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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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, Wer vermag zu beschreiben, Me' viel Schreckliches diese langen
Stunden der Erwartung hatten? Wer könnte jemals erzählen, was
in den Herzen dieser Menschen vorging, von denen keiner wußte, wer
unter ihnen bestimmt sei, am andern Tage dem Leben .eines Men¬
schen ein Ende zu machen, und von denen doch jeder derjenige sein
konnte, den die Hand des Zufalls bestimmt hatte, der Vollstrecker des
.Urtheils zu sein, das dieses fürchterliche Blutgericht mitten in der
inernidieerNatauseroen. ,

' - Sicherlich mehr als Ein Herz schlug stärker als gewöhnlich; mehr
als Eine Brust hob sich in unruhiger Bewegung. Mehr.als EM Blick
erspähte durch das enge Gitter des Gefängnisses den ersten Strahl
'der kommenden Morgensonne. Jeder von ihnen wünschte den Stun¬
den der Nacht Adlersfittige. Jeder von ihnen wünschte eine Fcuers-
Mmst plötzlich über seinem Haupte aufleuchten zu sehen, um beim
fahlen Brandschein zu erkennen, was der Zufall für ihn gethan oder
micht gethan/ Gräßliches Erwarten! Fürchterliche Ungewißheit! das
Dasein eines seiner Mitgeschöpfe in Händen zu haben; sich sag.er zu
müssen: morgen wird er von meiner Hand gestorben sein; die Wi-
Miiten zu zählen, die ihm noch zu leben übrig bleiben, und. die man
ihn leben läßt, sich als den Herrn und Meister eines Menschenge,
schickes fühlen, denken, daß morgen ein Herz voll Leben, voll Hoff¬
nung, voll Zukunft vielleicht aufhören wird, zu schlagen, weil man
darin wird ertödtet haben, das, was uns Hoffnung und Glauben an
die Zukunft giebt, das Leben -- o! wer vermag zu begreifen^ wie

Diese Nacht hatte eine Länge zum Verzweifeln. Mehr als ein
Mal bezeugte das dumpfe Geklirr einer Kette die Unruhe, welche in¬
nerlich alle diese Menschen fragte, die auf ihrem Holzlager sich so
unbehaglich befanden, und deren doch sicherlich keiner erbleicht wäre,
wenn er bei der Wiederkehr des Morgens die Farbe des Papiers er¬
kannt ätte das imurie: Tödte!

,
Die Nacht war ihrem Ende nahe, und der Morgen begann mi
seinen Streiflichtern den neblichten Himmel zu färben, in den die Ci
tadelle wie eingewickelt war, und der den Fluß und die Stadt be
deckte. Im Saale begann nach allen Richtungen hin ein dumpfe
Geräusch sich zu regen, und dieses Gesumse ward immer unruhiger
Aller Augen waren auf die engen Schießscharten gerichtet, welche dur


, Wer vermag zu beschreiben, Me' viel Schreckliches diese langen
Stunden der Erwartung hatten? Wer könnte jemals erzählen, was
in den Herzen dieser Menschen vorging, von denen keiner wußte, wer
unter ihnen bestimmt sei, am andern Tage dem Leben .eines Men¬
schen ein Ende zu machen, und von denen doch jeder derjenige sein
konnte, den die Hand des Zufalls bestimmt hatte, der Vollstrecker des
.Urtheils zu sein, das dieses fürchterliche Blutgericht mitten in der
inernidieerNatauseroen. ,

' - Sicherlich mehr als Ein Herz schlug stärker als gewöhnlich; mehr
als Eine Brust hob sich in unruhiger Bewegung. Mehr.als EM Blick
erspähte durch das enge Gitter des Gefängnisses den ersten Strahl
'der kommenden Morgensonne. Jeder von ihnen wünschte den Stun¬
den der Nacht Adlersfittige. Jeder von ihnen wünschte eine Fcuers-
Mmst plötzlich über seinem Haupte aufleuchten zu sehen, um beim
fahlen Brandschein zu erkennen, was der Zufall für ihn gethan oder
micht gethan/ Gräßliches Erwarten! Fürchterliche Ungewißheit! das
Dasein eines seiner Mitgeschöpfe in Händen zu haben; sich sag.er zu
müssen: morgen wird er von meiner Hand gestorben sein; die Wi-
Miiten zu zählen, die ihm noch zu leben übrig bleiben, und. die man
ihn leben läßt, sich als den Herrn und Meister eines Menschenge,
schickes fühlen, denken, daß morgen ein Herz voll Leben, voll Hoff¬
nung, voll Zukunft vielleicht aufhören wird, zu schlagen, weil man
darin wird ertödtet haben, das, was uns Hoffnung und Glauben an
die Zukunft giebt, das Leben — o! wer vermag zu begreifen^ wie

