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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Venedigs Hren Weg genommen, und anklagende Todtengebeine werden
aus dem Boden hervorfteigen und ^werden den kommenden Geschlechtern
kund thun, warum die göttliche Nache einen so berühmten und so ehr¬
würdigen Staat Plötzlich in den Staub niedergeworfen. Obgleich seit
fast einem halben Jahrhundert die Seufzerbrücke, diese unersättliche Kehle
des Staatsgefängnisses, ihre Beute nicht mehr verschlingt, ,so hat das
Volk doch das, Andenken an die dunkeln Dramen bewahrt, deren theil¬
nahmloser Schauplatz diese Mauern waren. -Es spricht immer noch nur
mit geheimem Schauder davon, als wäre es seines Rechts, davon zu
sprechen, noch nicht ganz sicher. Es mißt seinen alten Herrn eine ab¬
gefeimte Grausamkeit bei, welche sie sich gewiß nie einfallen ließen;, es
glaubt, daß die Säulen selbst hohl sind, diese, - Säulen, um die herum
es jetzt tanzt, und daß sie zu Abgründen führen, in denen man schreck¬
liche Geheimnisse finden würde. Das Volk ist nun einmal, so: der raf-
finirteste Henker ist immer minder reich an Grausamkeit, als-Man ihm
beimißt. , , - - - /

Ein wenn auch schwacher Trost für die Menschheit ist es, daß ge¬
rade diese Stadt, in welcher die Größe des Staats, mit der fortwähren¬
den Ausübung der Tyrannei so eng verknüpft war, die Wiegender
Presse war. Unsre Leser wissen vermuthlich alle, oder erfahren es doch
hiemit, daß die erste Zeitung im töten Jahrhundert in Venedig er?
schien. Was Teufel konnte si?,nur sagen, diese arme Zeitung>, äderen
Censurbehörde der Nath der Zehn "war?, Sie, hat sich wahrscheinlich
gleich dem M oni leur ein den Tagen, wo es keine Negierung oder viel¬
mehr ihrer zwei gab/ , eine davongehende und eine .ankommende,/ " ,mit
Entdeckungen von überaus ergreifenden Interesse über die "Literatur der
Samojeden beschäftigte , '

, ,Das Merkwürdigste, was man in dem prachtvollen Saale des
Großen Rathes sehen kann, ist die Reihefolge der Portraits der Dogen,
seit Einsetzung, dieser Würde bis zum Ende, der Republik. - Es ist un¬
nöthig zu sagen/ daß der berühmte schwarze Schleier, der das Gemälde
des um seiner Vergehen willen enthaupteten Marino Micro ersetzt, zu¬
erst unsre Aufmerksamkeit- auf sich zog. Ich habe eine Bemerkung ge¬
macht, der man vielleicht kein, Vertrauen schenken wird,; in der That ist
auch Nichts leichter, als sich Illusionen zu schmieden,, wenn man sich
durch die Lesung der Geschichte darauf vorbereitet hat. - Es hat mir ge¬
schienen/ daß bis zur Mitte des 17ten, Jahrhunderts, so lange die Dogen
ihren im Dienste des Vaterlands weiß gewordenen, Bart beibehalten,


Venedigs Hren Weg genommen, und anklagende Todtengebeine werden
aus dem Boden hervorfteigen und ^werden den kommenden Geschlechtern
kund thun, warum die göttliche Nache einen so berühmten und so ehr¬
würdigen Staat Plötzlich in den Staub niedergeworfen. Obgleich seit
fast einem halben Jahrhundert die Seufzerbrücke, diese unersättliche Kehle
des Staatsgefängnisses, ihre Beute nicht mehr verschlingt, ,so hat das
Volk doch das, Andenken an die dunkeln Dramen bewahrt, deren theil¬
nahmloser Schauplatz diese Mauern waren. -Es spricht immer noch nur
mit geheimem Schauder davon, als wäre es seines Rechts, davon zu
sprechen, noch nicht ganz sicher. Es mißt seinen alten Herrn eine ab¬
gefeimte Grausamkeit bei, welche sie sich gewiß nie einfallen ließen;, es
glaubt, daß die Säulen selbst hohl sind, diese, - Säulen, um die herum
es jetzt tanzt, und daß sie zu Abgründen führen, in denen man schreck¬
liche Geheimnisse finden würde. Das Volk ist nun einmal, so: der raf-
finirteste Henker ist immer minder reich an Grausamkeit, als-Man ihm
beimißt. , , - - - /

