Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
W e l t f es in e r z u n d I M ,n e v "x a u,n.
Eine Silhouette .
hoir >
Ludwig August Frank!.



Was ist Weltschmerz? > ^ '

Die Natur ist stumm. So viele Geheimnisse ihr auch der Astronom, wenn er
die Bahnen der Gestirne berechnet, der Geognost, wenn er die Ribben der Erde
zählt, der Physiolog, wenn er das Leben auf die anatomische Folterbank schraubt,
abrechnen, abschauen und abcrperiMcntircn mag, ihr innerstes Geheimniß verräth
sie nicht. Der phantasicreichste Denker, Dichter kann sein innerstes Wesen, den
Gott tu seiner Seele nicht offenbaren und er bringt daSGottgeheimmß wieder der
gleichsam vcrratbbangm Erde zurück, aus der er geworden'-ist. So stumm ist auch
die Natur, sie ist der schweigsame Trappist, dem es erst in der Sterbestunde zu
sprechen gestattet ist. Ich erinnere mich noch aus meiner Jugend an den talmudi¬
schen poetischen Gedanken "daß der Sterbende Gott fleht." Wie sehnte'ich mich
nach dem Tode! Und ich fragte: werde ich bald sterben? ES war eine kindische
Sehnsucht. Aber noch jetzt, nach einer langen Strecke der Bildung, nach der Feuer¬
probe der Erkenntniß, will es mir noch immer erscheinen, als würde im Tode daS
Geheimniß offenbar.

Wenn sich der Dichter mit seiner -gefüblsamen Seele, mit der magnetcmpfind-
lichcn Phantasie in das Anschauen der Natur versenkt, so schwebt über der früh-
lingsfrischestcn Landschaft der Todesgedanke als Geier, der auf die fromme Taube
seines Glaubens niederschießt. Die Natur ist eine geniale Kokette, sie lächelt Je¬
dem zu, sie läßt Jeden in ihren Reizen schwelgen, und liebt -- Keinen. Sie ist
ein Vamvvr, sie saugt uns das Mark aus der Seele, das Blut aus dem Geiste,
wir sterben hin, sie aber lebt fort und treibt ihren ZaubcrmitFrühling und Herbst,
ihre Phantasmagorien mit Sterncnnächten und Nordlichtern fort und fort. Sie
ist der unwegsame Ylumenstrand, zwischen dem wir als ungeduldiger Strom fort- -


76
W e l t f es in e r z u n d I M ,n e v «x a u,n.
Eine Silhouette .
hoir >
Ludwig August Frank!.



Was ist Weltschmerz? > ^ '

Die Natur ist stumm. So viele Geheimnisse ihr auch der Astronom, wenn er
die Bahnen der Gestirne berechnet, der Geognost, wenn er die Ribben der Erde
zählt, der Physiolog, wenn er das Leben auf die anatomische Folterbank schraubt,
abrechnen, abschauen und abcrperiMcntircn mag, ihr innerstes Geheimniß verräth
sie nicht. Der phantasicreichste Denker, Dichter kann sein innerstes Wesen, den
Gott tu seiner Seele nicht offenbaren und er bringt daSGottgeheimmß wieder der
gleichsam vcrratbbangm Erde zurück, aus der er geworden'-ist. So stumm ist auch
die Natur, sie ist der schweigsame Trappist, dem es erst in der Sterbestunde zu
sprechen gestattet ist. Ich erinnere mich noch aus meiner Jugend an den talmudi¬
schen poetischen Gedanken »daß der Sterbende Gott fleht." Wie sehnte'ich mich
nach dem Tode! Und ich fragte: werde ich bald sterben? ES war eine kindische
Sehnsucht. Aber noch jetzt, nach einer langen Strecke der Bildung, nach der Feuer¬
probe der Erkenntniß, will es mir noch immer erscheinen, als würde im Tode daS
Geheimniß offenbar.

Wenn sich der Dichter mit seiner -gefüblsamen Seele, mit der magnetcmpfind-
lichcn Phantasie in das Anschauen der Natur versenkt, so schwebt über der früh-
lingsfrischestcn Landschaft der Todesgedanke als Geier, der auf die fromme Taube
seines Glaubens niederschießt. Die Natur ist eine geniale Kokette, sie lächelt Je¬
dem zu, sie läßt Jeden in ihren Reizen schwelgen, und liebt — Keinen. Sie ist
ein Vamvvr, sie saugt uns das Mark aus der Seele, das Blut aus dem Geiste,
wir sterben hin, sie aber lebt fort und treibt ihren ZaubcrmitFrühling und Herbst,
ihre Phantasmagorien mit Sterncnnächten und Nordlichtern fort und fort. Sie
ist der unwegsame Ylumenstrand, zwischen dem wir als ungeduldiger Strom fort- -


