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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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was sage ich, ein Wolfgang 5,'enzel, ein grimmiger Franzosenftesser,
hätte nicht strenger richten können. Es sieht fast so aus, als sei der
,/Ehrendomherr an der Metropolitankirche zu Paris, Doctor der Theo¬
logie und Vorsteher des Collegiums zu Schletstadw, Herr Hunller, im
Herzen ein sehr schlechter französischer Patriot. Es wäre das schlimm;
und da ich ihn hier verrathe und denoneire, so könnte ihm das schaden"
Das aber sollte mir doch leid thun, und deswegen will ich ebenso ge¬
recht gegen ihn sein, wie er gegen Ludwig XIV. Es ist nicht so böse
gemeint mit dem strengen Urtheile, überdies) aber trifft es nur die That
und in'ehe den Thäter, wie es ganz christlich und mildthätig ist, und
sein soll.

Ein Jahr nach den Vorfällen, Ac den Geschichtschreiber von Col-
mar in so großen Eifer, in so naiven Gerechtigkeitszorn gegen Frank¬
reichs ,/großen" König setzen, dringen die Deutschen wieder in den El¬
saß ein, was nun freilich nicht ohne Krieg und Kriegsläufe statthaben
konnte. -- Da werden die Colmarcr Rache genommen haben, und auf¬
gestanden sein gegen den Feind ihrer Freiheit? Doch lassen wir den
Cvlmarer Geschichtschreiber noch einmal reden:

"Das Elsaß seufzte laut unter den Drangsalen, welche dasselbe
drückten, und die guten Einwohner hefteten sehnsuchtsvolle Blicke "--
auf -- auf '--e!i bien, auf wen denn? -- ,/auf das edle Frank¬
reichs ihr neues Vaterland,., das sie zu verlassen schien. Bald aber
zeigte sich der Held, der die Provinz retten sollte. Türenne eilte herbei
und schlug, die verbündeten Deutschen in drei Schlachten."

Dieser rasche Uebergang von 1673 auf 1674 hat abermals etwas
so wunderbarlich Naives, daß man darob nicht einmal dem Versasser
böse werden kann. An einem bestimmten Abende im Sommer des Jah¬
res 1673 legten sich die Elsasser sämmtlich als die bestmöglichsten Va¬
terlandsfreunde ihres alten Vaterlandes ins Bett, und stehen am an¬
dern Morgen ganz wie neugeboren auf, und sind die bestmöglichsten Pa¬
trioten ihres neuen Vaterlandes. Und so oft ein Elsasser, der über¬
haupt etwas Anlage zu Patriotismus hat, die Geschichte seines Landes
liest oder gar schreibt, ist er bis zur bestimmten Stunde des bestimmten
Tages, des bestimmten Jahres 1673 oder 1632, oder sonst eines Jah¬
res,' ein deutscher, und von dort an ein französischer Patriot. Daher



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was sage ich, ein Wolfgang 5,'enzel, ein grimmiger Franzosenftesser,
hätte nicht strenger richten können. Es sieht fast so aus, als sei der
,/Ehrendomherr an der Metropolitankirche zu Paris, Doctor der Theo¬
logie und Vorsteher des Collegiums zu Schletstadw, Herr Hunller, im
Herzen ein sehr schlechter französischer Patriot. Es wäre das schlimm;
und da ich ihn hier verrathe und denoneire, so könnte ihm das schaden»
Das aber sollte mir doch leid thun, und deswegen will ich ebenso ge¬
recht gegen ihn sein, wie er gegen Ludwig XIV. Es ist nicht so böse
gemeint mit dem strengen Urtheile, überdies) aber trifft es nur die That
und in'ehe den Thäter, wie es ganz christlich und mildthätig ist, und
sein soll.

