Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Hofleben auf eine geistreiche Art motiviren. Das zeigte gleich die erste
Scene, wo Brifsac, nach durchspielter Nacht/ noch am späten Morgen
im Bett liegt, dann aber, wie aufgeschnellt, in den Mittelpunkt der In¬
trigue eilt, um sich der Fäden zu bemustern: bequem und energisch, Ge¬
nuß und That, Alles zu seiner Zeit. Möglich, daß dies die wahre Le¬
bensweisheit ist. Stand doch der tapfere Vendome, Enkel Heinrichs IV.,
ein Mann an Kopf und Herz gleich ausgezeichnet, in der Regel erst
Abends 4 Uhr auf und machte seine Schlachtplane im Bett, um in den
Paar Abendstunden den Feind zu schlagen.--Abbe vo): der Sauce,
Herr Döring. Dörings Talent als Intrigant ist eminent. -- Pom-
padour -- Madame Lange. Diese Rolle ist vom Dichter nicht mit
besonderer Vorliebe behandelt. So kam es, daß das Auftreten der Fa¬
voritin, deren ganze Liebenswürdigkeit in Flattern bestand, die aber hier
im Stück sich auf die Mithülfe an der Intrigue zu beschränken hat, sich
zu gesetzt ausnahm, zu viel Schleppe, zu wenig Reifrock hatte. Die
Pompadour ist eine lustige Creatur, Erfinderin von Rokoko und Peta-
lair; darum konnte sie einen Louis XV. anziehen. -- Baron Gerard
ward von Maurer mit Glück gegeben. -- Herr Löwe -- Chevalier.
-- Melauie von Gerard fand in Madame Wittmann eine gute
Darstellerin: heiter, unachtsam, plötzlich verschüchtert und dann verliebt.
-- Das Ensemble war gut; Scenerie und Meublirung treu und ge¬
schmackvoll.

Und- wie gefiel das Stück? Nun, Sie kennen das Stuttgarter
Publikum: richtigen aber langsamen Verstandes. Was ihm nicht mit
gehöriger Exposition und Motivirung, sondern nur als Pointe, als geist¬
reicher, rasch sich verhandelnder Dialog vorgeführt wird, das kommt dem
Stuttgarter Publikum selten sogleich zum Verständniß, bedarf vielmehr
der Wiederholung. Daher wurde Rokoko das zweite Mal mit weit
mehr lauten: Beifall, als das erste Mal aufgenommen; das Publikum
hatte sich inzwischen orientirt. Auch siel die erste Darstellung auf einen
Sonntag, ein Tag, der in der Regel ein größeres, aber auch ein nach
gröberem Sümengenuß, nach Possen, Ballet und Schlachten verlangendes
Publikum in das Theater führt. Das zweite Mal hat das Stück sehr
gefallen, und wurde häufig applaudirt, was bei der hier im Allgemeinen
herrschenden Kargheit in dieser Spende viel sagen will.




Hofleben auf eine geistreiche Art motiviren. Das zeigte gleich die erste
Scene, wo Brifsac, nach durchspielter Nacht/ noch am späten Morgen
im Bett liegt, dann aber, wie aufgeschnellt, in den Mittelpunkt der In¬
trigue eilt, um sich der Fäden zu bemustern: bequem und energisch, Ge¬
nuß und That, Alles zu seiner Zeit. Möglich, daß dies die wahre Le¬
bensweisheit ist. Stand doch der tapfere Vendome, Enkel Heinrichs IV.,
ein Mann an Kopf und Herz gleich ausgezeichnet, in der Regel erst
Abends 4 Uhr auf und machte seine Schlachtplane im Bett, um in den
Paar Abendstunden den Feind zu schlagen.—Abbe vo): der Sauce,
Herr Döring. Dörings Talent als Intrigant ist eminent. — Pom-
padour — Madame Lange. Diese Rolle ist vom Dichter nicht mit
besonderer Vorliebe behandelt. So kam es, daß das Auftreten der Fa¬
voritin, deren ganze Liebenswürdigkeit in Flattern bestand, die aber hier
im Stück sich auf die Mithülfe an der Intrigue zu beschränken hat, sich
zu gesetzt ausnahm, zu viel Schleppe, zu wenig Reifrock hatte. Die
Pompadour ist eine lustige Creatur, Erfinderin von Rokoko und Peta-
lair; darum konnte sie einen Louis XV. anziehen. — Baron Gerard
ward von Maurer mit Glück gegeben. — Herr Löwe — Chevalier.
