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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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ein tausendfaches Echo ihm daraus zurückerschallen werde -- er horcht,
er harrt -- umsonst, seine Stimme ist verhallt. Liegt dieses am Au¬
tor? -- O nein, aber an den Auto ren liegt'S. -- Der erste Feind
zieht den zweiten nach sich. Ein gutes Buch war sonst ein Meteor,
alle Augen richteten sich aus es, alle HSnde griffen darnach, alle Mäu¬
ler sprachen davon. Jetzt fliegen die Meteore wie die Maikäfer am li¬
terarischen Horizonte seinen, zehn gute Bücher erscheinen auf Einmal;
wirklich gute Bücher, jedes will und verdient gelesen zu werden. Wel¬
ches soll man zuerst in die Hand nehmen? Das Auge wird satt, wenn
es den dicken Meßkatalog überschaut. So viele neue Bücher! Und die
älteren wollen doch auch gelesen sein. Die Arbeit übersteigt die Kräfte,
man legt die Hände in den Schooß -- und thut oft gerade nichts!

Und nun erst der papierne Feind, die Heuschreckenplage unseres
Jahrhunderts -- die fliegenden Blatter, die Journale! Jener Boden,
welchem der emsige, sinnende Schriftsteller seine Saat anvertraut, das
Gedächtniß, die Aufmerksamkeit der Leser, wie wird er von jenen Heu-
schrecken^zerstöri! Jene schillernde Mosaik von kleinen bunten Steinchen,
welche den weißen Raum so vieler Tagblätter einnimmt, wie schwächt
sie das Auge, nicht das Physische allein, das geistige in einem weit hö¬
heren Grade. Man vergleiche unsere deutschen Journale nicht mit den
französischen und englischen. Dort, wo jedes Blatt seine bestimmte Farbe
und Lesekreise hat, wird das Auge nicht so geschwächt, der Geist nicht
so zerstreut. Der Engländer setzt sich früh mit seinem Normn^-L!"!-".
nicke nieder, und seine ungeheueren Spalten versehen ihn mit Nahrung
bis zum Abend. -- Der deutsche Journallcser tritt in den Lesecirkel, in
das Kaffeehaus, und verläßt es nicht eher, als bis er zum allerwenig¬
sten ein halbes Schock von Tagblättern verschlungen hat., Tretet aber
nur hin zu einem solchen Haifisch und fragt um Neuigkeiten, so werdet
ihr seine Verlegenheit sehen. Sein Nachbar, der nur ein oder zwei
Journale gelesen hat, wird euch viel eher dienen können. Und weß-
halb? Weil in der Masse des Gelesenen Eins das Andere verdrängt,
weil man verschlingt und nicht genießt; weil man Gedächtniß und Auf¬
merksamkeit zu einem Straußenmagen versteint, >r unempfindlich ist,
ob er Steine oder Austern verzehrt. Nichts befördert Gedankenlosigkeit
und oberflächliches Vorüberfliegen mehr, als unmäßige Journallektüre.
Der Schriftsteller, dessen Gedankenschiff schwerer befrachtet ist als die
gewöhnlichen Dampfböte, ist verloren, wenn er dem seichten Wasser und
dem lockeren Boden jener Küsten sich naht. Sein Anker findet keinen


ein tausendfaches Echo ihm daraus zurückerschallen werde — er horcht,
er harrt — umsonst, seine Stimme ist verhallt. Liegt dieses am Au¬
tor? — O nein, aber an den Auto ren liegt'S. — Der erste Feind
zieht den zweiten nach sich. Ein gutes Buch war sonst ein Meteor,
alle Augen richteten sich aus es, alle HSnde griffen darnach, alle Mäu¬
ler sprachen davon. Jetzt fliegen die Meteore wie die Maikäfer am li¬
terarischen Horizonte seinen, zehn gute Bücher erscheinen auf Einmal;
wirklich gute Bücher, jedes will und verdient gelesen zu werden. Wel¬
ches soll man zuerst in die Hand nehmen? Das Auge wird satt, wenn
es den dicken Meßkatalog überschaut. So viele neue Bücher! Und die
älteren wollen doch auch gelesen sein. Die Arbeit übersteigt die Kräfte,
man legt die Hände in den Schooß — und thut oft gerade nichts!

Und nun erst der papierne Feind, die Heuschreckenplage unseres
Jahrhunderts — die fliegenden Blatter, die Journale! Jener Boden,
welchem der emsige, sinnende Schriftsteller seine Saat anvertraut, das
Gedächtniß, die Aufmerksamkeit der Leser, wie wird er von jenen Heu-
schrecken^zerstöri! Jene schillernde Mosaik von kleinen bunten Steinchen,
welche den weißen Raum so vieler Tagblätter einnimmt, wie schwächt
sie das Auge, nicht das Physische allein, das geistige in einem weit hö¬
heren Grade. Man vergleiche unsere deutschen Journale nicht mit den
französischen und englischen. Dort, wo jedes Blatt seine bestimmte Farbe
und Lesekreise hat, wird das Auge nicht so geschwächt, der Geist nicht
so zerstreut. Der Engländer setzt sich früh mit seinem Normn^-L!»!-«.
nicke nieder, und seine ungeheueren Spalten versehen ihn mit Nahrung
bis zum Abend. — Der deutsche Journallcser tritt in den Lesecirkel, in
das Kaffeehaus, und verläßt es nicht eher, als bis er zum allerwenig¬
sten ein halbes Schock von Tagblättern verschlungen hat., Tretet aber
nur hin zu einem solchen Haifisch und fragt um Neuigkeiten, so werdet
ihr seine Verlegenheit sehen. Sein Nachbar, der nur ein oder zwei
Journale gelesen hat, wird euch viel eher dienen können. Und weß-
halb? Weil in der Masse des Gelesenen Eins das Andere verdrängt,
weil man verschlingt und nicht genießt; weil man Gedächtniß und Auf¬
merksamkeit zu einem Straußenmagen versteint, >r unempfindlich ist,
ob er Steine oder Austern verzehrt. Nichts befördert Gedankenlosigkeit
und oberflächliches Vorüberfliegen mehr, als unmäßige Journallektüre.
Der Schriftsteller, dessen Gedankenschiff schwerer befrachtet ist als die
gewöhnlichen Dampfböte, ist verloren, wenn er dem seichten Wasser und
dem lockeren Boden jener Küsten sich naht. Sein Anker findet keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/675>, abgerufen am 02.07.2024.