Ein Jahr nach den Vorfällen, Ac den Geschichtschreiber von Col-
mar in so großen Eifer, in so naiven Gerechtigkeitszorn gegen Frank¬
reichs ,/großen" König setzen, dringen die Deutschen wieder in den El¬
saß ein, was nun freilich nicht ohne Krieg und Kriegsläufe statthaben
konnte. — Da werden die Colmarcr Rache genommen haben, und auf¬
gestanden sein gegen den Feind ihrer Freiheit? Doch lassen wir den
Cvlmarer Geschichtschreiber noch einmal reden:

„Das Elsaß seufzte laut unter den Drangsalen, welche dasselbe
drückten, und die guten Einwohner hefteten sehnsuchtsvolle Blicke „—
auf — auf '--e!i bien, auf wen denn? — ,/auf das edle Frank¬
reichs ihr neues Vaterland,., das sie zu verlassen schien. Bald aber
zeigte sich der Held, der die Provinz retten sollte. Türenne eilte herbei
und schlug, die verbündeten Deutschen in drei Schlachten."

Dieser rasche Uebergang von 1673 auf 1674 hat abermals etwas
so wunderbarlich Naives, daß man darob nicht einmal dem Versasser
böse werden kann. An einem bestimmten Abende im Sommer des Jah¬
res 1673 legten sich die Elsasser sämmtlich als die bestmöglichsten Va¬
terlandsfreunde ihres alten Vaterlandes ins Bett, und stehen am an¬
dern Morgen ganz wie neugeboren auf, und sind die bestmöglichsten Pa¬
trioten ihres neuen Vaterlandes. Und so oft ein Elsasser, der über¬
haupt etwas Anlage zu Patriotismus hat, die Geschichte seines Landes
liest oder gar schreibt, ist er bis zur bestimmten Stunde des bestimmten
Tages, des bestimmten Jahres 1673 oder 1632, oder sonst eines Jah¬
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[0596] was sage ich, ein Wolfgang 5,'enzel, ein grimmiger Franzosenftesser, hätte nicht strenger richten können. Es sieht fast so aus, als sei der ,/Ehrendomherr an der Metropolitankirche zu Paris, Doctor der Theo¬ logie und Vorsteher des Collegiums zu Schletstadw, Herr Hunller, im Herzen ein sehr schlechter französischer Patriot. Es wäre das schlimm; und da ich ihn hier verrathe und denoneire, so könnte ihm das schaden» Das aber sollte mir doch leid thun, und deswegen will ich ebenso ge¬ recht gegen ihn sein, wie er gegen Ludwig XIV. Es ist nicht so böse gemeint mit dem strengen Urtheile, überdies) aber trifft es nur die That und in'ehe den Thäter, wie es ganz christlich und mildthätig ist, und sein soll. Ein Jahr nach den Vorfällen, Ac den Geschichtschreiber von Col- mar in so großen Eifer, in so naiven Gerechtigkeitszorn gegen Frank¬ reichs ,/großen" König setzen, dringen die Deutschen wieder in den El¬ saß ein, was nun freilich nicht ohne Krieg und Kriegsläufe statthaben konnte. — Da werden die Colmarcr Rache genommen haben, und auf¬ gestanden sein gegen den Feind ihrer Freiheit? Doch lassen wir den Cvlmarer Geschichtschreiber noch einmal reden: „Das Elsaß seufzte laut unter den Drangsalen, welche dasselbe drückten, und die guten Einwohner hefteten sehnsuchtsvolle Blicke „— auf — auf '--e!i bien, auf wen denn? — ,/auf das edle Frank¬ reichs ihr neues Vaterland,., das sie zu verlassen schien. Bald aber zeigte sich der Held, der die Provinz retten sollte. Türenne eilte herbei und schlug, die verbündeten Deutschen in drei Schlachten." Dieser rasche Uebergang von 1673 auf 1674 hat abermals etwas so wunderbarlich Naives, daß man darob nicht einmal dem Versasser böse werden kann. An einem bestimmten Abende im Sommer des Jah¬ res 1673 legten sich die Elsasser sämmtlich als die bestmöglichsten Va¬ terlandsfreunde ihres alten Vaterlandes ins Bett, und stehen am an¬ dern Morgen ganz wie neugeboren auf, und sind die bestmöglichsten Pa¬ trioten ihres neuen Vaterlandes. Und so oft ein Elsasser, der über¬ haupt etwas Anlage zu Patriotismus hat, die Geschichte seines Landes liest oder gar schreibt, ist er bis zur bestimmten Stunde des bestimmten Tages, des bestimmten Jahres 1673 oder 1632, oder sonst eines Jah¬ res,' ein deutscher, und von dort an ein französischer Patriot. Daher ») 3Ä,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/596>, abgerufen am 25.08.2024.