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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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während die Sorge für ihren eigenen ihnen schon obliegt. Entweder muß gar kein
Religionsdiener vom Staate besoldet werden, wie in Amerika, oder alle ohne
Ausnahme.*) Freilich könnte man sagen --die Negierung besoldet ja Einen prote¬
stantischen Geistlichen in Brüssel, gehe man also in die Kirche desselben! Wenn
aber wirklich dieser Eine Prediger durch seine Beredsamkeit, durch seinen Glauben
Alle anziehen würde, so könnte man bald entdecken, daß die Kirche viel zu klein
wäre, und während ein Sterbender in?aeken nach der Hülfe seines Geistlichen
verlangte, befände sich dieser am Krankenbette eines Andern in JrelleS, und bis
der Prediger endlich nach mehreren Stunden glücklich am Bette des Sterbenden
anlangte, könnte derselbe schon ohne den Trost der Religion dahin geschieden sein.
In einer Stadt von solcher AuSgcdehntheit, wie Brüssel mit seinen Vorstädten, bei
einer Seelenzahl von wenigstens 8000 -- 10,000 deutschen und französischen Prote¬
stanten, die unter 100,000 Katholiken zerstreut leben, ist ein einziger Geistlicher
viel zu wenig, wie die Erfahrung lehrte; denn neben der Kirche des Herrn Bou-
cher sind noch zwei neue protestantische Kirchen in Brüssel entstanden, eine lutherische
und eine reformirte, rue <Juc?>Je, deren Prediger der durch seine 3 Briefe an den
Ubbo Boone bekannte Herr Parchend ist. Auch diese Kirchen werden aus den ei¬
genen Mitteln ihrer Glieder unterhalten. Würde daS geschehen, wenn ein Einziger
genug wäre? Nein, selbst der von dem Staate bisher besoldete Prediger, obgleich
seine Gemeinde seit dein Beginn seiner Amtsführung sich in vier Kirchengemeinden
spaltete, fand für gut, der Negierung, zu bedeuten, daß zwei Prediger nöthig seien,
was acht Jahre früher nicht eingestanden werden wollte, und es wurde seiner Kir¬
che, als der einen von den vier bestehenden, ein zweiter Prediger in seinem Sohne
zugegeben, dem die Regierung eine Besoldung von 2,400 Franken bezahlt, zu wel¬
cher die Gliedcrdcr Gemeinde des Herrn Panchaud und Boucher und ^er lutherischen
Gemeinde abermals bcisteurcn müssen, so wie zu dem Unterhalte eines jener Kirche
noch gestatteten BicarS mit 1500 Franken.

Was Wunder also, wenn die Gemeinde des Herrn Boucher, die solche Gro߬
muth der Negierung gegen Eine der bestehenden Kirchen wahrnahm, diese Großmuth
<.,>es für sich in Anspruch nehmen will, und wenigstens neben der Anerkennung ih-'



Anm> d. Red.
Ohne !n dieser Angelegenheit für oder wider Partei zu nehmen, können wir doch
die Bemerkung nicht unterdrücke", daß diese Folgerung unsers Herrn Corrcspon-
dcntc" auf nicht sehr festen Füßen steht. Wenn die Regierung jeden Religions-
diener besolden sollte, so würde bald jede Gemeinde in zahllose Parzellen sich zersplit¬
tern, und jeder Einzelne könnte verlangen, daß man für ihn einen Priester anstelle.

während die Sorge für ihren eigenen ihnen schon obliegt. Entweder muß gar kein
Religionsdiener vom Staate besoldet werden, wie in Amerika, oder alle ohne
Ausnahme.*) Freilich könnte man sagen —die Negierung besoldet ja Einen prote¬
stantischen Geistlichen in Brüssel, gehe man also in die Kirche desselben! Wenn
aber wirklich dieser Eine Prediger durch seine Beredsamkeit, durch seinen Glauben
Alle anziehen würde, so könnte man bald entdecken, daß die Kirche viel zu klein
wäre, und während ein Sterbender in?aeken nach der Hülfe seines Geistlichen
verlangte, befände sich dieser am Krankenbette eines Andern in JrelleS, und bis
der Prediger endlich nach mehreren Stunden glücklich am Bette des Sterbenden
anlangte, könnte derselbe schon ohne den Trost der Religion dahin geschieden sein.
In einer Stadt von solcher AuSgcdehntheit, wie Brüssel mit seinen Vorstädten, bei
einer Seelenzahl von wenigstens 8000 — 10,000 deutschen und französischen Prote¬
stanten, die unter 100,000 Katholiken zerstreut leben, ist ein einziger Geistlicher
viel zu wenig, wie die Erfahrung lehrte; denn neben der Kirche des Herrn Bou-
cher sind noch zwei neue protestantische Kirchen in Brüssel entstanden, eine lutherische
und eine reformirte, rue <Juc?>Je, deren Prediger der durch seine 3 Briefe an den
Ubbo Boone bekannte Herr Parchend ist. Auch diese Kirchen werden aus den ei¬
genen Mitteln ihrer Glieder unterhalten. Würde daS geschehen, wenn ein Einziger
genug wäre? Nein, selbst der von dem Staate bisher besoldete Prediger, obgleich
seine Gemeinde seit dein Beginn seiner Amtsführung sich in vier Kirchengemeinden
spaltete, fand für gut, der Negierung, zu bedeuten, daß zwei Prediger nöthig seien,
was acht Jahre früher nicht eingestanden werden wollte, und es wurde seiner Kir¬
che, als der einen von den vier bestehenden, ein zweiter Prediger in seinem Sohne
zugegeben, dem die Regierung eine Besoldung von 2,400 Franken bezahlt, zu wel¬
cher die Gliedcrdcr Gemeinde des Herrn Panchaud und Boucher und ^er lutherischen
Gemeinde abermals bcisteurcn müssen, so wie zu dem Unterhalte eines jener Kirche
noch gestatteten BicarS mit 1500 Franken.

