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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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das Colorit so kräftig und harmonisch/ und der ganze Ton des Gemäl¬
des so mit dem Gegenstände in Einklang; mit einem Worte, das Ganze
so edel, so würdig, so weit entfernt von theatralischen Effect, von allen
den kreischenden Farbenstücken, welche rings umher das Auge verletzten,
daß man sogleich beim Anblick dieses Werkes abrief: hier ist Wahr¬
heit, hier echte Schönheit!*)

Dieses Gemälde, das Werk eines bis dahin fast unbekannten jun¬
gen Mannes, mit Namen Wapvers, Zögling vonHerreyns und Mathias
Van Bree, brachte den Umschwung, dessen die flnmändische Malerei
seit so langer Zeit harrte, zur Erfüllung. Der Anfang war gemacht,
gegen die Männer der kaiserlichen Hofkunst die Waffen zu erheben. Seit
der Auöstellug von 1330 beginnt in der That eineIvöllige Wiedergeburt
unserer Schule, und nach dem Vorgang des jungen Stifters der neuen
Kunst wendet sich unsere gesammte knnstübende Jugend gegen David
und Lens, und geht bis zum siebzehnten Jahrhunderte ^zurück, bis zu
jenem Glanzpunkte unserer Vorzeit, aus, dem Herrepns fortwährend
als auf die Zukunft in seiner Kunst hingewiesen hatte.

Die Malerschulen unseres Landes boten damals, ein sonderbares
Schauspiel dar. Auf allen Seiten brach der Aufstand zu Gunsten der
vaterländischen Kunst aus. Ohne Plan und Verständniß warf man sich jetzt
aus die Farbe. Der Name Rubens war das Loosungswort geworden;
man fing wieder an, die reichen strahlenden Gemälde dieses Meisters zu
studieren; man suchte hinter das Geheimniß seiner mannichfachen und
prächtigen Farbentöne, seiner so tiefen, so bezaubernden Harmonie zu
kommen. Die Kirchen und das Museum zu Antwerpen werden nie
leer. Jeden Augenblick stieß man auf eine Palette, überall traf man
Pinsel. Drei volle Jahre dauerte dieser Enthusiasmus, dieses Getüm¬
mel in den Bildersälen.

So kam die Zeit heran, wo die zweite Brüsseler Ausstellung, die
vom Jahr 1833, eröffnet wurde. Ein neues Schauspiel bot sich dar,
nicht minder merkwürdig als das frühere; eine zügellose Reaction der
Coloristen, von der eS schwer ist eine Vorstellung zu geben, das Er-



Einer der geistreichsten Schriftsteller, welche die belgische Presse besessen hat,
characterisirt den ganzen Salon durch diesen eben so harten als wahren Aus-
spruch: " Wie geschieht es, daß die biedren Levdener Hungers sterben un¬
ter soviel Kocherei? " --

das Colorit so kräftig und harmonisch/ und der ganze Ton des Gemäl¬
des so mit dem Gegenstände in Einklang; mit einem Worte, das Ganze
so edel, so würdig, so weit entfernt von theatralischen Effect, von allen
den kreischenden Farbenstücken, welche rings umher das Auge verletzten,
daß man sogleich beim Anblick dieses Werkes abrief: hier ist Wahr¬
heit, hier echte Schönheit!*)

Dieses Gemälde, das Werk eines bis dahin fast unbekannten jun¬
gen Mannes, mit Namen Wapvers, Zögling vonHerreyns und Mathias
Van Bree, brachte den Umschwung, dessen die flnmändische Malerei
seit so langer Zeit harrte, zur Erfüllung. Der Anfang war gemacht,
gegen die Männer der kaiserlichen Hofkunst die Waffen zu erheben. Seit
der Auöstellug von 1330 beginnt in der That eineIvöllige Wiedergeburt
unserer Schule, und nach dem Vorgang des jungen Stifters der neuen
Kunst wendet sich unsere gesammte knnstübende Jugend gegen David
und Lens, und geht bis zum siebzehnten Jahrhunderte ^zurück, bis zu
jenem Glanzpunkte unserer Vorzeit, aus, dem Herrepns fortwährend
als auf die Zukunft in seiner Kunst hingewiesen hatte.

Die Malerschulen unseres Landes boten damals, ein sonderbares
Schauspiel dar. Auf allen Seiten brach der Aufstand zu Gunsten der
vaterländischen Kunst aus. Ohne Plan und Verständniß warf man sich jetzt
aus die Farbe. Der Name Rubens war das Loosungswort geworden;
man fing wieder an, die reichen strahlenden Gemälde dieses Meisters zu
studieren; man suchte hinter das Geheimniß seiner mannichfachen und
prächtigen Farbentöne, seiner so tiefen, so bezaubernden Harmonie zu
kommen. Die Kirchen und das Museum zu Antwerpen werden nie
leer. Jeden Augenblick stieß man auf eine Palette, überall traf man
Pinsel. Drei volle Jahre dauerte dieser Enthusiasmus, dieses Getüm¬
mel in den Bildersälen.

So kam die Zeit heran, wo die zweite Brüsseler Ausstellung, die
vom Jahr 1833, eröffnet wurde. Ein neues Schauspiel bot sich dar,
nicht minder merkwürdig als das frühere; eine zügellose Reaction der
Coloristen, von der eS schwer ist eine Vorstellung zu geben, das Er-



Einer der geistreichsten Schriftsteller, welche die belgische Presse besessen hat,
characterisirt den ganzen Salon durch diesen eben so harten als wahren Aus-
spruch: » Wie geschieht es, daß die biedren Levdener Hungers sterben un¬
ter soviel Kocherei? " —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/39>, abgerufen am 04.07.2024.