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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Literarische Uebersichten.
Deutsche Literatur in Böhmen.")



II.

Allgemein ist in Norddeutschland die Klage, daß aus Oester¬
reich, oder doch aus den Provinzen, Nichts als zahllose lyrische Bächlein
in die deutsche Literatur fallen; während dort wieder die Klage laut
wird, daß so wenig Sympathie diesem deutschen Gesang aus Böhmen
werde; vereinsamt, ohne den segnenden Sonnenschein des Ruhmes,
welke der deutsche Sänger im herbstkühlen, düsteren Schatten des
Slaventhums hin, den die alte Czechenstadt wirft. -- Und doch ist
Böhmen so reich an Deutschen und deutscher Bildung. Und doch
fehlt es da nicht an gewaltigen Eindrücken, an großen Erinnerungen,
die ein Menschenleben zu erfüllen im Stande sind, auch nicht an
begabten Naturen und frischen Talenten, deren erstes Aufblühen in
heimischen Kreisen stets gerechte und begeisterte Hoffnungen weckt. --
Woher diese Klagen hüben und drüben, die beide gar wohl begrün¬
det find?

Betrachten wir den Lauf dieser zahllosen lyrischen Bächlein und
horchen wir ihrem Rauschen. Sind es die Wasser Babylons, an
deren Ufern die Trauerweide mit aufgehängten Harfen lehnt? Will
man vielleicht deshalb so wenig von ihrem Rauschen hören, weil sie
voll eintöniger Klage sind? Nein, sie rauschen eben gar nicht; es
sind stumme Gewässer mit glänzenden, glatten Wellen, die den blauen
Himmel und die romantischen Ufer zuweilen sehr malerisch abspiegeln ;
es sind oft gar keine Bäche, sondern künstlich gegrabene Kanäle der



*) Siehe Nro. I der "Grenzboten".
Literarische Uebersichten.
Deutsche Literatur in Böhmen.»)



II.

Allgemein ist in Norddeutschland die Klage, daß aus Oester¬
reich, oder doch aus den Provinzen, Nichts als zahllose lyrische Bächlein
in die deutsche Literatur fallen; während dort wieder die Klage laut
wird, daß so wenig Sympathie diesem deutschen Gesang aus Böhmen
werde; vereinsamt, ohne den segnenden Sonnenschein des Ruhmes,
welke der deutsche Sänger im herbstkühlen, düsteren Schatten des
Slaventhums hin, den die alte Czechenstadt wirft. — Und doch ist
Böhmen so reich an Deutschen und deutscher Bildung. Und doch
fehlt es da nicht an gewaltigen Eindrücken, an großen Erinnerungen,
die ein Menschenleben zu erfüllen im Stande sind, auch nicht an
begabten Naturen und frischen Talenten, deren erstes Aufblühen in
heimischen Kreisen stets gerechte und begeisterte Hoffnungen weckt. —
Woher diese Klagen hüben und drüben, die beide gar wohl begrün¬
det find?

Betrachten wir den Lauf dieser zahllosen lyrischen Bächlein und
horchen wir ihrem Rauschen. Sind es die Wasser Babylons, an
deren Ufern die Trauerweide mit aufgehängten Harfen lehnt? Will
man vielleicht deshalb so wenig von ihrem Rauschen hören, weil sie
voll eintöniger Klage sind? Nein, sie rauschen eben gar nicht; es
sind stumme Gewässer mit glänzenden, glatten Wellen, die den blauen
Himmel und die romantischen Ufer zuweilen sehr malerisch abspiegeln ;
es sind oft gar keine Bäche, sondern künstlich gegrabene Kanäle der



*) Siehe Nro. I der „Grenzboten".
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[0102] Literarische Uebersichten. Deutsche Literatur in Böhmen.») II. Allgemein ist in Norddeutschland die Klage, daß aus Oester¬ reich, oder doch aus den Provinzen, Nichts als zahllose lyrische Bächlein in die deutsche Literatur fallen; während dort wieder die Klage laut wird, daß so wenig Sympathie diesem deutschen Gesang aus Böhmen werde; vereinsamt, ohne den segnenden Sonnenschein des Ruhmes, welke der deutsche Sänger im herbstkühlen, düsteren Schatten des Slaventhums hin, den die alte Czechenstadt wirft. — Und doch ist Böhmen so reich an Deutschen und deutscher Bildung. Und doch fehlt es da nicht an gewaltigen Eindrücken, an großen Erinnerungen, die ein Menschenleben zu erfüllen im Stande sind, auch nicht an begabten Naturen und frischen Talenten, deren erstes Aufblühen in heimischen Kreisen stets gerechte und begeisterte Hoffnungen weckt. — Woher diese Klagen hüben und drüben, die beide gar wohl begrün¬ det find? Betrachten wir den Lauf dieser zahllosen lyrischen Bächlein und horchen wir ihrem Rauschen. Sind es die Wasser Babylons, an deren Ufern die Trauerweide mit aufgehängten Harfen lehnt? Will man vielleicht deshalb so wenig von ihrem Rauschen hören, weil sie voll eintöniger Klage sind? Nein, sie rauschen eben gar nicht; es sind stumme Gewässer mit glänzenden, glatten Wellen, die den blauen Himmel und die romantischen Ufer zuweilen sehr malerisch abspiegeln ; es sind oft gar keine Bäche, sondern künstlich gegrabene Kanäle der *) Siehe Nro. I der „Grenzboten".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/102>, abgerufen am 29.06.2024.