung. So viel ist gewiß, daß die Hauptquelle dieser trübseligen Erscheinung in dem Mangel ^n deutschem Volksleben besteht. Wie oft läßt dieser gebro¬ chene Gesang deutscher Poeten das dämmerige, innerlich getrübte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/104>, abgerufen am 29.06.2024.