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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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nicht. Bei Völkern aber von einem wesentlich sanften und guten, allem
Haß abgeneigten Charakter bedürfte es, selbst zur Zeit politischer und
gesellschaftlicher Erneuerung, eines'mehr zögernden Führers.

Indessen Hat sich Joseph II. sowohl um die Könige, als um die
Völker verdient gemacht. Zu der Zeit, als Joseph II. von einem glück¬
lichen Vorgefühl an 'die Unwetter, die sich zusammenzogen, gemahnt,
Reformen ins Werk zu setzen suchte, hatte bei uns ein vom Schwindel
ergriffener Hof, indem er die schönsten Ueberlieferungen der französischen
Monarchie und das unabläßige Bestreben unseres dritten Königshauses,
den Mittelstand zu befreien, verkannte, seinen Sinn darauf gestellt,
die verjährtesten Ansprüche wieder ins Leben zurufen. Turgot, welcher
die Monarchie retten wollte, indem er das NegierungöWem Josephs II.
unter Vorbehalt der nöthigen Verbesserungen einführte, fiel in Ungnade.
In einem Anfall von Wahnsinn regelte man die Zukunft des König¬
reichs, indem man den Befehl erließ, daß alle Grade in der Armee
und alle Kirchenpfründen den privilegirten Ständen vorbehalten sein soll¬
ten. Die Zukunft! Sie mußte dem Königthum verloren gehen, von
dem Augenblick an, wo es in diesen: Sinne über dieselbe zu verfügen
gedachte. Weil denn verblendete Fürsten und anmaßende Minister sich
weigerten, die Revolution von oben her zu machen, so mußte sie frei¬
lich von unten auf vollbracht werden, und man weiß heute, mit wel¬
chen Schmerzen!

Dem Rechte nach besteht die Gleichheit vor der Staatsverwaltung
fast vollständig in Oesterreich und Böhmen; der Adel trägt gleich den
übrigen Bürgern zu den Abgaben bei; Jederman hat zu den Civil-,
Kirchen- und Militairämtcrn Zutritt; die freiherrlichen Vorrechte, und
namentlich die Gerichtsgewalt der Edelleute, sind gänzlich auf bloße
Formen hin abgebracht; nur die Hofämter, mit denen übrigens gar keine
politische Function verbunden ist, sind dem, Adel vorbehalten., Ich sage,
dem Rechte nach; wenn der Mische Bestand dem Recht nicht völlig
angemessen ist, wenn z. B. der größte Theil der'Staatsämter im Be¬
sitz der Edelleute ist, so liegt der Fehler in den Sitten, die in Oester¬
reich hinsichtlich der AdelSvorurtheilc noch wenig nachgegeben haben.
Diese letztern sind ein Gesetz in den Salons, und man muß gestehen,
daß die Wiener SnlonS darum nicht weniger reizend sind. Das Gesetz
soll und kann die Umbildung der Sitten vorbereiten; aber eine, weise
und wohldenkende Regierung, eine väterliche Negierung, die jeden Ge-


nicht. Bei Völkern aber von einem wesentlich sanften und guten, allem
Haß abgeneigten Charakter bedürfte es, selbst zur Zeit politischer und
gesellschaftlicher Erneuerung, eines'mehr zögernden Führers.

Indessen Hat sich Joseph II. sowohl um die Könige, als um die
Völker verdient gemacht. Zu der Zeit, als Joseph II. von einem glück¬
lichen Vorgefühl an 'die Unwetter, die sich zusammenzogen, gemahnt,
Reformen ins Werk zu setzen suchte, hatte bei uns ein vom Schwindel
ergriffener Hof, indem er die schönsten Ueberlieferungen der französischen
Monarchie und das unabläßige Bestreben unseres dritten Königshauses,
den Mittelstand zu befreien, verkannte, seinen Sinn darauf gestellt,
die verjährtesten Ansprüche wieder ins Leben zurufen. Turgot, welcher
die Monarchie retten wollte, indem er das NegierungöWem Josephs II.
unter Vorbehalt der nöthigen Verbesserungen einführte, fiel in Ungnade.
In einem Anfall von Wahnsinn regelte man die Zukunft des König¬
reichs, indem man den Befehl erließ, daß alle Grade in der Armee
und alle Kirchenpfründen den privilegirten Ständen vorbehalten sein soll¬
ten. Die Zukunft! Sie mußte dem Königthum verloren gehen, von
dem Augenblick an, wo es in diesen: Sinne über dieselbe zu verfügen
gedachte. Weil denn verblendete Fürsten und anmaßende Minister sich
weigerten, die Revolution von oben her zu machen, so mußte sie frei¬
lich von unten auf vollbracht werden, und man weiß heute, mit wel¬
chen Schmerzen!

Dem Rechte nach besteht die Gleichheit vor der Staatsverwaltung
fast vollständig in Oesterreich und Böhmen; der Adel trägt gleich den
übrigen Bürgern zu den Abgaben bei; Jederman hat zu den Civil-,
Kirchen- und Militairämtcrn Zutritt; die freiherrlichen Vorrechte, und
namentlich die Gerichtsgewalt der Edelleute, sind gänzlich auf bloße
Formen hin abgebracht; nur die Hofämter, mit denen übrigens gar keine
politische Function verbunden ist, sind dem, Adel vorbehalten., Ich sage,
dem Rechte nach; wenn der Mische Bestand dem Recht nicht völlig
angemessen ist, wenn z. B. der größte Theil der'Staatsämter im Be¬
sitz der Edelleute ist, so liegt der Fehler in den Sitten, die in Oester¬
reich hinsichtlich der AdelSvorurtheilc noch wenig nachgegeben haben.
Diese letztern sind ein Gesetz in den Salons, und man muß gestehen,
daß die Wiener SnlonS darum nicht weniger reizend sind. Das Gesetz
soll und kann die Umbildung der Sitten vorbereiten; aber eine, weise
und wohldenkende Regierung, eine väterliche Negierung, die jeden Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/502>, abgerufen am 23.07.2024.