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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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liegenden Werke und dem bedeutendsten TlMe unserer Literatur bekannt
zu machen. Die Zeit, wovon hier die Rede sein wird, befaßt die Blüthe
der deutschen Poesie, von Göthes Jugend, zu.Anfange der siebenziger
Jahre, bis zu den Befreiungskriegen. Der Verfasser Heile sie in vier
Hauptabschnitte, welche den .fünfzehnten bis achtzehnten des ganzen Wer¬
kes ausmachen. --

Der erste dieser Abschnitte, dessen Anfang sich schon im vierten Bande
findet, schildert den "Umsturz der conventionellen Dichtung durch Verjüngung
der Nationalpoesie"; es ist dies, nach Gervinus Ausdruck, die "Periode
der Originalgenies//. Wir begegnen da einer Menge starker, stürmen¬
der Geister; wie im Mittelalter die Liebe, so galt-jetzt die Natur als
Losungswort. Alles Veraltete, Erstarrte wird abgethan, gegen die aus
dem Alterthum, aus Frankreich und England entlehnten Weisen macht'
sich eine schöpferische Imagination, die ursprüngliche Produktion, das
Genie Bahn. Unter den zahllosen Strebern, die sich damals hervor¬
thaten, hat indeß nur Göthe in der'Dichtkunst sofort das Rechte getrof¬
fen, während der Mann, der zunächst neben ihm genannt werden muß,
Herder, mehr im wissenschaftlichen Gebiete bedeutend war.

Zuerst werden wir nach Preußen geführt, von wo Herder aus¬
ging, der nicht so sehr durch eigne Produktionen, als durch tiefe Ideen,
durch gesunde Anregungen aller Art der Dichtung einen mächtigen Im¬
puls gab. Er ist darin der Nachfolger Lessin gs, Welcher durch eine
geläuterte Kritik, durch klare Unterscheidung des Richtigen die ganze fol¬
gende Epoche eingeleitet hatte. Herder kehrt aller Nachahmung und Ue¬
bercultur den Rücken, um dem originalen Gesang, der Natur und der
Jugend der Völker sich zuzuwenden,, und die Stimmen fremden Liedes
bei uns heimisch zu machen. Kühn, rasch, aufrüttelnd greift er in die
Geschichte, in die Natur, Kunst und Wissenschaft, immer voll Liebe,
voll Hingebung an seinen Gegenstand. Sehr treffend zeichnet Gervinus
als Herders Grundcharakter aus: "das Ich aufzugeben". Daher, be¬
merkt er, fand er sich so gut in fremden Geist, liebte die Naturgesänge,
die keinem Einzelnen zugehören. -- Auf der andern Seite richtet sich
unser Blick nach den Rheinlanden, wo Göthe auftrat. In ihm erken¬
nen wir, bei ursprünglich receptiver Anlage, die Neigung sich abzuson¬
dern, die Massen und das öffentliche Leben von sich abzuwehren. Bei
Göthe hat Alles einen realistischen Boden, alle Dichtungen sind bei ,'den '
"Bruchstücke eines Lcbensbekenntmsseö//; Alles knüpft sich in ihm an die
reiche, mächtige Persönlichkeit. Wie er selber im Götz sagt, den Dich-


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liegenden Werke und dem bedeutendsten TlMe unserer Literatur bekannt
zu machen. Die Zeit, wovon hier die Rede sein wird, befaßt die Blüthe
der deutschen Poesie, von Göthes Jugend, zu.Anfange der siebenziger
Jahre, bis zu den Befreiungskriegen. Der Verfasser Heile sie in vier
Hauptabschnitte, welche den .fünfzehnten bis achtzehnten des ganzen Wer¬
kes ausmachen. —

Der erste dieser Abschnitte, dessen Anfang sich schon im vierten Bande
findet, schildert den „Umsturz der conventionellen Dichtung durch Verjüngung
der Nationalpoesie"; es ist dies, nach Gervinus Ausdruck, die »Periode
der Originalgenies//. Wir begegnen da einer Menge starker, stürmen¬
der Geister; wie im Mittelalter die Liebe, so galt-jetzt die Natur als
Losungswort. Alles Veraltete, Erstarrte wird abgethan, gegen die aus
dem Alterthum, aus Frankreich und England entlehnten Weisen macht'
sich eine schöpferische Imagination, die ursprüngliche Produktion, das
Genie Bahn. Unter den zahllosen Strebern, die sich damals hervor¬
thaten, hat indeß nur Göthe in der'Dichtkunst sofort das Rechte getrof¬
fen, während der Mann, der zunächst neben ihm genannt werden muß,
Herder, mehr im wissenschaftlichen Gebiete bedeutend war.

Zuerst werden wir nach Preußen geführt, von wo Herder aus¬
ging, der nicht so sehr durch eigne Produktionen, als durch tiefe Ideen,
durch gesunde Anregungen aller Art der Dichtung einen mächtigen Im¬
puls gab. Er ist darin der Nachfolger Lessin gs, Welcher durch eine
geläuterte Kritik, durch klare Unterscheidung des Richtigen die ganze fol¬
gende Epoche eingeleitet hatte. Herder kehrt aller Nachahmung und Ue¬
bercultur den Rücken, um dem originalen Gesang, der Natur und der
Jugend der Völker sich zuzuwenden,, und die Stimmen fremden Liedes
bei uns heimisch zu machen. Kühn, rasch, aufrüttelnd greift er in die
Geschichte, in die Natur, Kunst und Wissenschaft, immer voll Liebe,
voll Hingebung an seinen Gegenstand. Sehr treffend zeichnet Gervinus
als Herders Grundcharakter aus: «das Ich aufzugeben". Daher, be¬
merkt er, fand er sich so gut in fremden Geist, liebte die Naturgesänge,
die keinem Einzelnen zugehören. — Auf der andern Seite richtet sich
unser Blick nach den Rheinlanden, wo Göthe auftrat. In ihm erken¬
nen wir, bei ursprünglich receptiver Anlage, die Neigung sich abzuson¬
dern, die Massen und das öffentliche Leben von sich abzuwehren. Bei
Göthe hat Alles einen realistischen Boden, alle Dichtungen sind bei ,'den '
»Bruchstücke eines Lcbensbekenntmsseö//; Alles knüpft sich in ihm an die
reiche, mächtige Persönlichkeit. Wie er selber im Götz sagt, den Dich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/93>, abgerufen am 23.07.2024.