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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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rollen und "erbrausen. Eine solche tiefernste nachttraurige Betrachtung, wenn sie
nicht durch den hellen, tröstenden Strahl eines geoffenbarten Gottes, der nach Jen¬
seits leuchtet, verklärt wird, erzeugt das, was die moderne Zeit: "den Weltschmerz"
nennt, und was zu allen Zeiten vorhanden war. Der Sänger der Psalmen, der
Dichter der göttlichen Komödie, des Verlornen Paradieses, der Messiade, sie Alle
kannten den Schmerz; aber nur als vorübergehende Stimmung und nicht als Grund¬
gedanken ihrer Schöpfungen; denn der wahre Dichter, weil er über die Zeiten zu
siegen vermag, beherrscht diese Weltanschauung, denn sie ist zerstörend, beunruhi¬
gend, er aber soll bilden, verklären und erheben!

Der Weltschmerz in dem Ausgesprochene" Sinne gränzt an das Tragische und
in ihm liegt, wie er auch sonst angekämpft werden mag, und zur eigenen Beruhi¬
gung soll, etwas majestätisch Schauerliches, und ist wohl von jenem Schmerz zu
unterscheiden, der daher entspringt, wenn dem Dichter die Geliebte starb oder gar
mit einem Andern durchgegangen ist. Der Weltschmerz in Byrons Schöpfungen
verhält sich zu dein seiner Nachahmer, wie der finstere Rachthimmel auf dem at¬
lantischen Meere zu einer Theaterfinsterni? im Freischütz und Robert der Teufel.
Die Unzufriedenheit der heutigen Poeten hat einen ganz andern Gpiyh als, das,
Weh. des brittischen Dichters. Ich schweige davon, daß in DeMhlqnd der "arme
Poet// noch immer, keine ,S,age geworden ist, und daß nach Franz Moor die
Wmip.W? dem Magen, kommen, sich, spreche, nicht von dem Schmerze, der aus,
der. BetrachiWg ^er idealen, Mett im Ämupfe mit der wirklichen entspringt,' denn
der ist allgemein, gebilligt,, weil ihn. jeder mehr oder weniger an sich erlecht. Aber
unsere Poeten leben in einer nach Allsten thatenloser Zeit, Cervantes kämpfte in>
der Schlacht bei Lepqnto, Wilton im Cabinette Cromwells, Camoens, führte ein
hcwcgie?, an Schicksalen reiches, Leben,, und, sie hatten nicht Zeit, hiehin ewigeSelbst-'
b Pachtung, wie der indische Siwaö, zu verlieren. Ihr Ich ging unter im Strome
großer Begebenheiten. Unsere Dichter leben in der Amtsstube, auf dem Katheder.
Findet ihre Feuerseele da Befriedigung?

Wir besitzen eigentlich jetzt keinen ursprünglichen, schöpferischen, großen Dichter.
Jede große, welthistorische Begebenheit ist wie dyS plumpe, feste, dichte Maierinle
in der Retorte des Chemikers: durch hinzugebrachte Wärme und langsam in der
Zeit entwickelt sich das Gas der Idee. Wir sehen solchen großen Epochen, oft erst
nach langem Zwischenraume, aber immer eine glänzende NerarWe Epoche folgen.
ES erwachen Geister, an deren mächtiges, kälteres Gehirn sich jene Idee als Ge"
dM,WWWt "O-M-GHM old, Durch den Zwischenraum von, der That
bis M darauf suWuirtcn Idee wurde diese allmächtig vorbereitet, entwickelt, end"
lich GemsiMut; noch abe,r wagte eS Niemand, ff?, auszusprechen. Plötzlich erscheint
der kühne, begeisterte Hann, de,in sie am klarsten geworden ist/ und verkündet sie


rollen und »erbrausen. Eine solche tiefernste nachttraurige Betrachtung, wenn sie
nicht durch den hellen, tröstenden Strahl eines geoffenbarten Gottes, der nach Jen¬
seits leuchtet, verklärt wird, erzeugt das, was die moderne Zeit: „den Weltschmerz»
nennt, und was zu allen Zeiten vorhanden war. Der Sänger der Psalmen, der
Dichter der göttlichen Komödie, des Verlornen Paradieses, der Messiade, sie Alle
kannten den Schmerz; aber nur als vorübergehende Stimmung und nicht als Grund¬
gedanken ihrer Schöpfungen; denn der wahre Dichter, weil er über die Zeiten zu
siegen vermag, beherrscht diese Weltanschauung, denn sie ist zerstörend, beunruhi¬
gend, er aber soll bilden, verklären und erheben!

Der Weltschmerz in dem Ausgesprochene» Sinne gränzt an das Tragische und
in ihm liegt, wie er auch sonst angekämpft werden mag, und zur eigenen Beruhi¬
gung soll, etwas majestätisch Schauerliches, und ist wohl von jenem Schmerz zu
unterscheiden, der daher entspringt, wenn dem Dichter die Geliebte starb oder gar
mit einem Andern durchgegangen ist. Der Weltschmerz in Byrons Schöpfungen
verhält sich zu dein seiner Nachahmer, wie der finstere Rachthimmel auf dem at¬
lantischen Meere zu einer Theaterfinsterni? im Freischütz und Robert der Teufel.
Die Unzufriedenheit der heutigen Poeten hat einen ganz andern Gpiyh als, das,
Weh. des brittischen Dichters. Ich schweige davon, daß in DeMhlqnd der „arme
Poet// noch immer, keine ,S,age geworden ist, und daß nach Franz Moor die
Wmip.W? dem Magen, kommen, sich, spreche, nicht von dem Schmerze, der aus,
der. BetrachiWg ^er idealen, Mett im Ämupfe mit der wirklichen entspringt,' denn
der ist allgemein, gebilligt,, weil ihn. jeder mehr oder weniger an sich erlecht. Aber
unsere Poeten leben in einer nach Allsten thatenloser Zeit, Cervantes kämpfte in>
der Schlacht bei Lepqnto, Wilton im Cabinette Cromwells, Camoens, führte ein
hcwcgie?, an Schicksalen reiches, Leben,, und, sie hatten nicht Zeit, hiehin ewigeSelbst-'
b Pachtung, wie der indische Siwaö, zu verlieren. Ihr Ich ging unter im Strome
großer Begebenheiten. Unsere Dichter leben in der Amtsstube, auf dem Katheder.
Findet ihre Feuerseele da Befriedigung?

Wir besitzen eigentlich jetzt keinen ursprünglichen, schöpferischen, großen Dichter.
Jede große, welthistorische Begebenheit ist wie dyS plumpe, feste, dichte Maierinle
in der Retorte des Chemikers: durch hinzugebrachte Wärme und langsam in der
Zeit entwickelt sich das Gas der Idee. Wir sehen solchen großen Epochen, oft erst
nach langem Zwischenraume, aber immer eine glänzende NerarWe Epoche folgen.
ES erwachen Geister, an deren mächtiges, kälteres Gehirn sich jene Idee als Ge«
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bis M darauf suWuirtcn Idee wurde diese allmächtig vorbereitet, entwickelt, end«
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/578>, abgerufen am 22.06.2024.