76
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267790"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> W e l t f es in e r z u n d I M ,n e v «x a u,n.<lb/>
Eine Silhouette .<lb/><note type="byline"> hoir &gt;<lb/>
Ludwig August Frank!.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2006"> Was ist Weltschmerz? &gt;    ^ '</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2007"> Die Natur ist stumm. So viele Geheimnisse ihr auch der Astronom, wenn er<lb/>
die Bahnen der Gestirne berechnet, der Geognost, wenn er die Ribben der Erde<lb/>
zählt, der Physiolog, wenn er das Leben auf die anatomische Folterbank schraubt,<lb/>
abrechnen, abschauen und abcrperiMcntircn mag, ihr innerstes Geheimniß verräth<lb/>
sie nicht. Der phantasicreichste Denker, Dichter kann sein innerstes Wesen, den<lb/>
Gott tu seiner Seele nicht offenbaren und er bringt daSGottgeheimmß wieder der<lb/>
gleichsam vcrratbbangm Erde zurück, aus der er geworden'-ist. So stumm ist auch<lb/>
die Natur, sie ist der schweigsame Trappist, dem es erst in der Sterbestunde zu<lb/>
sprechen gestattet ist. Ich erinnere mich noch aus meiner Jugend an den talmudi¬<lb/>
schen poetischen Gedanken »daß der Sterbende Gott fleht." Wie sehnte'ich mich<lb/>
nach dem Tode! Und ich fragte: werde ich bald sterben? ES war eine kindische<lb/>
Sehnsucht. Aber noch jetzt, nach einer langen Strecke der Bildung, nach der Feuer¬<lb/>
probe der Erkenntniß, will es mir noch immer erscheinen, als würde im Tode daS<lb/>
Geheimniß offenbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2008" next="#ID_2009"> Wenn sich der Dichter mit seiner -gefüblsamen Seele, mit der magnetcmpfind-<lb/>
lichcn Phantasie in das Anschauen der Natur versenkt, so schwebt über der früh-<lb/>
lingsfrischestcn Landschaft der Todesgedanke als Geier, der auf die fromme Taube<lb/>
seines Glaubens niederschießt. Die Natur ist eine geniale Kokette, sie lächelt Je¬<lb/>
dem zu, sie läßt Jeden in ihren Reizen schwelgen, und liebt &#x2014; Keinen. Sie ist<lb/>
ein Vamvvr, sie saugt uns das Mark aus der Seele, das Blut aus dem Geiste,<lb/>
wir sterben hin, sie aber lebt fort und treibt ihren ZaubcrmitFrühling und Herbst,<lb/>
ihre Phantasmagorien mit Sterncnnächten und Nordlichtern fort und fort. Sie<lb/>
ist der unwegsame Ylumenstrand, zwischen dem wir als ungeduldiger Strom fort- -</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 76</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] W e l t f es in e r z u n d I M ,n e v «x a u,n. Eine Silhouette . hoir > Ludwig August Frank!. Was ist Weltschmerz? > ^ ' Die Natur ist stumm. So viele Geheimnisse ihr auch der Astronom, wenn er die Bahnen der Gestirne berechnet, der Geognost, wenn er die Ribben der Erde zählt, der Physiolog, wenn er das Leben auf die anatomische Folterbank schraubt, abrechnen, abschauen und abcrperiMcntircn mag, ihr innerstes Geheimniß verräth sie nicht. Der phantasicreichste Denker, Dichter kann sein innerstes Wesen, den Gott tu seiner Seele nicht offenbaren und er bringt daSGottgeheimmß wieder der gleichsam vcrratbbangm Erde zurück, aus der er geworden'-ist. So stumm ist auch die Natur, sie ist der schweigsame Trappist, dem es erst in der Sterbestunde zu sprechen gestattet ist. Ich erinnere mich noch aus meiner Jugend an den talmudi¬ schen poetischen Gedanken »daß der Sterbende Gott fleht." Wie sehnte'ich mich nach dem Tode! Und ich fragte: werde ich bald sterben? ES war eine kindische Sehnsucht. Aber noch jetzt, nach einer langen Strecke der Bildung, nach der Feuer¬ probe der Erkenntniß, will es mir noch immer erscheinen, als würde im Tode daS Geheimniß offenbar. Wenn sich der Dichter mit seiner -gefüblsamen Seele, mit der magnetcmpfind- lichcn Phantasie in das Anschauen der Natur versenkt, so schwebt über der früh- lingsfrischestcn Landschaft der Todesgedanke als Geier, der auf die fromme Taube seines Glaubens niederschießt. Die Natur ist eine geniale Kokette, sie lächelt Je¬ dem zu, sie läßt Jeden in ihren Reizen schwelgen, und liebt — Keinen. Sie ist ein Vamvvr, sie saugt uns das Mark aus der Seele, das Blut aus dem Geiste, wir sterben hin, sie aber lebt fort und treibt ihren ZaubcrmitFrühling und Herbst, ihre Phantasmagorien mit Sterncnnächten und Nordlichtern fort und fort. Sie ist der unwegsame Ylumenstrand, zwischen dem wir als ungeduldiger Strom fort- - 76

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/577>, abgerufen am 27.06.2024.