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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Diademe. Da fanden sich alle Greuel des Atreus, aller erstickte Zorn
des Achill, Agamenmons ganzes Haus und der Stamm des Orestes; da
sah man Dianen mit ihren seit zwei Jahrtausenden der Jagd entwöhnten
Windhunden, Cupido mit den seit zwei tausend Jahren rastenden Pfeilen,
Dido mit frisch in Thränen gebadeten Augen, und Venus mit neuem
Noth auf den Wangen. Die ganze Mythologie, so reizend, so anmu¬
thig, so lieblich für die Jahre der Jugend und der Schularbeit, zeigte
sich in Flittergold gekleidet und geschminkt wie eine verblühte Bühnen¬
heldin. Jene ganze Geschichte, so großartig, so poetisch, stand dort auf
xine fabelhaft lächerliche Weise, travestirt. Bildsäulen waren es, ohne
Leben und Gliederung, mit einem Stück Leinewand von Jouy und einem
Sammetlappen ans Utrecht behängen; Griechen und Römer, mit Cuirassier-
helmen und pappenen, mit Silberpapier überzogenen Panzern. Und all dies
Geflimmer von Stoffen und Vergoldung, diese lahmen und verrenkten
Gestalten, diese Rüstungen, die dem leisesten Stoße von Don Quirote'ö
Degen nicht widerstanden hatten, gaben einen um so schneidender" und
schreienderen Glanz, da sie wie von bengalischen Feuer beschienen wurden

Hie und da erblickte man sogar einige sogenannte religiöse Bilder,
ans denen die Personen aus der heiligen Geschichte nicht minder gemi߬
handelt waren, als die aus der Mythologie und aus dem griechischen
zend indischen Alterthum.

Mitten unter diesem bizarren und unbegreiflichen Kram hing ein
Bild, welches allem so viel werth war als die ganze übrige Sammlung.
Die Menge der Besuchenden freute sich Tag für Tag an dieser Leine-
wand, und ward nicht müde, sie zu betrachten. In der Ti)ut man fühlte
es sofort, -und wie aus Jnstinct, daß dieser Nahmen etwas Großes
einschließe. Der Künstler hatte einen Moment der niederländischen Ge¬
schichte dargestellt; eine Scene aus der Belagerung von Leyden durch die
Spanier im Jahr 1574. -- In der Mitte eines öffentlichen Platzes
sah man die Bürger dieser heroischen von Hunger heimgesuchten Stadt,
welche mit Heftigkeit Brot oder die Uebergabe der Stadt forderten. Der
Bürgermeister Van der Werff hielt der Menge den bloßen Degen hin
und schien, mit stoischer Fassung, die Worte zu sagen: "Brot habe
ich nicht, wenn aber mein Tod euch zufriedenstellen kann, se theilt mei¬
nen Leib unter euch; ich werde gern den Tod erleiden." --- Die An¬
ordnung dieser Scene war so einfach und zugleich so 'großartig; in dem
Ausdrucke der Gesichter lag ein so tiefes Gefühl und eine so poetische
Wahrheit, die Zeichnung war so richtig und die Bewegung so natürlich,


Diademe. Da fanden sich alle Greuel des Atreus, aller erstickte Zorn
des Achill, Agamenmons ganzes Haus und der Stamm des Orestes; da
sah man Dianen mit ihren seit zwei Jahrtausenden der Jagd entwöhnten
Windhunden, Cupido mit den seit zwei tausend Jahren rastenden Pfeilen,
Dido mit frisch in Thränen gebadeten Augen, und Venus mit neuem
Noth auf den Wangen. Die ganze Mythologie, so reizend, so anmu¬
thig, so lieblich für die Jahre der Jugend und der Schularbeit, zeigte
sich in Flittergold gekleidet und geschminkt wie eine verblühte Bühnen¬
heldin. Jene ganze Geschichte, so großartig, so poetisch, stand dort auf
xine fabelhaft lächerliche Weise, travestirt. Bildsäulen waren es, ohne
Leben und Gliederung, mit einem Stück Leinewand von Jouy und einem
Sammetlappen ans Utrecht behängen; Griechen und Römer, mit Cuirassier-
helmen und pappenen, mit Silberpapier überzogenen Panzern. Und all dies
Geflimmer von Stoffen und Vergoldung, diese lahmen und verrenkten
Gestalten, diese Rüstungen, die dem leisesten Stoße von Don Quirote'ö
Degen nicht widerstanden hatten, gaben einen um so schneidender» und
schreienderen Glanz, da sie wie von bengalischen Feuer beschienen wurden

Hie und da erblickte man sogar einige sogenannte religiöse Bilder,
ans denen die Personen aus der heiligen Geschichte nicht minder gemi߬
handelt waren, als die aus der Mythologie und aus dem griechischen
zend indischen Alterthum.

Mitten unter diesem bizarren und unbegreiflichen Kram hing ein
Bild, welches allem so viel werth war als die ganze übrige Sammlung.
Die Menge der Besuchenden freute sich Tag für Tag an dieser Leine-
wand, und ward nicht müde, sie zu betrachten. In der Ti)ut man fühlte
es sofort, -und wie aus Jnstinct, daß dieser Nahmen etwas Großes
einschließe. Der Künstler hatte einen Moment der niederländischen Ge¬
schichte dargestellt; eine Scene aus der Belagerung von Leyden durch die
Spanier im Jahr 1574. — In der Mitte eines öffentlichen Platzes
sah man die Bürger dieser heroischen von Hunger heimgesuchten Stadt,
welche mit Heftigkeit Brot oder die Uebergabe der Stadt forderten. Der
Bürgermeister Van der Werff hielt der Menge den bloßen Degen hin
und schien, mit stoischer Fassung, die Worte zu sagen: "Brot habe
ich nicht, wenn aber mein Tod euch zufriedenstellen kann, se theilt mei¬
nen Leib unter euch; ich werde gern den Tod erleiden." —- Die An¬
ordnung dieser Scene war so einfach und zugleich so 'großartig; in dem
Ausdrucke der Gesichter lag ein so tiefes Gefühl und eine so poetische
Wahrheit, die Zeichnung war so richtig und die Bewegung so natürlich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/38>, abgerufen am 04.07.2024.