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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Hitze der glühenden Steine, mitten zwischen den Trümmern, und nimmt
eine Menge Lichtbilder auf, die von großem Werthe sind. Lille, ein
tüchtiger Zeichner, der kurz zuvor, von einem guten Geist getrieben,
drei bis vier schöne Stahlstiche der interessantesten Punkte der abgebrann¬
ten Stadt lieferte, ist fleißig beschäftigt, aus den Ruinen, die das ganze
Atelier dieses Mannes bedecken, neu zu erstehen. Eile thut Noth; denn
eine Menge Maurer und Arbeiter sind beschäftigt, die stehengebliebenen
Theile durch lange Taue, an die sie sich spannen, niederzureißen, und die
preußischen Soldaten machen wiederholte, bis jetzt aber höchst unglückli¬
che Versuche, den Stumpf des Petrithurms zu sprengen, so wie den
Nest der Kirche. Leider sind bei diesen Arbeiten schon mehre Menschen
schwer verwundet, und ums Leben gekommen. Matrosen sollen
sich jetzt erboten haben, auf die Brandmauern zu klettern, um das Ab¬
tragen von oben zu beginnen. Hier haben wir ein Beispiel vom Kitt
und Mauerwerk des Mittelalters, dessen Zähigkeit und Feste so unend¬
lichen Kräften Widerstand leistet. Man ist sehr gespannt auf den In¬
halt mehrer Kästchen und Büchsen, welche sich in der alleräußersten
Spitze des Thurmes befunden haben, und mit dem herabgeschleuderten
Knopf zu Tage gekommen sind. Wunderbar und grauenhaft, sind.die
eisernen Gerippe der Thürme anzuschauen/ vorzüglich das.des Nicolai-
thurms./ Wie die grätenartigen Neste eines .großen Ungeheuers spreizen
sie sich in einer, gewissen Ordnung, über die.Brandstätte aus,' auf die
sie sich stürzten, darunter Alles, was' sie mit ihrer furchtbaren Macht
zu Grunde schlugen. Diese Gegend bot überhaupt während des. Bran¬
des einen der furchtbarsten Momente der. ganzen Schreckensperiode dar.
Seit Mittag des HimmelfahrtStags herrschte Mattigkeit und Verzweiflung
in den Gemüthern, allgemein glaubte man an den. Untergang der Stadt,
und das Volk murmelte so etwas von einem Gottesgericht. Es,-gab
sich hie und da auch eine eigne Unzufriedenheit kund, daß das Feuer in
einem Quartier der Christen beginnend, nun vom Winde gegen andre
christliche Quartiere hingepeitscht wurde, und die Gegend der Juden be¬
sonders zu meiden schien. Einzelne Beispiele von heldcnmäßiger An¬
strengung und energischer Thätigkeit ausgenommen, zeigte sich neben der
höchsten, furchtbarsten Gefahr, die größte, viehischste Zügellosigkeit und
carm'balische Schlemmerei und Völlerei. Gesindel und weißkittlichte
Spritzenleute zeichneten sich in dieser Nacht durch die größten Excesse
aus; und so allgemein spricht sich der Unwille gegen diese letztern aus,
daß man gewiß mit Recht behaupten darf, gerade der Nachlässigkeit und


Hitze der glühenden Steine, mitten zwischen den Trümmern, und nimmt
eine Menge Lichtbilder auf, die von großem Werthe sind. Lille, ein
tüchtiger Zeichner, der kurz zuvor, von einem guten Geist getrieben,
drei bis vier schöne Stahlstiche der interessantesten Punkte der abgebrann¬
ten Stadt lieferte, ist fleißig beschäftigt, aus den Ruinen, die das ganze
Atelier dieses Mannes bedecken, neu zu erstehen. Eile thut Noth; denn
eine Menge Maurer und Arbeiter sind beschäftigt, die stehengebliebenen
Theile durch lange Taue, an die sie sich spannen, niederzureißen, und die
preußischen Soldaten machen wiederholte, bis jetzt aber höchst unglückli¬
che Versuche, den Stumpf des Petrithurms zu sprengen, so wie den
Nest der Kirche. Leider sind bei diesen Arbeiten schon mehre Menschen
schwer verwundet, und ums Leben gekommen. Matrosen sollen
sich jetzt erboten haben, auf die Brandmauern zu klettern, um das Ab¬
tragen von oben zu beginnen. Hier haben wir ein Beispiel vom Kitt
und Mauerwerk des Mittelalters, dessen Zähigkeit und Feste so unend¬
lichen Kräften Widerstand leistet. Man ist sehr gespannt auf den In¬
halt mehrer Kästchen und Büchsen, welche sich in der alleräußersten
Spitze des Thurmes befunden haben, und mit dem herabgeschleuderten
Knopf zu Tage gekommen sind. Wunderbar und grauenhaft, sind.die
eisernen Gerippe der Thürme anzuschauen/ vorzüglich das.des Nicolai-
thurms./ Wie die grätenartigen Neste eines .großen Ungeheuers spreizen
sie sich in einer, gewissen Ordnung, über die.Brandstätte aus,' auf die
sie sich stürzten, darunter Alles, was' sie mit ihrer furchtbaren Macht
zu Grunde schlugen. Diese Gegend bot überhaupt während des. Bran¬
des einen der furchtbarsten Momente der. ganzen Schreckensperiode dar.
