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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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froher als Colmar. Mein Cicerone Wußte mir gar grausige Geschich¬
ten zu erzählen, und ich wäre, nachdem er den Schleier halbwegs ge¬
lüstet hatte, -- fast roth geworden.

Zeh gab später noch ein Paar Empfehlungsbriefe ab, und stieß
bei dieser Gelegenheit auf den Gegensiißler der Studenten und Grisetten.
,/Junge Grisetten alte Betschwestern, dachte ich, und daher kommt es
wohl, daß beide stets als zusainmengejochtes Zweigespann austreten. Wo
die Sinnlichkeit und Liederlichkeit groß, kann man sicher sein, daß der
Pietismus nicht klein. Einer der Hauptvertreter desselben, an den ich
empfohlen war, hielt mir eine Predigt, die mir um so weher that, als
der, der mir sie hielt, ein schöner junger und talentvoller Mann war.
"Der Glaube macht selig, und nur die Gnade ist die Ursache',des Wer¬
tes. Alles außer der Gnade aber ist Sünde und Nichts.,/ Auf den
Einwurf: wo dabei die Freiheit bleibe? wurde mir die Antwort, daß
es keine Freiheit des Willens gebe. Das Argument aciKomiiZLin wurde
durch die Unterscheidung zwischen Freiheit und Wahl bekämpft, da man
wohl die Wahl zugestand, aber nicht die Freiheit, indem die Wahl nur
Folge des Egoismus. --

Der Pietismus ist der an sich selbst verzweifelnde Menschenstolz,
die bankerot gewordene persönliche Eitelkeit, der rafinirtcste Egoismus,
den es, giebt.,-.. Mit oinem Stoßseufzer zwingt der Pietist. den lieben
Herrgottin Gnaden von- feinem Throne Herabzusteigen, und durch den
Beglückten./ der da glaubt,, zu handeln. So wird die Handlung des
Begnadigten el" unmittelbares' Werk Gottes,, vor dem der Demüthige
mit dem allerbescheidensten Stolze in den Staub sinkt-; -- ein Götzen¬
dienst, bei dein man sich selbst auf den Altar stellt, hinknieet und sich
selbst anbetet.,

' , Der begeisterte Selbstgötze, den ick) hier kennen lernte, sagte ganz-
ruhig von seinen Gegnern, daß diese Alle sehr wohl fühlten, wie er al¬
lein die, Wahrheit habe, und daher sich, obgleich sie anders dächten, doch-
von ihm gern den Stempel auf ihre Ansichten aufdrücken lassen möch¬
ten. "Sie sind unruhig, ich aber bin ruhig." -- Das ist natürlich
genug, denn das ist, das Geheimniß, das in dein Spruche: "Der Glaube
macht selig," oder auch: "Selig sind die Armen an Geist" liegt; aber
dieses Wunder d.'s Glaubens in der Geistesarmuth findet überall statt,
bei den Heiden, den Türken, den Juden, den Katholiken und Protestan¬
ten, den Pietisten- und den Antichristen. Doch genug vou diesem Inva-
lide-nglauben alto Sünder und Sünderinnen


froher als Colmar. Mein Cicerone Wußte mir gar grausige Geschich¬
ten zu erzählen, und ich wäre, nachdem er den Schleier halbwegs ge¬
lüstet hatte, — fast roth geworden.

Zeh gab später noch ein Paar Empfehlungsbriefe ab, und stieß
bei dieser Gelegenheit auf den Gegensiißler der Studenten und Grisetten.
,/Junge Grisetten alte Betschwestern, dachte ich, und daher kommt es
wohl, daß beide stets als zusainmengejochtes Zweigespann austreten. Wo
die Sinnlichkeit und Liederlichkeit groß, kann man sicher sein, daß der
Pietismus nicht klein. Einer der Hauptvertreter desselben, an den ich
empfohlen war, hielt mir eine Predigt, die mir um so weher that, als
der, der mir sie hielt, ein schöner junger und talentvoller Mann war.
„Der Glaube macht selig, und nur die Gnade ist die Ursache',des Wer¬
tes. Alles außer der Gnade aber ist Sünde und Nichts.,/ Auf den
Einwurf: wo dabei die Freiheit bleibe? wurde mir die Antwort, daß
es keine Freiheit des Willens gebe. Das Argument aciKomiiZLin wurde
durch die Unterscheidung zwischen Freiheit und Wahl bekämpft, da man
wohl die Wahl zugestand, aber nicht die Freiheit, indem die Wahl nur
Folge des Egoismus. —