Diese Nacht hatte eine Länge zum Verzweifeln. Mehr als ein
Mal bezeugte das dumpfe Geklirr einer Kette die Unruhe, welche in¬
nerlich alle diese Menschen fragte, die auf ihrem Holzlager sich so
unbehaglich befanden, und deren doch sicherlich keiner erbleicht wäre,
wenn er bei der Wiederkehr des Morgens die Farbe des Papiers er¬
kannt ätte das imurie: Tödte!

,
Die Nacht war ihrem Ende nahe, und der Morgen begann mi
seinen Streiflichtern den neblichten Himmel zu färben, in den die Ci
tadelle wie eingewickelt war, und der den Fluß und die Stadt be
deckte. Im Saale begann nach allen Richtungen hin ein dumpfe
Geräusch sich zu regen, und dieses Gesumse ward immer unruhiger
Aller Augen waren auf die engen Schießscharten gerichtet, welche dur


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[0542] , Wer vermag zu beschreiben, Me' viel Schreckliches diese langen Stunden der Erwartung hatten? Wer könnte jemals erzählen, was in den Herzen dieser Menschen vorging, von denen keiner wußte, wer unter ihnen bestimmt sei, am andern Tage dem Leben .eines Men¬ schen ein Ende zu machen, und von denen doch jeder derjenige sein konnte, den die Hand des Zufalls bestimmt hatte, der Vollstrecker des .Urtheils zu sein, das dieses fürchterliche Blutgericht mitten in der inernidieerNatauseroen. , ' - Sicherlich mehr als Ein Herz schlug stärker als gewöhnlich; mehr als Eine Brust hob sich in unruhiger Bewegung. Mehr.als EM Blick erspähte durch das enge Gitter des Gefängnisses den ersten Strahl 'der kommenden Morgensonne. Jeder von ihnen wünschte den Stun¬ den der Nacht Adlersfittige. Jeder von ihnen wünschte eine Fcuers- Mmst plötzlich über seinem Haupte aufleuchten zu sehen, um beim fahlen Brandschein zu erkennen, was der Zufall für ihn gethan oder micht gethan/ Gräßliches Erwarten! Fürchterliche Ungewißheit! das Dasein eines seiner Mitgeschöpfe in Händen zu haben; sich sag.er zu müssen: morgen wird er von meiner Hand gestorben sein; die Wi- Miiten zu zählen, die ihm noch zu leben übrig bleiben, und. die man ihn leben läßt, sich als den Herrn und Meister eines Menschenge, schickes fühlen, denken, daß morgen ein Herz voll Leben, voll Hoff¬ nung, voll Zukunft vielleicht aufhören wird, zu schlagen, weil man darin wird ertödtet haben, das, was uns Hoffnung und Glauben an die Zukunft giebt, das Leben — o! wer vermag zu begreifen^ wie Diese Nacht hatte eine Länge zum Verzweifeln. Mehr als ein Mal bezeugte das dumpfe Geklirr einer Kette die Unruhe, welche in¬ nerlich alle diese Menschen fragte, die auf ihrem Holzlager sich so unbehaglich befanden, und deren doch sicherlich keiner erbleicht wäre, wenn er bei der Wiederkehr des Morgens die Farbe des Papiers er¬ kannt ätte das imurie: Tödte! , Die Nacht war ihrem Ende nahe, und der Morgen begann mi seinen Streiflichtern den neblichten Himmel zu färben, in den die Ci tadelle wie eingewickelt war, und der den Fluß und die Stadt be deckte. Im Saale begann nach allen Richtungen hin ein dumpfe Geräusch sich zu regen, und dieses Gesumse ward immer unruhiger Aller Augen waren auf die engen Schießscharten gerichtet, welche dur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/542>, abgerufen am 22.12.2024.