Was Wunder also, wenn die Gemeinde des Herrn Boucher, die solche Gro߬
muth der Negierung gegen Eine der bestehenden Kirchen wahrnahm, diese Großmuth
<.,>es für sich in Anspruch nehmen will, und wenigstens neben der Anerkennung ih-'



Anm> d. Red.
Ohne !n dieser Angelegenheit für oder wider Partei zu nehmen, können wir doch
die Bemerkung nicht unterdrücke», daß diese Folgerung unsers Herrn Corrcspon-
dcntc» auf nicht sehr festen Füßen steht. Wenn die Regierung jeden Religions-
diener besolden sollte, so würde bald jede Gemeinde in zahllose Parzellen sich zersplit¬
tern, und jeder Einzelne könnte verlangen, daß man für ihn einen Priester anstelle.
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[0454] während die Sorge für ihren eigenen ihnen schon obliegt. Entweder muß gar kein Religionsdiener vom Staate besoldet werden, wie in Amerika, oder alle ohne Ausnahme.*) Freilich könnte man sagen —die Negierung besoldet ja Einen prote¬ stantischen Geistlichen in Brüssel, gehe man also in die Kirche desselben! Wenn aber wirklich dieser Eine Prediger durch seine Beredsamkeit, durch seinen Glauben Alle anziehen würde, so könnte man bald entdecken, daß die Kirche viel zu klein wäre, und während ein Sterbender in?aeken nach der Hülfe seines Geistlichen verlangte, befände sich dieser am Krankenbette eines Andern in JrelleS, und bis der Prediger endlich nach mehreren Stunden glücklich am Bette des Sterbenden anlangte, könnte derselbe schon ohne den Trost der Religion dahin geschieden sein. In einer Stadt von solcher AuSgcdehntheit, wie Brüssel mit seinen Vorstädten, bei einer Seelenzahl von wenigstens 8000 — 10,000 deutschen und französischen Prote¬ stanten, die unter 100,000 Katholiken zerstreut leben, ist ein einziger Geistlicher viel zu wenig, wie die Erfahrung lehrte; denn neben der Kirche des Herrn Bou- cher sind noch zwei neue protestantische Kirchen in Brüssel entstanden, eine lutherische und eine reformirte, rue <Juc?>Je, deren Prediger der durch seine 3 Briefe an den Ubbo Boone bekannte Herr Parchend ist. Auch diese Kirchen werden aus den ei¬ genen Mitteln ihrer Glieder unterhalten. Würde daS geschehen, wenn ein Einziger genug wäre? Nein, selbst der von dem Staate bisher besoldete Prediger, obgleich seine Gemeinde seit dein Beginn seiner Amtsführung sich in vier Kirchengemeinden spaltete, fand für gut, der Negierung, zu bedeuten, daß zwei Prediger nöthig seien, was acht Jahre früher nicht eingestanden werden wollte, und es wurde seiner Kir¬ che, als der einen von den vier bestehenden, ein zweiter Prediger in seinem Sohne zugegeben, dem die Regierung eine Besoldung von 2,400 Franken bezahlt, zu wel¬ cher die Gliedcrdcr Gemeinde des Herrn Panchaud und Boucher und ^er lutherischen Gemeinde abermals bcisteurcn müssen, so wie zu dem Unterhalte eines jener Kirche noch gestatteten BicarS mit 1500 Franken. Was Wunder also, wenn die Gemeinde des Herrn Boucher, die solche Gro߬ muth der Negierung gegen Eine der bestehenden Kirchen wahrnahm, diese Großmuth <.,>es für sich in Anspruch nehmen will, und wenigstens neben der Anerkennung ih-' Anm> d. Red. Ohne !n dieser Angelegenheit für oder wider Partei zu nehmen, können wir doch die Bemerkung nicht unterdrücke», daß diese Folgerung unsers Herrn Corrcspon- dcntc» auf nicht sehr festen Füßen steht. Wenn die Regierung jeden Religions- diener besolden sollte, so würde bald jede Gemeinde in zahllose Parzellen sich zersplit¬ tern, und jeder Einzelne könnte verlangen, daß man für ihn einen Priester anstelle.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/454>, abgerufen am 23.07.2024.