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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Gedichte-Regen spricht,, so wird man künftig von einem Gedichte-Hagel
berichten, und- begeistert .wird man ausrufen: '"Alle Hagel,. Mademoiselle
X. ist eine Künstlerin, die sich gewaschen hat!/" ,

Man hat bin und wieder.ein Auskunft-Mittel ersonnen, und einen
gemäßigten Applaus-Tarif in Vorschlag gebracht. "Die Mittelmäßig¬
keit," sagte man, lasse man gänzlich unbeachtet; die Ausgezeichneten wer¬
den einmal, die noch mehr Ausgezeichneten zweimal gerufen./Für^ noch
mehr Verdienst muß sich der Künstler mit seinem Selbstgefühl abfinden.
Zweimal gerufen werden -- wird dann eben so viel, gelten, als jetzt
zwanzigmal. .Es wird auch den Künstlern weit bequemer sein> bei der¬
selben Befriedigung für ihren Ehrgeiz einmal das Publikum dankbar zu
apostrophiren, und, noch einmal gerufen, die freundliche Erinnerung, an
diesen Abend durch eine stumme Verbeugung stillschweigend zu geloben.
Jetzt müsse man ja wirklich den Debütanten bemitleiden.. Es wirt, so
oft er etwas gut macht, standrechtlich.gegen ihn verfahren, und, er wird
mitten im Akte zwei- oder dreimal vor das Publikum gestellt. Am Schlüsse
geht erst der rechte Tanz los. Die Künstlerin z. B. erscheint, spricht
einige Worte, geht links ab und kommt, noch einmal gerufen, rechts wie¬
der herein. Zum drittenmal wirft sie dem Publikum, ein, Kußhändchen
zu, zum viertenmal verbeugt sie sich wie ein Sclave des, Großsultan,
mit den Armen kreuzweise über die Brust, zum fünftenmal endlich, geru¬
fen, will sie abermals sprechen, .kann aber in'ehe, mehr vor Rührung.
Ur. .6. Sie kann wieder nicht mehr. Ur. 7. Soll sie noch einmal nicht
mehr können? ES ist gewiß eine sonderbare Situation, deren Verlegen¬
heit im geraden Verhältniß mit den Zahlen steigt. -- Dagegen läßt sich
sehr viel sagen. Vor Allein müssen wir unsern jetzigen Schauspielern
die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ihnen im Punkte des Beifalls
gar keine Mühe zu viel wird. Sie danken, verbeugen sich, sind gerührt,
können nicht mehr, Alles mit der größten Bereitwilligkeit. Ferner hört
bei einer solchen Moderation der Beifallscala jede feinere Schattirung des
Applauses gänzlich auf. Wir hätten dann nur mittelmäßig gut und aus¬
gezeichnet gut. Da fehlen alle Mitteltiteln. Jetzt läßt sich der Grad
des künstlerischen Verdienstes numerisch angeben. Wie hat MqdaMe N.
.gespielt? Antwort 10. Wie hat Herr X. gesungen? 16. Wie hat Ma¬
demoiselle I. getanzt? 20. Da weiß man, wie man daran ist. Dieses
Zahlenverhültniß nöthigt auch die Herrn Referenten in unsern Journalen
zu jener Unpartheilichkeit, die man gegenwärtig nicht genug an ihnen lo¬
ben kann. Sie erlauben sich zwar dann und wann einen kleinen Abste--


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Gedichte-Regen spricht,, so wird man künftig von einem Gedichte-Hagel
berichten, und- begeistert .wird man ausrufen: '"Alle Hagel,. Mademoiselle
X. ist eine Künstlerin, die sich gewaschen hat!/« ,