Ein wenn auch schwacher Trost für die Menschheit ist es, daß ge¬
rade diese Stadt, in welcher die Größe des Staats, mit der fortwähren¬
den Ausübung der Tyrannei so eng verknüpft war, die Wiegender
Presse war. Unsre Leser wissen vermuthlich alle, oder erfahren es doch
hiemit, daß die erste Zeitung im töten Jahrhundert in Venedig er?
schien. Was Teufel konnte si?,nur sagen, diese arme Zeitung>, äderen
Censurbehörde der Nath der Zehn „war?, Sie, hat sich wahrscheinlich
gleich dem M oni leur ein den Tagen, wo es keine Negierung oder viel¬
mehr ihrer zwei gab/ , eine davongehende und eine .ankommende,/ „ ,mit
Entdeckungen von überaus ergreifenden Interesse über die „Literatur der
Samojeden beschäftigte , '

, ,Das Merkwürdigste, was man in dem prachtvollen Saale des
Großen Rathes sehen kann, ist die Reihefolge der Portraits der Dogen,
seit Einsetzung, dieser Würde bis zum Ende, der Republik. - Es ist un¬
nöthig zu sagen/ daß der berühmte schwarze Schleier, der das Gemälde
des um seiner Vergehen willen enthaupteten Marino Micro ersetzt, zu¬
erst unsre Aufmerksamkeit- auf sich zog. Ich habe eine Bemerkung ge¬
macht, der man vielleicht kein, Vertrauen schenken wird,; in der That ist
auch Nichts leichter, als sich Illusionen zu schmieden,, wenn man sich
durch die Lesung der Geschichte darauf vorbereitet hat. - Es hat mir ge¬
schienen/ daß bis zur Mitte des 17ten, Jahrhunderts, so lange die Dogen
ihren im Dienste des Vaterlands weiß gewordenen, Bart beibehalten,


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[0375] Venedigs Hren Weg genommen, und anklagende Todtengebeine werden aus dem Boden hervorfteigen und ^werden den kommenden Geschlechtern kund thun, warum die göttliche Nache einen so berühmten und so ehr¬ würdigen Staat Plötzlich in den Staub niedergeworfen. Obgleich seit fast einem halben Jahrhundert die Seufzerbrücke, diese unersättliche Kehle des Staatsgefängnisses, ihre Beute nicht mehr verschlingt, ,so hat das Volk doch das, Andenken an die dunkeln Dramen bewahrt, deren theil¬ nahmloser Schauplatz diese Mauern waren. -Es spricht immer noch nur mit geheimem Schauder davon, als wäre es seines Rechts, davon zu sprechen, noch nicht ganz sicher. Es mißt seinen alten Herrn eine ab¬ gefeimte Grausamkeit bei, welche sie sich gewiß nie einfallen ließen;, es glaubt, daß die Säulen selbst hohl sind, diese, - Säulen, um die herum es jetzt tanzt, und daß sie zu Abgründen führen, in denen man schreck¬ liche Geheimnisse finden würde. Das Volk ist nun einmal, so: der raf- finirteste Henker ist immer minder reich an Grausamkeit, als-Man ihm beimißt. , , - - - / Ein wenn auch schwacher Trost für die Menschheit ist es, daß ge¬ rade diese Stadt, in welcher die Größe des Staats, mit der fortwähren¬ den Ausübung der Tyrannei so eng verknüpft war, die Wiegender Presse war. Unsre Leser wissen vermuthlich alle, oder erfahren es doch hiemit, daß die erste Zeitung im töten Jahrhundert in Venedig er? schien. Was Teufel konnte si?,nur sagen, diese arme Zeitung>, äderen Censurbehörde der Nath der Zehn „war?, Sie, hat sich wahrscheinlich gleich dem M oni leur ein den Tagen, wo es keine Negierung oder viel¬ mehr ihrer zwei gab/ , eine davongehende und eine .ankommende,/ „ ,mit Entdeckungen von überaus ergreifenden Interesse über die „Literatur der Samojeden beschäftigte , ' , ,Das Merkwürdigste, was man in dem prachtvollen Saale des Großen Rathes sehen kann, ist die Reihefolge der Portraits der Dogen, seit Einsetzung, dieser Würde bis zum Ende, der Republik. - Es ist un¬ nöthig zu sagen/ daß der berühmte schwarze Schleier, der das Gemälde des um seiner Vergehen willen enthaupteten Marino Micro ersetzt, zu¬ erst unsre Aufmerksamkeit- auf sich zog. Ich habe eine Bemerkung ge¬ macht, der man vielleicht kein, Vertrauen schenken wird,; in der That ist auch Nichts leichter, als sich Illusionen zu schmieden,, wenn man sich durch die Lesung der Geschichte darauf vorbereitet hat. - Es hat mir ge¬ schienen/ daß bis zur Mitte des 17ten, Jahrhunderts, so lange die Dogen ihren im Dienste des Vaterlands weiß gewordenen, Bart beibehalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/375>, abgerufen am 23.07.2024.