Seit Mittag des HimmelfahrtStags herrschte Mattigkeit und Verzweiflung
in den Gemüthern, allgemein glaubte man an den. Untergang der Stadt,
und das Volk murmelte so etwas von einem Gottesgericht. Es,-gab
sich hie und da auch eine eigne Unzufriedenheit kund, daß das Feuer in
einem Quartier der Christen beginnend, nun vom Winde gegen andre
christliche Quartiere hingepeitscht wurde, und die Gegend der Juden be¬
sonders zu meiden schien. Einzelne Beispiele von heldcnmäßiger An¬
strengung und energischer Thätigkeit ausgenommen, zeigte sich neben der
höchsten, furchtbarsten Gefahr, die größte, viehischste Zügellosigkeit und
carm'balische Schlemmerei und Völlerei. Gesindel und weißkittlichte
Spritzenleute zeichneten sich in dieser Nacht durch die größten Excesse
aus; und so allgemein spricht sich der Unwille gegen diese letztern aus,
daß man gewiß mit Recht behaupten darf, gerade der Nachlässigkeit und


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[0566] Hitze der glühenden Steine, mitten zwischen den Trümmern, und nimmt eine Menge Lichtbilder auf, die von großem Werthe sind. Lille, ein tüchtiger Zeichner, der kurz zuvor, von einem guten Geist getrieben, drei bis vier schöne Stahlstiche der interessantesten Punkte der abgebrann¬ ten Stadt lieferte, ist fleißig beschäftigt, aus den Ruinen, die das ganze Atelier dieses Mannes bedecken, neu zu erstehen. Eile thut Noth; denn eine Menge Maurer und Arbeiter sind beschäftigt, die stehengebliebenen Theile durch lange Taue, an die sie sich spannen, niederzureißen, und die preußischen Soldaten machen wiederholte, bis jetzt aber höchst unglückli¬ che Versuche, den Stumpf des Petrithurms zu sprengen, so wie den Nest der Kirche. Leider sind bei diesen Arbeiten schon mehre Menschen schwer verwundet, und ums Leben gekommen. Matrosen sollen sich jetzt erboten haben, auf die Brandmauern zu klettern, um das Ab¬ tragen von oben zu beginnen. Hier haben wir ein Beispiel vom Kitt und Mauerwerk des Mittelalters, dessen Zähigkeit und Feste so unend¬ lichen Kräften Widerstand leistet. Man ist sehr gespannt auf den In¬ halt mehrer Kästchen und Büchsen, welche sich in der alleräußersten Spitze des Thurmes befunden haben, und mit dem herabgeschleuderten Knopf zu Tage gekommen sind. Wunderbar und grauenhaft, sind.die eisernen Gerippe der Thürme anzuschauen/ vorzüglich das.des Nicolai- thurms./ Wie die grätenartigen Neste eines .großen Ungeheuers spreizen sie sich in einer, gewissen Ordnung, über die.Brandstätte aus,' auf die sie sich stürzten, darunter Alles, was' sie mit ihrer furchtbaren Macht zu Grunde schlugen. Diese Gegend bot überhaupt während des. Bran¬ des einen der furchtbarsten Momente der. ganzen Schreckensperiode dar. Seit Mittag des HimmelfahrtStags herrschte Mattigkeit und Verzweiflung in den Gemüthern, allgemein glaubte man an den. Untergang der Stadt, und das Volk murmelte so etwas von einem Gottesgericht. Es,-gab sich hie und da auch eine eigne Unzufriedenheit kund, daß das Feuer in einem Quartier der Christen beginnend, nun vom Winde gegen andre christliche Quartiere hingepeitscht wurde, und die Gegend der Juden be¬ sonders zu meiden schien. Einzelne Beispiele von heldcnmäßiger An¬ strengung und energischer Thätigkeit ausgenommen, zeigte sich neben der höchsten, furchtbarsten Gefahr, die größte, viehischste Zügellosigkeit und carm'balische Schlemmerei und Völlerei. Gesindel und weißkittlichte Spritzenleute zeichneten sich in dieser Nacht durch die größten Excesse aus; und so allgemein spricht sich der Unwille gegen diese letztern aus, daß man gewiß mit Recht behaupten darf, gerade der Nachlässigkeit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/566>, abgerufen am 30.06.2024.