Der Pietismus ist der an sich selbst verzweifelnde Menschenstolz,
die bankerot gewordene persönliche Eitelkeit, der rafinirtcste Egoismus,
den es, giebt.,-.. Mit oinem Stoßseufzer zwingt der Pietist. den lieben
Herrgottin Gnaden von- feinem Throne Herabzusteigen, und durch den
Beglückten./ der da glaubt,, zu handeln. So wird die Handlung des
Begnadigten el« unmittelbares' Werk Gottes,, vor dem der Demüthige
mit dem allerbescheidensten Stolze in den Staub sinkt-; — ein Götzen¬
dienst, bei dein man sich selbst auf den Altar stellt, hinknieet und sich
selbst anbetet.,

' , Der begeisterte Selbstgötze, den ick) hier kennen lernte, sagte ganz-
ruhig von seinen Gegnern, daß diese Alle sehr wohl fühlten, wie er al¬
lein die, Wahrheit habe, und daher sich, obgleich sie anders dächten, doch-
von ihm gern den Stempel auf ihre Ansichten aufdrücken lassen möch¬
ten. „Sie sind unruhig, ich aber bin ruhig." — Das ist natürlich
genug, denn das ist, das Geheimniß, das in dein Spruche: „Der Glaube
macht selig," oder auch: "Selig sind die Armen an Geist" liegt; aber
dieses Wunder d.'s Glaubens in der Geistesarmuth findet überall statt,
bei den Heiden, den Türken, den Juden, den Katholiken und Protestan¬
ten, den Pietisten- und den Antichristen. Doch genug vou diesem Inva-
lide-nglauben alto Sünder und Sünderinnen


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[0584] froher als Colmar. Mein Cicerone Wußte mir gar grausige Geschich¬ ten zu erzählen, und ich wäre, nachdem er den Schleier halbwegs ge¬ lüstet hatte, — fast roth geworden. Zeh gab später noch ein Paar Empfehlungsbriefe ab, und stieß bei dieser Gelegenheit auf den Gegensiißler der Studenten und Grisetten. ,/Junge Grisetten alte Betschwestern, dachte ich, und daher kommt es wohl, daß beide stets als zusainmengejochtes Zweigespann austreten. Wo die Sinnlichkeit und Liederlichkeit groß, kann man sicher sein, daß der Pietismus nicht klein. Einer der Hauptvertreter desselben, an den ich empfohlen war, hielt mir eine Predigt, die mir um so weher that, als der, der mir sie hielt, ein schöner junger und talentvoller Mann war. „Der Glaube macht selig, und nur die Gnade ist die Ursache',des Wer¬ tes. Alles außer der Gnade aber ist Sünde und Nichts.,/ Auf den Einwurf: wo dabei die Freiheit bleibe? wurde mir die Antwort, daß es keine Freiheit des Willens gebe. Das Argument aciKomiiZLin wurde durch die Unterscheidung zwischen Freiheit und Wahl bekämpft, da man wohl die Wahl zugestand, aber nicht die Freiheit, indem die Wahl nur Folge des Egoismus. — Der Pietismus ist der an sich selbst verzweifelnde Menschenstolz, die bankerot gewordene persönliche Eitelkeit, der rafinirtcste Egoismus, den es, giebt.,-.. Mit oinem Stoßseufzer zwingt der Pietist. den lieben Herrgottin Gnaden von- feinem Throne Herabzusteigen, und durch den Beglückten./ der da glaubt,, zu handeln. So wird die Handlung des Begnadigten el« unmittelbares' Werk Gottes,, vor dem der Demüthige mit dem allerbescheidensten Stolze in den Staub sinkt-; — ein Götzen¬ dienst, bei dein man sich selbst auf den Altar stellt, hinknieet und sich selbst anbetet., ' , Der begeisterte Selbstgötze, den ick) hier kennen lernte, sagte ganz- ruhig von seinen Gegnern, daß diese Alle sehr wohl fühlten, wie er al¬ lein die, Wahrheit habe, und daher sich, obgleich sie anders dächten, doch- von ihm gern den Stempel auf ihre Ansichten aufdrücken lassen möch¬ ten. „Sie sind unruhig, ich aber bin ruhig." — Das ist natürlich genug, denn das ist, das Geheimniß, das in dein Spruche: „Der Glaube macht selig," oder auch: "Selig sind die Armen an Geist" liegt; aber dieses Wunder d.'s Glaubens in der Geistesarmuth findet überall statt, bei den Heiden, den Türken, den Juden, den Katholiken und Protestan¬ ten, den Pietisten- und den Antichristen. Doch genug vou diesem Inva- lide-nglauben alto Sünder und Sünderinnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/584>, abgerufen am 30.06.2024.