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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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ter machte das von Einem-Gefühle, guy erfüllte HctF, das innere Er¬
leben., Durch seine ganze, lange Dichterlaufbahn, konnte er bon der
Richtung nicht abweichen, //das was ihn freute, oder quälte, oder be¬
schäftigte .in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit sich
abzuschließen//. Dadurch unterschied sich Göthe von Klopstock, daß' er^
immer bei der Bewältigung des Gefühles angelangt war, wenn er eins
Werk ging, während Klopstock unter der, Herrschaft seiner Empfindun¬
gen schrieb. Daher bei Göthe die Ruhe,, die Klarheit, der Frieden,'
welche den wahren Genius ankündigen und, die ihn in den Stand setz¬
ten, bei lebhafte! Empfänglichkeit, zwischen- sich und den äußern Dingen
eine Schranke zu befestigen. Herdern kann man als Pädagogen und'
Arzt des ,jungen Göthe ansehn; er verleidete ihm in Straßburg die klein¬
lichen Vergnügungen und Liebhabereien, denen er gerne nachhing, raffte
ihn mit sich aus seinen hohen Standpunkt empor, gab ihm Selbstver¬
trauen,- und ließ ihn die Armseligkeit der damaligen Literatur erkennen.
Durch seine ersten zwei, Werke verwandelte Göthe, mit Einem Schlage,
die Gestalt der deutschen Poesie, er errang für dieselbe einen entscheiden¬
den Sieg über alle fremden Einflüsse. In dem Götz machte sich das
Freiheitsgefühl, Luft, das , die Jugend zu ergreifen anfing/ Es war die
Zeit, als Friedrich der Große den norddeutschen Staat gründete, und
als in Amerika-der Unabhängigkeitskampf ausbrach. Gervinus chanR-
texisirt dies Wer! folgendermaßen: //Wie das Genie im Poetischen und
im Moralischen sich selbst Gesetz sein sollte, so erscheint hier ein großer
Mann in anarchischen Zeiten an der Stelle des politischen Gesetzes". Doch
wird mit Recht ^beigefügt > daß das Imposante, das Welthistorische jener
Zeit im Götheschen Dram" nicht heraustrete. Ich möchte den Götz ein
Ritterstück in der besten Bedeutung nennen, ein NeichSstück aber ist, es
nicht, und keine der darin spielenden Personen thut für ein solches Ge¬
nüge. In seinem Werther/ sagt, Gervinus, stellt Göthe //ein Bild-des
moralischen Genies auf, in Beziehung auf unsere gesellschaftlichen Ver¬
hältnisse//. Als ,/moralisches Genie// zu gelten, scheint, mir Werther
nicht bedeutend genug; er erliegt der Leidenschaft, der unglücklichen Liebe;
es läßt sich nicht behaupten, daß er ,/alle Welt bekriegt"; denn die Welt
dient ihm nur als Stoff einer Sentimentalität, die nicht aus ihrem Kreise
tritt,- Er müßte Reaktion besitzen, um mit dem Genie Verwandtschaft
zu haben. Erst bei Schiller wird uns das moralische Genie vorgeführt.
Rand einer'Zwischenzeit minder, wichtiger Erscheinungen und kritischer
Fehden, sehen'wir,den,-Dichter, um's-Jahr 1776, am Hofe zik Wei-


ter machte das von Einem-Gefühle, guy erfüllte HctF, das innere Er¬
leben., Durch seine ganze, lange Dichterlaufbahn, konnte er bon der
Richtung nicht abweichen, //das was ihn freute, oder quälte, oder be¬
schäftigte .in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit sich
abzuschließen//. Dadurch unterschied sich Göthe von Klopstock, daß' er^
immer bei der Bewältigung des Gefühles angelangt war, wenn er eins
Werk ging, während Klopstock unter der, Herrschaft seiner Empfindun¬
gen schrieb. Daher bei Göthe die Ruhe,, die Klarheit, der Frieden,'
welche den wahren Genius ankündigen und, die ihn in den Stand setz¬
ten, bei lebhafte! Empfänglichkeit, zwischen- sich und den äußern Dingen
eine Schranke zu befestigen. Herdern kann man als Pädagogen und'
Arzt des ,jungen Göthe ansehn; er verleidete ihm in Straßburg die klein¬
lichen Vergnügungen und Liebhabereien, denen er gerne nachhing, raffte
ihn mit sich aus seinen hohen Standpunkt empor, gab ihm Selbstver¬
trauen,- und ließ ihn die Armseligkeit der damaligen Literatur erkennen.
Durch seine ersten zwei, Werke verwandelte Göthe, mit Einem Schlage,
die Gestalt der deutschen Poesie, er errang für dieselbe einen entscheiden¬
den Sieg über alle fremden Einflüsse. In dem Götz machte sich das
Freiheitsgefühl, Luft, das , die Jugend zu ergreifen anfing/ Es war die
Zeit, als Friedrich der Große den norddeutschen Staat gründete, und
als in Amerika-der Unabhängigkeitskampf ausbrach. Gervinus chanR-
texisirt dies Wer! folgendermaßen: //Wie das Genie im Poetischen und
im Moralischen sich selbst Gesetz sein sollte, so erscheint hier ein großer
Mann in anarchischen Zeiten an der Stelle des politischen Gesetzes". Doch
wird mit Recht ^beigefügt > daß das Imposante, das Welthistorische jener
Zeit im Götheschen Dram» nicht heraustrete. Ich möchte den Götz ein
Ritterstück in der besten Bedeutung nennen, ein NeichSstück aber ist, es
nicht, und keine der darin spielenden Personen thut für ein solches Ge¬
nüge. In seinem Werther/ sagt, Gervinus, stellt Göthe //ein Bild-des
moralischen Genies auf, in Beziehung auf unsere gesellschaftlichen Ver¬
hältnisse//. Als ,/moralisches Genie// zu gelten, scheint, mir Werther
nicht bedeutend genug; er erliegt der Leidenschaft, der unglücklichen Liebe;
es läßt sich nicht behaupten, daß er ,/alle Welt bekriegt"; denn die Welt
dient ihm nur als Stoff einer Sentimentalität, die nicht aus ihrem Kreise
tritt,- Er müßte Reaktion besitzen, um mit dem Genie Verwandtschaft
zu haben. Erst bei Schiller wird uns das moralische Genie vorgeführt.
Rand einer'Zwischenzeit minder, wichtiger Erscheinungen und kritischer
Fehden, sehen'wir,den,-Dichter, um's-Jahr 1776, am Hofe zik Wei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/94>, abgerufen am 23.07.2024.