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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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lich, in der man schon in früherer Jugend bedeutende Fortschritte ge¬
macht haben muß -- in vorgerücktem Alter hat es kein Mensch weit
darin gebracht. Wenn nun ein Frauenzimmer eigentlich im Schönsein
concentrirt, und sich dazu mit einem Gesänge, mit Tanz, oder mit den
Worten eines recitircndm Schauspiels begleitet, so nimmt das Schönsein
als eigentliches Debüt die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch, und
nicht der als Nebensache zu betrachtende Tanz oder Gesang, und so kann
Z., B. eine in der Kunst mittelmäßige, jedoch ausgezeichnet schöne Tän¬
zerin mit allem Rechte zwanzigmal gerufen werden. Ist aber die Schöne
noch dazu in einem andern Fache, als im Schönsein, Künstlerin, so hängt
es vollends von ihr ab, ob sie ihre Triumphe mehr der Schönheit oder
mehr der Kunst zu danken haben will. Was haben wir uns darein zu
neurer?

Man will weiter den Enthusiasmus in der Weise, wie wir jetzt
gewohnt sind, ihn zu äußern, ganz aus dem Schauspielhause verbannen"
'/Die Wirkung der Kunst," sagt man, sei eine das Gemüth veredelnde,
eine, die den Menschen erhebt, seine Gesinnung reinigt, seine Gesittung
mildert. Jenes bacchantische Toben der Menge, jenes Brüllen, jenes
Stampfen sei nicht die Weise, auf welche der geistiger Genüsse Fähige
für diese seine Anerkennung zollt; ein solches Treiben bedeute nichts als
die augenblickliche Befriedigung einer durch ein Kunststück allarmirten
Menge, und nicht das Kundgeben eines auf guten Geschmack und rich¬
tige'Empfindung basirten Urtheils." Ja, das ist aber Alles grundfalsch!
Der Enthusiasmus ist eben der Effekt des Außerordentlichen in einer
Kunstleistung. Dafür giebt es keine Regel, kein Gesetz, keine Vorschrift
des Kor-ton. Wenn das bereits Gesehene wieder gesehen wird, so We
sich vergleichen und ruhig loben oder tadeln; die Anerkennung jedoch,
für etwas, dessen Möglichkeit man kaum ahnt, für eine Leistung, die al¬
les bishex Bewunderte weit hinter sich läßt, kann sich unmöglich im Kanz¬
leistyl des Anstands fassen; sie entzückt, sie begeistert, sie reißt hin mit
unwiderstehlicher Allgewalt, der brausende Strom unserer Empfindungen
tritt aus dem seichten Bette der Gewohnheit, es drängt uns die innere
Lust auszusprechen, wir sind keines Wortes mächtig, wir jubeln, wir to¬
ben, wir schreien, wir, stampfen, wir brüllen, blos um uns Luft zu ma¬
cheu: Lust! Luft! Luft! Wie kann man so grausam sein, uns die Lust
^nehmen zu wollen wegen des kalte" Anstands! Und ist eine vor Freude
trunkene Menge nicht ein erhobenes Schauspiel? Kann man eine Wir¬
kung mißbilligen, deren Ursache das nov xlus ultr" der Kunst ist? Or<


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lich, in der man schon in früherer Jugend bedeutende Fortschritte ge¬
macht haben muß — in vorgerücktem Alter hat es kein Mensch weit
darin gebracht. Wenn nun ein Frauenzimmer eigentlich im Schönsein
concentrirt, und sich dazu mit einem Gesänge, mit Tanz, oder mit den
Worten eines recitircndm Schauspiels begleitet, so nimmt das Schönsein
als eigentliches Debüt die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch, und
nicht der als Nebensache zu betrachtende Tanz oder Gesang, und so kann
Z., B. eine in der Kunst mittelmäßige, jedoch ausgezeichnet schöne Tän¬
zerin mit allem Rechte zwanzigmal gerufen werden. Ist aber die Schöne
noch dazu in einem andern Fache, als im Schönsein, Künstlerin, so hängt
es vollends von ihr ab, ob sie ihre Triumphe mehr der Schönheit oder
mehr der Kunst zu danken haben will. Was haben wir uns darein zu
neurer?

