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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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- Aber die Damen sind von ihren Balkonen, wo sie den Turnier¬
platz ruhig überschauten, jetzt herabgestiegen, und sind geharnischt und
gerüstet auf Hohen Rossen selbst in die Schranken eingeritten! Sie wol¬
len nicht mehr die Kampfrichter sein, und den Preis dem Sieger er¬
theilen, sie wollen selbst kämpfen und den Preis erringen" Im Ge¬
dränge sieht man die Federn ihrer Helmbüsche schwanken; aber es ist
nicht mehr der weiße Reiher, der sich sanft dem Kosen der Lüste über¬
läßt, sondern es sind feste, steife Schreibfedern, mit Tinte schwärz ge¬
färbet.

So hat die Sucht zu urtheilen, und die Wuth zu schreiben, sich
aller Köpfe bemächtigt; es ist ein wildes Gedränge, ein großer Einzcl-
kampf! Aber wo sind die Zuschauer? Die Poesie, die schöne Litera¬
tur ist kein Schlachtfeld, wo der Tod den Ausschlag gibt. Hier ist
Leben das Losungswort, es ist ein freundliches Kampfspiel, um seine
Kraft zu zeigen und die Zuschauer zu erfreuen. Aber wo sind diese Zu¬
schauer? Für wen schreibt der Dichter? Alles ist Partei geworden,
wo ist das Publikum? --

-' Aber -- wendet man ein -- ist nicht mit der Zahl der Schreiben¬
den auch die der Lesenden gestiegen? Nicht zu leugnen. Aber in wel¬
chem Verhältnisse? -Wie viel emsiger'ist die andauerte Hand als das
verschlingende Auge, wie viel fleißiger trifft man um Mitternacht den
Setzer bei dem Druckkasten, als den Leser bei der Ahllmnpe! Man wird
sagen: "Warum producirt die Druckerpresse so viel, wenn der Absatz
wirklich so gering wäre? Ist nicht.aus der Geschäftigkeit der Verleger
auf die große Zahl der Abnehmer zu schließen? -- Auch das will ich
zugeben! Allein sind Abnehmer denn auch immer Leser? -- Hier
stehen wir bei dem zweiten Feind des Schriftstellers, bei dem Feind aus
Holz, man nennt ihn: Bücherkasten.. Seitdem es Mode geworden
ist,-gebildet zu sein, ward es auch Mode, gebildet zu scheinen. Der
Kor ton verlangt seinen Tribut, zu dem vollständigen Möblemcnt
eines vornehmen Hauses gehört eine zierliche Handbibliothek, und so
prunkt ein Buch, das in früherer Zeit abgerissen, beschmutzt und zerle¬
sen von einer Hand zur andern gegangen, in Prachtband und kostbarem
Schmuck hinter den Glasscheiben eines eleganten Bücher-Gefängnisses:
Dem Buchhändler genügt dieß, sein Absatz ist gemacht; kann aber auch
der Autor damit zufrieden sein? Er, der mit der besten Kraft seiner
Stimme in den grünen Wald hinein rief, in freudiger Erwartung, daß


- Aber die Damen sind von ihren Balkonen, wo sie den Turnier¬
platz ruhig überschauten, jetzt herabgestiegen, und sind geharnischt und
gerüstet auf Hohen Rossen selbst in die Schranken eingeritten! Sie wol¬
len nicht mehr die Kampfrichter sein, und den Preis dem Sieger er¬
theilen, sie wollen selbst kämpfen und den Preis erringen» Im Ge¬
dränge sieht man die Federn ihrer Helmbüsche schwanken; aber es ist
nicht mehr der weiße Reiher, der sich sanft dem Kosen der Lüste über¬
läßt, sondern es sind feste, steife Schreibfedern, mit Tinte schwärz ge¬
färbet.

So hat die Sucht zu urtheilen, und die Wuth zu schreiben, sich
aller Köpfe bemächtigt; es ist ein wildes Gedränge, ein großer Einzcl-
kampf! Aber wo sind die Zuschauer? Die Poesie, die schöne Litera¬
tur ist kein Schlachtfeld, wo der Tod den Ausschlag gibt. Hier ist
Leben das Losungswort, es ist ein freundliches Kampfspiel, um seine
Kraft zu zeigen und die Zuschauer zu erfreuen. Aber wo sind diese Zu¬
schauer? Für wen schreibt der Dichter? Alles ist Partei geworden,
wo ist das Publikum? —

