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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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dem trunkenen Zustande dieser Menschen ist der ganze Gräuel zuzuschrei¬
ben. Sie zeigten sich bei dieser Gelegenheit in dem rechten Licht, und
wetteiferten mit Dieben und Gesindel im Saufen und Marodiren. Man
erzählt, daß ein Bürger, beschäftigt die Dachrinne seines Hauses naß
zu halten, aber dabei ermüdend, flehentlich in die Straße hinabrief,
die in der Nähe stehende Spritze um einen Strahl Wassers zu bitten.
Der Elende, dessen Pflicht augenblickliche Folgeleistung dieses Begehrs
erheischte/ blickte ruhig hinauf, und fragte den unglücklichen Mann in
der Dachrinne, wie viel er anwenden wolle? Gibt es eine größere
Frechheit? Wenn man unter hundert Spritzenleuten auch nur einen
Schuldigen trifft, und neun und neunzig Unschuldige --sagt ein Ham¬
burger -- so wäre es dennoch keine Sünde, sie alle in- Säcken zu er¬
säufen, denn die Unschuldigen sind immer noch strafbar genug, um sol¬
chen Tod zu verdienen. Der frühere Chef dieser nobeln Garde war
daher sicher nicht zu tadeln, wenn er sie wie gemeines Russenvolk be¬
handelte, und darauf schlug Und schlagen ließ. Der edle Mann fand
feinen Untergang in treuester Erfüllung seiner Rettungöpflicht, und ver¬
dankt vielleicht eben dieser Rotte seinen Tod. Er ward von einem bren¬
nenden, einstürzenden Giebel erschlagen. Was sollen die Anführer ma¬
chen, wenn keine Disciplin und keine Spur von irgend welchem Be-
rWgefühl einer^ solchen Truppe innewohnt? Am Tage der, ersten gro¬
ßen Gefahr) als W Schenk- und Merwirthe in 'den dem Brande zu-
Mchstgelegenm-Straßeti in Eile auszogen, sah man diese Menschen in
>dit kaum verlassenen Wohnungen drängen, die Champagncrkisten auf¬
schlagen und - vertheilen. Für sie gab es kein schöneres Spektakels als
jenes brennende Fleth, in welchem eine furchtbare Menge Spirituosa
titres^ die! "nähe Schleuse aufgehalten unlöschbar gen Himmel ^loderte"
Brand an'Mer Eilten, in den Häusern, auf den'Thürmen, im Was¬
ser, Brand in ihrem feuerfestem Magen und gierigen Schlund.' Diese
Leute mit ihren Uniformen, ihren Commandostäben und beschildeten Le-
derhaubcn gleichen nicht schlecht jener alten Janitscharenhorde, mit de¬
ren Vertilgung die Türkei einen der ersten Schritte gethan, sich der eu¬
ropäischen Civilisation zu nähern; aber-wie jene setzen auch'sie einer
Reform oder gänzlichen Auflösung so große Schwierigkeiten entgegen,
daß die Furcht vor einer ernstlichen Unruhe bei Verbesserung nicht ohne
Grund ist. Wie dem auch sei, diesem Uebel muß abgeholfen werden,
und so wird es geschehen. Das Wohl und Wehe einer ganzen, großen
und guten Stadt wird nicht länger in den rohen Händen der wahren


dem trunkenen Zustande dieser Menschen ist der ganze Gräuel zuzuschrei¬
ben. Sie zeigten sich bei dieser Gelegenheit in dem rechten Licht, und
wetteiferten mit Dieben und Gesindel im Saufen und Marodiren. Man
erzählt, daß ein Bürger, beschäftigt die Dachrinne seines Hauses naß
zu halten, aber dabei ermüdend, flehentlich in die Straße hinabrief,
die in der Nähe stehende Spritze um einen Strahl Wassers zu bitten.