Man will weiter den Enthusiasmus in der Weise, wie wir jetzt
gewohnt sind, ihn zu äußern, ganz aus dem Schauspielhause verbannen»
'/Die Wirkung der Kunst," sagt man, sei eine das Gemüth veredelnde,
eine, die den Menschen erhebt, seine Gesinnung reinigt, seine Gesittung
mildert. Jenes bacchantische Toben der Menge, jenes Brüllen, jenes
Stampfen sei nicht die Weise, auf welche der geistiger Genüsse Fähige
für diese seine Anerkennung zollt; ein solches Treiben bedeute nichts als
die augenblickliche Befriedigung einer durch ein Kunststück allarmirten
Menge, und nicht das Kundgeben eines auf guten Geschmack und rich¬
tige'Empfindung basirten Urtheils." Ja, das ist aber Alles grundfalsch!
Der Enthusiasmus ist eben der Effekt des Außerordentlichen in einer
Kunstleistung. Dafür giebt es keine Regel, kein Gesetz, keine Vorschrift
des Kor-ton. Wenn das bereits Gesehene wieder gesehen wird, so We
sich vergleichen und ruhig loben oder tadeln; die Anerkennung jedoch,
für etwas, dessen Möglichkeit man kaum ahnt, für eine Leistung, die al¬
les bishex Bewunderte weit hinter sich läßt, kann sich unmöglich im Kanz¬
leistyl des Anstands fassen; sie entzückt, sie begeistert, sie reißt hin mit
unwiderstehlicher Allgewalt, der brausende Strom unserer Empfindungen
tritt aus dem seichten Bette der Gewohnheit, es drängt uns die innere
Lust auszusprechen, wir sind keines Wortes mächtig, wir jubeln, wir to¬
ben, wir schreien, wir, stampfen, wir brüllen, blos um uns Luft zu ma¬
cheu: Lust! Luft! Luft! Wie kann man so grausam sein, uns die Lust
^nehmen zu wollen wegen des kalte» Anstands! Und ist eine vor Freude
trunkene Menge nicht ein erhobenes Schauspiel? Kann man eine Wir¬
kung mißbilligen, deren Ursache das nov xlus ultr» der Kunst ist? Or<


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[0481] lich, in der man schon in früherer Jugend bedeutende Fortschritte ge¬ macht haben muß — in vorgerücktem Alter hat es kein Mensch weit darin gebracht. Wenn nun ein Frauenzimmer eigentlich im Schönsein concentrirt, und sich dazu mit einem Gesänge, mit Tanz, oder mit den Worten eines recitircndm Schauspiels begleitet, so nimmt das Schönsein als eigentliches Debüt die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch, und nicht der als Nebensache zu betrachtende Tanz oder Gesang, und so kann Z., B. eine in der Kunst mittelmäßige, jedoch ausgezeichnet schöne Tän¬ zerin mit allem Rechte zwanzigmal gerufen werden. Ist aber die Schöne noch dazu in einem andern Fache, als im Schönsein, Künstlerin, so hängt es vollends von ihr ab, ob sie ihre Triumphe mehr der Schönheit oder mehr der Kunst zu danken haben will. Was haben wir uns darein zu neurer? Man will weiter den Enthusiasmus in der Weise, wie wir jetzt gewohnt sind, ihn zu äußern, ganz aus dem Schauspielhause verbannen» '/Die Wirkung der Kunst," sagt man, sei eine das Gemüth veredelnde, eine, die den Menschen erhebt, seine Gesinnung reinigt, seine Gesittung mildert. Jenes bacchantische Toben der Menge, jenes Brüllen, jenes Stampfen sei nicht die Weise, auf welche der geistiger Genüsse Fähige für diese seine Anerkennung zollt; ein solches Treiben bedeute nichts als die augenblickliche Befriedigung einer durch ein Kunststück allarmirten Menge, und nicht das Kundgeben eines auf guten Geschmack und rich¬ tige'Empfindung basirten Urtheils." Ja, das ist aber Alles grundfalsch! Der Enthusiasmus ist eben der Effekt des Außerordentlichen in einer Kunstleistung. Dafür giebt es keine Regel, kein Gesetz, keine Vorschrift des Kor-ton. Wenn das bereits Gesehene wieder gesehen wird, so We sich vergleichen und ruhig loben oder tadeln; die Anerkennung jedoch, für etwas, dessen Möglichkeit man kaum ahnt, für eine Leistung, die al¬ les bishex Bewunderte weit hinter sich läßt, kann sich unmöglich im Kanz¬ leistyl des Anstands fassen; sie entzückt, sie begeistert, sie reißt hin mit unwiderstehlicher Allgewalt, der brausende Strom unserer Empfindungen tritt aus dem seichten Bette der Gewohnheit, es drängt uns die innere Lust auszusprechen, wir sind keines Wortes mächtig, wir jubeln, wir to¬ ben, wir schreien, wir, stampfen, wir brüllen, blos um uns Luft zu ma¬ cheu: Lust! Luft! Luft! Wie kann man so grausam sein, uns die Lust ^nehmen zu wollen wegen des kalte» Anstands! Und ist eine vor Freude trunkene Menge nicht ein erhobenes Schauspiel? Kann man eine Wir¬ kung mißbilligen, deren Ursache das nov xlus ultr» der Kunst ist? Or< 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/481>, abgerufen am 22.12.2024.