— Melauie von Gerard fand in Madame Wittmann eine gute
Darstellerin: heiter, unachtsam, plötzlich verschüchtert und dann verliebt.
— Das Ensemble war gut; Scenerie und Meublirung treu und ge¬
schmackvoll.

Und- wie gefiel das Stück? Nun, Sie kennen das Stuttgarter
Publikum: richtigen aber langsamen Verstandes. Was ihm nicht mit
gehöriger Exposition und Motivirung, sondern nur als Pointe, als geist¬
reicher, rasch sich verhandelnder Dialog vorgeführt wird, das kommt dem
Stuttgarter Publikum selten sogleich zum Verständniß, bedarf vielmehr
der Wiederholung. Daher wurde Rokoko das zweite Mal mit weit
mehr lauten: Beifall, als das erste Mal aufgenommen; das Publikum
hatte sich inzwischen orientirt. Auch siel die erste Darstellung auf einen
Sonntag, ein Tag, der in der Regel ein größeres, aber auch ein nach
gröberem Sümengenuß, nach Possen, Ballet und Schlachten verlangendes
Publikum in das Theater führt. Das zweite Mal hat das Stück sehr
gefallen, und wurde häufig applaudirt, was bei der hier im Allgemeinen
herrschenden Kargheit in dieser Spende viel sagen will.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267564"/>
            <p xml:id="ID_1330" prev="#ID_1329"> Hofleben auf eine geistreiche Art motiviren. Das zeigte gleich die erste<lb/>
Scene, wo Brifsac, nach durchspielter Nacht/ noch am späten Morgen<lb/>
im Bett liegt, dann aber, wie aufgeschnellt, in den Mittelpunkt der In¬<lb/>
trigue eilt, um sich der Fäden zu bemustern: bequem und energisch, Ge¬<lb/>
nuß und That, Alles zu seiner Zeit. Möglich, daß dies die wahre Le¬<lb/>
bensweisheit ist. Stand doch der tapfere Vendome, Enkel Heinrichs IV.,<lb/>
ein Mann an Kopf und Herz gleich ausgezeichnet, in der Regel erst<lb/>
Abends 4 Uhr auf und machte seine Schlachtplane im Bett, um in den<lb/>
Paar Abendstunden den Feind zu schlagen.&#x2014;Abbe vo): der Sauce,<lb/>
Herr Döring. Dörings Talent als Intrigant ist eminent. &#x2014; Pom-<lb/>
padour &#x2014; Madame Lange. Diese Rolle ist vom Dichter nicht mit<lb/>
besonderer Vorliebe behandelt. So kam es, daß das Auftreten der Fa¬<lb/>
voritin, deren ganze Liebenswürdigkeit in Flattern bestand, die aber hier<lb/>
im Stück sich auf die Mithülfe an der Intrigue zu beschränken hat, sich<lb/>
zu gesetzt ausnahm, zu viel Schleppe, zu wenig Reifrock hatte. Die<lb/>
Pompadour ist eine lustige Creatur, Erfinderin von Rokoko und Peta-<lb/>
lair; darum konnte sie einen Louis XV. anziehen. &#x2014; Baron Gerard<lb/>
ward von Maurer mit Glück gegeben. &#x2014; Herr Löwe &#x2014; Chevalier.<lb/>
&#x2014; Melauie von Gerard fand in Madame Wittmann eine gute<lb/>
Darstellerin: heiter, unachtsam, plötzlich verschüchtert und dann verliebt.<lb/>
&#x2014; Das Ensemble war gut; Scenerie und Meublirung treu und ge¬<lb/>
schmackvoll.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1331"> Und- wie gefiel das Stück? Nun, Sie kennen das Stuttgarter<lb/>
Publikum: richtigen aber langsamen Verstandes. Was ihm nicht mit<lb/>
gehöriger Exposition und Motivirung, sondern nur als Pointe, als geist¬<lb/>
reicher, rasch sich verhandelnder Dialog vorgeführt wird, das kommt dem<lb/>
