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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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einflößt hat. Dieses Publikum ist die Richtschnur für den französischen
Dichter und Schriftsteller; er strebt ihm zu gefallen, und er kann bei
der Wahl der rechten Mittel auch sicher sein, das Ziel zu erreichen!

Nicht so in Deutschland. Hier sind unvermerkt Hunderte von be¬
sonderen Gerichtshöfen entstanden, von welchen ein jeder ein gleiches
Privilegium in Anspruch nimmt. Der große Stein -- das Publikum
-- ist zu Boden gefallen, und hat sich in tausend kleine Stückchen zer¬
splittert. Jedes Land, jede Provinz, jede Stadt, jede Gasse, jedes Kaf¬
feehaus halt sich für das wahre Publikum, welches den"guten Geschmack
und das^währe, Ur-theil--allein- und ausschließend besitzt: - -ein Jeder rich¬
tet seine eigene Gerichtsbank auf. Für wen soll nun der Schriftsteller
schreiben? Die Meinungen ändern sich in jedem Stadtviertel; die klei¬
nen PuMchen lösen sich einander, wie Patrouillen, von ihren Posten
ab,, und jedes hat em? eigene Parole. Vormittags heißt sie: "vor?
trefflich,!" Nachmittags': ,/miserabel!" Abends : "unerhört!" , und
des andern Morgens wieder:, "göttlich!" Ein Rechtsspruch hebt den
andern auf. Ein Jeder ist Kunstkenner, daher sehr kritisch; ein'Jeder
ist-Literat,- und daher-eifersüchtig auf eines andern Ruhm; Es ist noch
nicht lange, wo man diesen Namen scheute; jetzt will ihn Jeder der
Natur- abtrotzen.-' - Ale Schriftstellerei- ist in Deutschland eit^Aali'vnaS
thet Morden,- et'ne'-ep'idem'tHe Krankheit,. -' /' '^
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- ---Ein Mensch., den man wenigstens- seit vierundzwanzig Jahren da¬
für hielt, geht nach Hause, und schläft über einem Buch ein. Es ttäumt
ihm, er sei ein Dichter, und dieser Traum prägt sich seinem Kopfe so
tief ein, daß er beim Erwachen noch daran glaubt.' Als ein Tropf ist
er eingeschlafen, als Genie ist er erwacht. Um seinen Traum, zu er¬
füllen, schreibt er. eine Tragödie, ein Drama, ein Lustspiel. Er laßt
seine Schöpfung drucken-, oder, was schlimmer ist, aufführen. ' Es ,ist
wahr, man läßt-ihm Gerechtigkeit widerfahren: man zischt ihn aus ;
er ist' jetzt noch ein größerer Narr, als zuvor, d. h. sonst war er es
insgeheim, jetzt ist-'er es- öffentlich. Allein, was t'hut das? -Sein Bei¬
spiel hat much nicht Einen abgeschreckt,- und Mancher-lacht ihn'heute
aus/der morgen'sein Affe wirt- Mellins auf- eine- andere' Art! Er
sieht - ein, -mit dem Theater geht'eS nicht;'die Kräfte desselben-sind- M
-sein Genie-zu beschränkt, die Schauspieler- sind nicht Mehr-von-der tzch-
'ten- alten -Schule-, die'Scenerie ist-in beschränkten-VeHältnissen,'-der-'Gs-
-Schmack- ist Verünter'-gekMmen.-- - Et-- läßt> lieber' Seite- Licht-'in Journalen
glänzen, wird Ä'nMschMäckcherb'esseret-"'und taire den Mageir-WüLS-


einflößt hat. Dieses Publikum ist die Richtschnur für den französischen
Dichter und Schriftsteller; er strebt ihm zu gefallen, und er kann bei
der Wahl der rechten Mittel auch sicher sein, das Ziel zu erreichen!