Man hat bin und wieder.ein Auskunft-Mittel ersonnen, und einen
gemäßigten Applaus-Tarif in Vorschlag gebracht. "Die Mittelmäßig¬
keit," sagte man, lasse man gänzlich unbeachtet; die Ausgezeichneten wer¬
den einmal, die noch mehr Ausgezeichneten zweimal gerufen./Für^ noch
mehr Verdienst muß sich der Künstler mit seinem Selbstgefühl abfinden.
Zweimal gerufen werden — wird dann eben so viel, gelten, als jetzt
zwanzigmal. .Es wird auch den Künstlern weit bequemer sein> bei der¬
selben Befriedigung für ihren Ehrgeiz einmal das Publikum dankbar zu
apostrophiren, und, noch einmal gerufen, die freundliche Erinnerung, an
diesen Abend durch eine stumme Verbeugung stillschweigend zu geloben.
Jetzt müsse man ja wirklich den Debütanten bemitleiden.. Es wirt, so
oft er etwas gut macht, standrechtlich.gegen ihn verfahren, und, er wird
mitten im Akte zwei- oder dreimal vor das Publikum gestellt. Am Schlüsse
geht erst der rechte Tanz los. Die Künstlerin z. B. erscheint, spricht
einige Worte, geht links ab und kommt, noch einmal gerufen, rechts wie¬
der herein. Zum drittenmal wirft sie dem Publikum, ein, Kußhändchen
zu, zum viertenmal verbeugt sie sich wie ein Sclave des, Großsultan,
mit den Armen kreuzweise über die Brust, zum fünftenmal endlich, geru¬
fen, will sie abermals sprechen, .kann aber in'ehe, mehr vor Rührung.
Ur. .6. Sie kann wieder nicht mehr. Ur. 7. Soll sie noch einmal nicht
mehr können? ES ist gewiß eine sonderbare Situation, deren Verlegen¬
heit im geraden Verhältniß mit den Zahlen steigt. — Dagegen läßt sich
sehr viel sagen. Vor Allein müssen wir unsern jetzigen Schauspielern
die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ihnen im Punkte des Beifalls
gar keine Mühe zu viel wird. Sie danken, verbeugen sich, sind gerührt,
können nicht mehr, Alles mit der größten Bereitwilligkeit. Ferner hört
bei einer solchen Moderation der Beifallscala jede feinere Schattirung des
Applauses gänzlich auf. Wir hätten dann nur mittelmäßig gut und aus¬
gezeichnet gut. Da fehlen alle Mitteltiteln. Jetzt läßt sich der Grad
des künstlerischen Verdienstes numerisch angeben. Wie hat MqdaMe N.
.gespielt? Antwort 10. Wie hat Herr X. gesungen? 16. Wie hat Ma¬
demoiselle I. getanzt? 20. Da weiß man, wie man daran ist. Dieses
Zahlenverhültniß nöthigt auch die Herrn Referenten in unsern Journalen
zu jener Unpartheilichkeit, die man gegenwärtig nicht genug an ihnen lo¬
ben kann. Sie erlauben sich zwar dann und wann einen kleinen Abste--


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[0483] Gedichte-Regen spricht,, so wird man künftig von einem Gedichte-Hagel berichten, und- begeistert .wird man ausrufen: '"Alle Hagel,. Mademoiselle X. ist eine Künstlerin, die sich gewaschen hat!/« , Man hat bin und wieder.ein Auskunft-Mittel ersonnen, und einen gemäßigten Applaus-Tarif in Vorschlag gebracht. "Die Mittelmäßig¬ keit," sagte man, lasse man gänzlich unbeachtet; die Ausgezeichneten wer¬ den einmal, die noch mehr Ausgezeichneten zweimal gerufen./Für^ noch mehr Verdienst muß sich der Künstler mit seinem Selbstgefühl abfinden. Zweimal gerufen werden — wird dann eben so viel, gelten, als jetzt zwanzigmal. .Es wird auch den Künstlern weit bequemer sein> bei der¬ selben Befriedigung für ihren Ehrgeiz einmal das Publikum dankbar zu apostrophiren, und, noch einmal gerufen, die freundliche Erinnerung, an diesen Abend durch eine stumme Verbeugung stillschweigend zu geloben. Jetzt müsse man ja wirklich den Debütanten bemitleiden.. Es wirt, so oft er etwas gut macht, standrechtlich.gegen ihn verfahren, und, er wird mitten im Akte zwei- oder dreimal vor das Publikum gestellt. Am Schlüsse geht erst der rechte Tanz los. Die Künstlerin z. B. erscheint, spricht einige Worte, geht links ab und kommt, noch einmal gerufen, rechts wie¬ der herein. Zum drittenmal wirft sie dem Publikum, ein, Kußhändchen zu, zum viertenmal verbeugt sie sich wie ein Sclave des, Großsultan, mit den Armen kreuzweise über die Brust, zum fünftenmal endlich, geru¬ fen, will sie abermals sprechen, .kann aber in'ehe, mehr vor Rührung. Ur. .6. Sie kann wieder nicht mehr. Ur. 7. Soll sie noch einmal nicht mehr können? ES ist gewiß eine sonderbare Situation, deren Verlegen¬ heit im geraden Verhältniß mit den Zahlen steigt. — Dagegen läßt sich sehr viel sagen. Vor Allein müssen wir unsern jetzigen Schauspielern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ihnen im Punkte des Beifalls gar keine Mühe zu viel wird. Sie danken, verbeugen sich, sind gerührt, können nicht mehr, Alles mit der größten Bereitwilligkeit. Ferner hört bei einer solchen Moderation der Beifallscala jede feinere Schattirung des Applauses gänzlich auf. Wir hätten dann nur mittelmäßig gut und aus¬ gezeichnet gut. Da fehlen alle Mitteltiteln. Jetzt läßt sich der Grad des künstlerischen Verdienstes numerisch angeben. Wie hat MqdaMe N. .gespielt? Antwort 10. Wie hat Herr X. gesungen? 16. Wie hat Ma¬ demoiselle I. getanzt? 20. Da weiß man, wie man daran ist. Dieses Zahlenverhültniß nöthigt auch die Herrn Referenten in unsern Journalen zu jener Unpartheilichkeit, die man gegenwärtig nicht genug an ihnen lo¬ ben kann. Sie erlauben sich zwar dann und wann einen kleinen Abste-- 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/483>, abgerufen am 02.07.2024.