Stuttgarter Publikum selten sogleich zum Verständniß, bedarf vielmehr<lb/>
der Wiederholung. Daher wurde Rokoko das zweite Mal mit weit<lb/>
mehr lauten: Beifall, als das erste Mal aufgenommen; das Publikum<lb/>
hatte sich inzwischen orientirt. Auch siel die erste Darstellung auf einen<lb/>
Sonntag, ein Tag, der in der Regel ein größeres, aber auch ein nach<lb/>
gröberem Sümengenuß, nach Possen, Ballet und Schlachten verlangendes<lb/>
Publikum in das Theater führt. Das zweite Mal hat das Stück sehr<lb/>
gefallen, und wurde häufig applaudirt, was bei der hier im Allgemeinen<lb/>
herrschenden Kargheit in dieser Spende viel sagen will.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] Hofleben auf eine geistreiche Art motiviren. Das zeigte gleich die erste Scene, wo Brifsac, nach durchspielter Nacht/ noch am späten Morgen im Bett liegt, dann aber, wie aufgeschnellt, in den Mittelpunkt der In¬ trigue eilt, um sich der Fäden zu bemustern: bequem und energisch, Ge¬ nuß und That, Alles zu seiner Zeit. Möglich, daß dies die wahre Le¬ bensweisheit ist. Stand doch der tapfere Vendome, Enkel Heinrichs IV., ein Mann an Kopf und Herz gleich ausgezeichnet, in der Regel erst Abends 4 Uhr auf und machte seine Schlachtplane im Bett, um in den Paar Abendstunden den Feind zu schlagen.—Abbe vo): der Sauce, Herr Döring. Dörings Talent als Intrigant ist eminent. — Pom- padour — Madame Lange. Diese Rolle ist vom Dichter nicht mit besonderer Vorliebe behandelt. So kam es, daß das Auftreten der Fa¬ voritin, deren ganze Liebenswürdigkeit in Flattern bestand, die aber hier im Stück sich auf die Mithülfe an der Intrigue zu beschränken hat, sich zu gesetzt ausnahm, zu viel Schleppe, zu wenig Reifrock hatte. Die Pompadour ist eine lustige Creatur, Erfinderin von Rokoko und Peta- lair; darum konnte sie einen Louis XV. anziehen. — Baron Gerard ward von Maurer mit Glück gegeben. — Herr Löwe — Chevalier. — Melauie von Gerard fand in Madame Wittmann eine gute Darstellerin: heiter, unachtsam, plötzlich verschüchtert und dann verliebt. — Das Ensemble war gut; Scenerie und Meublirung treu und ge¬ schmackvoll. Und- wie gefiel das Stück? Nun, Sie kennen das Stuttgarter Publikum: richtigen aber langsamen Verstandes. Was ihm nicht mit gehöriger Exposition und Motivirung, sondern nur als Pointe, als geist¬ reicher, rasch sich verhandelnder Dialog vorgeführt wird, das kommt dem Stuttgarter Publikum selten sogleich zum Verständniß, bedarf vielmehr der Wiederholung. Daher wurde Rokoko das zweite Mal mit weit mehr lauten: Beifall, als das erste Mal aufgenommen; das Publikum hatte sich inzwischen orientirt. Auch siel die erste Darstellung auf einen Sonntag, ein Tag, der in der Regel ein größeres, aber auch ein nach gröberem Sümengenuß, nach Possen, Ballet und Schlachten verlangendes Publikum in das Theater führt. Das zweite Mal hat das Stück sehr gefallen, und wurde häufig applaudirt, was bei der hier im Allgemeinen herrschenden Kargheit in dieser Spende viel sagen will.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/351>, abgerufen am 22.12.2024.