Der Elende, dessen Pflicht augenblickliche Folgeleistung dieses Begehrs
erheischte/ blickte ruhig hinauf, und fragte den unglücklichen Mann in
der Dachrinne, wie viel er anwenden wolle? Gibt es eine größere
Frechheit? Wenn man unter hundert Spritzenleuten auch nur einen
Schuldigen trifft, und neun und neunzig Unschuldige —sagt ein Ham¬
burger — so wäre es dennoch keine Sünde, sie alle in- Säcken zu er¬
säufen, denn die Unschuldigen sind immer noch strafbar genug, um sol¬
chen Tod zu verdienen. Der frühere Chef dieser nobeln Garde war
daher sicher nicht zu tadeln, wenn er sie wie gemeines Russenvolk be¬
handelte, und darauf schlug Und schlagen ließ. Der edle Mann fand
feinen Untergang in treuester Erfüllung seiner Rettungöpflicht, und ver¬
dankt vielleicht eben dieser Rotte seinen Tod. Er ward von einem bren¬
nenden, einstürzenden Giebel erschlagen. Was sollen die Anführer ma¬
chen, wenn keine Disciplin und keine Spur von irgend welchem Be-
rWgefühl einer^ solchen Truppe innewohnt? Am Tage der, ersten gro¬
ßen Gefahr) als W Schenk- und Merwirthe in 'den dem Brande zu-
Mchstgelegenm-Straßeti in Eile auszogen, sah man diese Menschen in
>dit kaum verlassenen Wohnungen drängen, die Champagncrkisten auf¬
schlagen und - vertheilen. Für sie gab es kein schöneres Spektakels als
jenes brennende Fleth, in welchem eine furchtbare Menge Spirituosa
titres^ die! "nähe Schleuse aufgehalten unlöschbar gen Himmel ^loderte»
Brand an'Mer Eilten, in den Häusern, auf den'Thürmen, im Was¬
ser, Brand in ihrem feuerfestem Magen und gierigen Schlund.' Diese
Leute mit ihren Uniformen, ihren Commandostäben und beschildeten Le-
derhaubcn gleichen nicht schlecht jener alten Janitscharenhorde, mit de¬
ren Vertilgung die Türkei einen der ersten Schritte gethan, sich der eu¬
ropäischen Civilisation zu nähern; aber-wie jene setzen auch'sie einer
Reform oder gänzlichen Auflösung so große Schwierigkeiten entgegen,
daß die Furcht vor einer ernstlichen Unruhe bei Verbesserung nicht ohne
Grund ist. Wie dem auch sei, diesem Uebel muß abgeholfen werden,
und so wird es geschehen. Das Wohl und Wehe einer ganzen, großen
und guten Stadt wird nicht länger in den rohen Händen der wahren


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[0567] dem trunkenen Zustande dieser Menschen ist der ganze Gräuel zuzuschrei¬ ben. Sie zeigten sich bei dieser Gelegenheit in dem rechten Licht, und wetteiferten mit Dieben und Gesindel im Saufen und Marodiren. Man erzählt, daß ein Bürger, beschäftigt die Dachrinne seines Hauses naß zu halten, aber dabei ermüdend, flehentlich in die Straße hinabrief, die in der Nähe stehende Spritze um einen Strahl Wassers zu bitten. Der Elende, dessen Pflicht augenblickliche Folgeleistung dieses Begehrs erheischte/ blickte ruhig hinauf, und fragte den unglücklichen Mann in der Dachrinne, wie viel er anwenden wolle? Gibt es eine größere Frechheit? Wenn man unter hundert Spritzenleuten auch nur einen Schuldigen trifft, und neun und neunzig Unschuldige —sagt ein Ham¬ burger — so wäre es dennoch keine Sünde, sie alle in- Säcken zu er¬ säufen, denn die Unschuldigen sind immer noch strafbar genug, um sol¬ chen Tod zu verdienen. Der frühere Chef dieser nobeln Garde war daher sicher nicht zu tadeln, wenn er sie wie gemeines Russenvolk be¬ handelte, und darauf schlug Und schlagen ließ. Der edle Mann fand feinen Untergang in treuester Erfüllung seiner Rettungöpflicht, und ver¬ dankt vielleicht eben dieser Rotte seinen Tod. Er ward von einem bren¬ nenden, einstürzenden Giebel erschlagen. Was sollen die Anführer ma¬ chen, wenn keine Disciplin und keine Spur von irgend welchem Be- rWgefühl einer^ solchen Truppe innewohnt? Am Tage der, ersten gro¬ ßen Gefahr) als W Schenk- und Merwirthe in 'den dem Brande zu- Mchstgelegenm-Straßeti in Eile auszogen, sah man diese Menschen in >dit kaum verlassenen Wohnungen drängen, die Champagncrkisten auf¬ schlagen und - vertheilen. Für sie gab es kein schöneres Spektakels als jenes brennende Fleth, in welchem eine furchtbare Menge Spirituosa titres^ die! "nähe Schleuse aufgehalten unlöschbar gen Himmel ^loderte» Brand an'Mer Eilten, in den Häusern, auf den'Thürmen, im Was¬ ser, Brand in ihrem feuerfestem Magen und gierigen Schlund.' Diese Leute mit ihren Uniformen, ihren Commandostäben und beschildeten Le- derhaubcn gleichen nicht schlecht jener alten Janitscharenhorde, mit de¬ ren Vertilgung die Türkei einen der ersten Schritte gethan, sich der eu¬ ropäischen Civilisation zu nähern; aber-wie jene setzen auch'sie einer Reform oder gänzlichen Auflösung so große Schwierigkeiten entgegen, daß die Furcht vor einer ernstlichen Unruhe bei Verbesserung nicht ohne Grund ist. Wie dem auch sei, diesem Uebel muß abgeholfen werden, und so wird es geschehen. Das Wohl und Wehe einer ganzen, großen und guten Stadt wird nicht länger in den rohen Händen der wahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/567>, abgerufen am 02.07.2024.