Nicht so in Deutschland. Hier sind unvermerkt Hunderte von be¬
sonderen Gerichtshöfen entstanden, von welchen ein jeder ein gleiches
Privilegium in Anspruch nimmt. Der große Stein — das Publikum
— ist zu Boden gefallen, und hat sich in tausend kleine Stückchen zer¬
splittert. Jedes Land, jede Provinz, jede Stadt, jede Gasse, jedes Kaf¬
feehaus halt sich für das wahre Publikum, welches den"guten Geschmack
und das^währe, Ur-theil--allein- und ausschließend besitzt: - -ein Jeder rich¬
tet seine eigene Gerichtsbank auf. Für wen soll nun der Schriftsteller
schreiben? Die Meinungen ändern sich in jedem Stadtviertel; die klei¬
nen PuMchen lösen sich einander, wie Patrouillen, von ihren Posten
ab,, und jedes hat em? eigene Parole. Vormittags heißt sie: „vor?
trefflich,!" Nachmittags': ,/miserabel!" Abends : „unerhört!" , und
des andern Morgens wieder:, „göttlich!" Ein Rechtsspruch hebt den
andern auf. Ein Jeder ist Kunstkenner, daher sehr kritisch; ein'Jeder
ist-Literat,- und daher-eifersüchtig auf eines andern Ruhm; Es ist noch
nicht lange, wo man diesen Namen scheute; jetzt will ihn Jeder der
Natur- abtrotzen.-' - Ale Schriftstellerei- ist in Deutschland eit^Aali'vnaS
thet Morden,- et'ne'-ep'idem'tHe Krankheit,. -' /' '^
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- ---Ein Mensch., den man wenigstens- seit vierundzwanzig Jahren da¬
für hielt, geht nach Hause, und schläft über einem Buch ein. Es ttäumt
ihm, er sei ein Dichter, und dieser Traum prägt sich seinem Kopfe so
tief ein, daß er beim Erwachen noch daran glaubt.' Als ein Tropf ist
er eingeschlafen, als Genie ist er erwacht. Um seinen Traum, zu er¬
füllen, schreibt er. eine Tragödie, ein Drama, ein Lustspiel. Er laßt
seine Schöpfung drucken-, oder, was schlimmer ist, aufführen. ' Es ,ist
wahr, man läßt-ihm Gerechtigkeit widerfahren: man zischt ihn aus ;
er ist' jetzt noch ein größerer Narr, als zuvor, d. h. sonst war er es
insgeheim, jetzt ist-'er es- öffentlich. Allein, was t'hut das? -Sein Bei¬
spiel hat much nicht Einen abgeschreckt,- und Mancher-lacht ihn'heute
aus/der morgen'sein Affe wirt- Mellins auf- eine- andere' Art! Er
sieht - ein, -mit dem Theater geht'eS nicht;'die Kräfte desselben-sind- M
-sein Genie-zu beschränkt, die Schauspieler- sind nicht Mehr-von-der tzch-
'ten- alten -Schule-, die'Scenerie ist-in beschränkten-VeHältnissen,'-der-'Gs-
-Schmack- ist Verünter'-gekMmen.-- - Et-- läßt> lieber' Seite- Licht-'in Journalen
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[0672] einflößt hat. Dieses Publikum ist die Richtschnur für den französischen Dichter und Schriftsteller; er strebt ihm zu gefallen, und er kann bei der Wahl der rechten Mittel auch sicher sein, das Ziel zu erreichen! Nicht so in Deutschland. Hier sind unvermerkt Hunderte von be¬ sonderen Gerichtshöfen entstanden, von welchen ein jeder ein gleiches Privilegium in Anspruch nimmt. Der große Stein — das Publikum — ist zu Boden gefallen, und hat sich in tausend kleine Stückchen zer¬ splittert. Jedes Land, jede Provinz, jede Stadt, jede Gasse, jedes Kaf¬ feehaus halt sich für das wahre Publikum, welches den"guten Geschmack und das^währe, Ur-theil--allein- und ausschließend besitzt: - -ein Jeder rich¬ tet seine eigene Gerichtsbank auf. Für wen soll nun der Schriftsteller schreiben? Die Meinungen ändern sich in jedem Stadtviertel; die klei¬ nen PuMchen lösen sich einander, wie Patrouillen, von ihren Posten ab,, und jedes hat em? eigene Parole. Vormittags heißt sie: „vor? trefflich,!" Nachmittags': ,/miserabel!" Abends : „unerhört!" , und des andern Morgens wieder:, „göttlich!" Ein Rechtsspruch hebt den andern auf. Ein Jeder ist Kunstkenner, daher sehr kritisch; ein'Jeder ist-Literat,- und daher-eifersüchtig auf eines andern Ruhm; Es ist noch nicht lange, wo man diesen Namen scheute; jetzt will ihn Jeder der Natur- abtrotzen.-' - Ale Schriftstellerei- ist in Deutschland eit^Aali'vnaS thet Morden,- et'ne'-ep'idem'tHe Krankheit,. -' /' '^ '' - ---Ein Mensch., den man wenigstens- seit vierundzwanzig Jahren da¬ für hielt, geht nach Hause, und schläft über einem Buch ein. Es ttäumt ihm, er sei ein Dichter, und dieser Traum prägt sich seinem Kopfe so tief ein, daß er beim Erwachen noch daran glaubt.' Als ein Tropf ist er eingeschlafen, als Genie ist er erwacht. Um seinen Traum, zu er¬ füllen, schreibt er. eine Tragödie, ein Drama, ein Lustspiel. Er laßt seine Schöpfung drucken-, oder, was schlimmer ist, aufführen. ' Es ,ist wahr, man läßt-ihm Gerechtigkeit widerfahren: man zischt ihn aus ; er ist' jetzt noch ein größerer Narr, als zuvor, d. h. sonst war er es insgeheim, jetzt ist-'er es- öffentlich. Allein, was t'hut das? -Sein Bei¬ spiel hat much nicht Einen abgeschreckt,- und Mancher-lacht ihn'heute aus/der morgen'sein Affe wirt- Mellins auf- eine- andere' Art! Er sieht - ein, -mit dem Theater geht'eS nicht;'die Kräfte desselben-sind- M -sein Genie-zu beschränkt, die Schauspieler- sind nicht Mehr-von-der tzch- 'ten- alten -Schule-, die'Scenerie ist-in beschränkten-VeHältnissen,'-der-'Gs- -Schmack- ist Verünter'-gekMmen.-- - Et-- läßt> lieber' Seite- Licht-'in Journalen glänzen, wird Ä'nMschMäckcherb'esseret-"'und taire den Mageir-WüLS-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/672>, abgerufen am 24.07.2024.