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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Vaterstadt Genffolgte. Die Protestantische Gemeinde fühlte sich verwaist, da durch
die damaligen politischen Ereignisse auch die zwei Holländischen Prediger, welche die
Augustiner Kirche inne hatte", aus Brüssel gegangen waren. ES war schwer, zu
jener Zeit einen Geistlichen zu finden, der beide Sprachen, deutsch und französisch,
so konnte, um in denselben predigen zu können. Da erhielt das Konsistorium dieZu-
sichcrung deS Königs Leopold, der unterdessen von der Nation erwählt worden war,
daß er die Negierung bestimmen wolle, die Bezahlung zweier protestantischen Geist¬
lichen zu übernehmen, er selbst aber wolle aus seiner Privatkasse die Besoldung ei¬
nes dritten Geistlichen bestreiten, welche drei abwechselnd, in der Augustinerkirche,
in der alten Hofkapelle, <in -nisu", und in der Privatkapclle deS Königs pre¬
digen sollten. Auf diese Weise hätte man hoffen können, einen gebornen Deutschen
für die deutsche, einen gebornen Franzosen für die französische Predigt zu erhalten,
und diejenigen, welche in der untern Stadt, außer dem Flandrischen, o5er dem Lae-
kener Thore wohnten, hätten eine Kirche in.ihrer Nähe gehabt. Doch diese Aus¬
sicht realisirte sich nicht und in der Hoffnung getäuscht, einen zweiten Prediger von
der Regierung zu erhalten, sannen mehrere zu der sogenannten altprotcstantischen
Kirche gehörigen Glieder auf Mittel, um mit eigenem Gelde die Kosten eines zwei¬
ten Pfarrers und einer zweiten Kirche zu bestreiten. Dies wurde im Jahre 1834
möglich gemacht, und ein junger französischer Geistlicher, Namens Boucher, aus der
Gegend von Lilie, wo er eine Stelle hatte, ward von diesen altprotestantischen
Gliedern berufen. Noch nicht ordinirt, als er hierher kam, sah er sich doch bald
genöthigt, diesem Gesetze Genüge zu thun, was in der protestantischen Kirche zu
Lille geschah. Die Rednertalente des Herrn Boucher füllten seine Kirche so, daß
dieselbe bald zu klein war, und er fühlte sich gedrungen, nach England und Amerika
zu reisen und zum Bau einer eigenen Kirche zu collectiren. Dies gelang. Bei sei¬
ner Zurückkauft begann der Bau derselben, und eine Kirche im modernen Geschmack
erhob sich unweit des Schacrbecker Thores auf dem Boulevard de l'Observatoire,
eine halbe Stunde von der mo ni^zue entfernt. Die Glieder dieser Kirche be¬
zahlen aus eigenem Vermögen den Prediger, während sie, wie alle andern Prote¬
stanten, Abgaben entrichten, aus welchen nun die übrigen protestantischen und katho¬
lischen Geistlichen besoldet werden. Und es entstand nun die Frage: Haben wir
nicht eben so gut das Recht, die Besoldung unsers Geistlichen aus denselben StaatS-
abgaben bezahlen zu lassen, aus welchen die übrigen Geistlichen, katholische, prote¬
stantische und israelitische, besoldet werden? So lange der Staat vollkommene Cultus¬
freiheit in das Grundgesetz aufgenommen hat, so ist diese Freiheit nur halb, wenn
den Einen alle Mittel zum Unterhalte ihres Cultus gegeben und den Andern diese
Mittel entzogen werden. Ja, es erscheint als eine Ungerechtigkeit, wenn Mitglieder
eines andern Cultus zum Unterhalte des fremden beizutragen gezwungen werden,


Vaterstadt Genffolgte. Die Protestantische Gemeinde fühlte sich verwaist, da durch
die damaligen politischen Ereignisse auch die zwei Holländischen Prediger, welche die
Augustiner Kirche inne hatte", aus Brüssel gegangen waren. ES war schwer, zu
jener Zeit einen Geistlichen zu finden, der beide Sprachen, deutsch und französisch,
so konnte, um in denselben predigen zu können. Da erhielt das Konsistorium dieZu-
sichcrung deS Königs Leopold, der unterdessen von der Nation erwählt worden war,
daß er die Negierung bestimmen wolle, die Bezahlung zweier protestantischen Geist¬
lichen zu übernehmen, er selbst aber wolle aus seiner Privatkasse die Besoldung ei¬
nes dritten Geistlichen bestreiten, welche drei abwechselnd, in der Augustinerkirche,
in der alten Hofkapelle, <in -nisu», und in der Privatkapclle deS Königs pre¬
digen sollten. Auf diese Weise hätte man hoffen können, einen gebornen Deutschen
für die deutsche, einen gebornen Franzosen für die französische Predigt zu erhalten,
und diejenigen, welche in der untern Stadt, außer dem Flandrischen, o5er dem Lae-
kener Thore wohnten, hätten eine Kirche in.ihrer Nähe gehabt. Doch diese Aus¬
sicht realisirte sich nicht und in der Hoffnung getäuscht, einen zweiten Prediger von
der Regierung zu erhalten, sannen mehrere zu der sogenannten altprotcstantischen
Kirche gehörigen Glieder auf Mittel, um mit eigenem Gelde die Kosten eines zwei¬
ten Pfarrers und einer zweiten Kirche zu bestreiten. Dies wurde im Jahre 1834
möglich gemacht, und ein junger französischer Geistlicher, Namens Boucher, aus der
Gegend von Lilie, wo er eine Stelle hatte, ward von diesen altprotestantischen
Gliedern berufen. Noch nicht ordinirt, als er hierher kam, sah er sich doch bald
genöthigt, diesem Gesetze Genüge zu thun, was in der protestantischen Kirche zu
Lille geschah. Die Rednertalente des Herrn Boucher füllten seine Kirche so, daß
dieselbe bald zu klein war, und er fühlte sich gedrungen, nach England und Amerika
zu reisen und zum Bau einer eigenen Kirche zu collectiren. Dies gelang. Bei sei¬
ner Zurückkauft begann der Bau derselben, und eine Kirche im modernen Geschmack
erhob sich unweit des Schacrbecker Thores auf dem Boulevard de l'Observatoire,
eine halbe Stunde von der mo ni^zue entfernt. Die Glieder dieser Kirche be¬
zahlen aus eigenem Vermögen den Prediger, während sie, wie alle andern Prote¬
stanten, Abgaben entrichten, aus welchen nun die übrigen protestantischen und katho¬
lischen Geistlichen besoldet werden. Und es entstand nun die Frage: Haben wir
nicht eben so gut das Recht, die Besoldung unsers Geistlichen aus denselben StaatS-
abgaben bezahlen zu lassen, aus welchen die übrigen Geistlichen, katholische, prote¬
stantische und israelitische, besoldet werden? So lange der Staat vollkommene Cultus¬
freiheit in das Grundgesetz aufgenommen hat, so ist diese Freiheit nur halb, wenn
den Einen alle Mittel zum Unterhalte ihres Cultus gegeben und den Andern diese
Mittel entzogen werden. Ja, es erscheint als eine Ungerechtigkeit, wenn Mitglieder
eines andern Cultus zum Unterhalte des fremden beizutragen gezwungen werden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/453>, abgerufen am 23.07.2024.