-' Aber — wendet man ein — ist nicht mit der Zahl der Schreiben¬
den auch die der Lesenden gestiegen? Nicht zu leugnen. Aber in wel¬
chem Verhältnisse? -Wie viel emsiger'ist die andauerte Hand als das
verschlingende Auge, wie viel fleißiger trifft man um Mitternacht den
Setzer bei dem Druckkasten, als den Leser bei der Ahllmnpe! Man wird
sagen: „Warum producirt die Druckerpresse so viel, wenn der Absatz
wirklich so gering wäre? Ist nicht.aus der Geschäftigkeit der Verleger
auf die große Zahl der Abnehmer zu schließen? — Auch das will ich
zugeben! Allein sind Abnehmer denn auch immer Leser? — Hier
stehen wir bei dem zweiten Feind des Schriftstellers, bei dem Feind aus
Holz, man nennt ihn: Bücherkasten.. Seitdem es Mode geworden
ist,-gebildet zu sein, ward es auch Mode, gebildet zu scheinen. Der
Kor ton verlangt seinen Tribut, zu dem vollständigen Möblemcnt
eines vornehmen Hauses gehört eine zierliche Handbibliothek, und so
prunkt ein Buch, das in früherer Zeit abgerissen, beschmutzt und zerle¬
sen von einer Hand zur andern gegangen, in Prachtband und kostbarem
Schmuck hinter den Glasscheiben eines eleganten Bücher-Gefängnisses:
Dem Buchhändler genügt dieß, sein Absatz ist gemacht; kann aber auch
der Autor damit zufrieden sein? Er, der mit der besten Kraft seiner
Stimme in den grünen Wald hinein rief, in freudiger Erwartung, daß


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[0674] - Aber die Damen sind von ihren Balkonen, wo sie den Turnier¬ platz ruhig überschauten, jetzt herabgestiegen, und sind geharnischt und gerüstet auf Hohen Rossen selbst in die Schranken eingeritten! Sie wol¬ len nicht mehr die Kampfrichter sein, und den Preis dem Sieger er¬ theilen, sie wollen selbst kämpfen und den Preis erringen» Im Ge¬ dränge sieht man die Federn ihrer Helmbüsche schwanken; aber es ist nicht mehr der weiße Reiher, der sich sanft dem Kosen der Lüste über¬ läßt, sondern es sind feste, steife Schreibfedern, mit Tinte schwärz ge¬ färbet. So hat die Sucht zu urtheilen, und die Wuth zu schreiben, sich aller Köpfe bemächtigt; es ist ein wildes Gedränge, ein großer Einzcl- kampf! Aber wo sind die Zuschauer? Die Poesie, die schöne Litera¬ tur ist kein Schlachtfeld, wo der Tod den Ausschlag gibt. Hier ist Leben das Losungswort, es ist ein freundliches Kampfspiel, um seine Kraft zu zeigen und die Zuschauer zu erfreuen. Aber wo sind diese Zu¬ schauer? Für wen schreibt der Dichter? Alles ist Partei geworden, wo ist das Publikum? — -' Aber — wendet man ein — ist nicht mit der Zahl der Schreiben¬ den auch die der Lesenden gestiegen? Nicht zu leugnen. Aber in wel¬ chem Verhältnisse? -Wie viel emsiger'ist die andauerte Hand als das verschlingende Auge, wie viel fleißiger trifft man um Mitternacht den Setzer bei dem Druckkasten, als den Leser bei der Ahllmnpe! Man wird sagen: „Warum producirt die Druckerpresse so viel, wenn der Absatz wirklich so gering wäre? Ist nicht.aus der Geschäftigkeit der Verleger auf die große Zahl der Abnehmer zu schließen? — Auch das will ich zugeben! Allein sind Abnehmer denn auch immer Leser? — Hier stehen wir bei dem zweiten Feind des Schriftstellers, bei dem Feind aus Holz, man nennt ihn: Bücherkasten.. Seitdem es Mode geworden ist,-gebildet zu sein, ward es auch Mode, gebildet zu scheinen. Der Kor ton verlangt seinen Tribut, zu dem vollständigen Möblemcnt eines vornehmen Hauses gehört eine zierliche Handbibliothek, und so prunkt ein Buch, das in früherer Zeit abgerissen, beschmutzt und zerle¬ sen von einer Hand zur andern gegangen, in Prachtband und kostbarem Schmuck hinter den Glasscheiben eines eleganten Bücher-Gefängnisses: Dem Buchhändler genügt dieß, sein Absatz ist gemacht; kann aber auch der Autor damit zufrieden sein? Er, der mit der besten Kraft seiner Stimme in den grünen Wald hinein rief, in freudiger Erwartung, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/674>, abgerufen am 04.07.2024.