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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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in diesen drei letztgenannten Figuren erscheinend, so knapp abzufertigen.
Sie zeigen sich blos, um das Motiv der Handlung zu begründen, und
sind eigentlich die Stricknadeln, womit das Netz der Intrigue gefertigt
wird, um den Abbe zu fangen, und das Lustspiel auszuführen. Zwar
hat das Stück auch den Namen: die alten Herren; aber das rechtfertigt
noch nicht. Der Titel nach dem Stück, nicht umgekehrt, wenigstens nach
konstitutionellem Staatsrecht. Hätte Laube die jungen Leute ganz weg¬
gelassen, dann mochte er den Alten allein das Feld lassen; allein bringt
er einmal diese junge Generation, so muß e/ihnen eben so viel Recht
lassen, als der alten. Hat der Dichter auf dieser Seite, wie mir scheint,
eine Parthie vernachläßigt, so hat er auf der anderen zu viel daran ge¬
geben, nämlich dem Abbe. Ist es möglich, daß dieser elende Bursche in
dem Augenblick, da er an: hellen Mittag Melanie sür sich entführen will,
eine lange Standrede hält über die Gebrechen des heutigen Frankreichs,
über die kommende Revolution? Ueberhaupt ist dieser Charakter etwas
nackter, der Umriß unstät, wie in zitterndem Wasser; wer, aber so fest
seine Zwecke verfolgt, darf sich schwerlich so gehen lassen. --Tulpe, der
Bediente endlich, ist die nothwendige Consequenz der Herrschaft: bei die¬
ser führte die Jmmoralität zum Leichtsinn, bei der Dienerschaft zur Schlech¬
tigkeit. Jeder nach seiner Natur. Uebrigens hätte ich auch an Tulpe
Einiges zu tadeln, allein ich habe vielleicht Unrecht, habe vielleicht schon
im Bisherigen dein Vergnügen, Ausstellungen zu machen, zu viel nach¬
gegeben, während doch das Stück wirklich alle die Aufmerksamkeit und
Anerkennung verdient, welche ihm in Deutschland zu Theil geworden ist.
Denn es ist ein höchst gelungenes Genrebild, eine Darstellung des vo¬
rigen Jahrhunderts im verjüngten Maßstabe, mit einer Zierlichkeit aus¬
geführt, mit Pointen und Wechseln versehen, die lebhast an die Vor¬
trefflich vom "Glas Wasser" erinnern. Ja, Deutschland hat eine schöne
Zukunft, Zeichen und Wunder geschehen. Wir lernen die längst verges¬
senen Anfangsgründe des Welthandels, wir treten über die gefallenen
Schlagbäume zu einander, machen Opposition gegen das Ausland, und
dieselbe Gewandtheit, dieselbe Verkehrfähigkeit repräsentirt sich in unsren
neuesten Dramen, nachdem (ich rede nicht von den keiner Zeit ausschlie߬
lich angehörigen Stücken unsrer Dichtcrhcroen) die Bretter so lange der
Tummelplatz galvanifirter Figuren gewesen sind. Wahrheit, Realität,
Handlung thut uns Noth, in: Leben und aus der Bühne.

Nun zur Aufführung. Brissac, unverkennbar die Hauptfigur,
wurde von Herrn Moritz gegeben. So läßt sich derMüssiggang, das


in diesen drei letztgenannten Figuren erscheinend, so knapp abzufertigen.
Sie zeigen sich blos, um das Motiv der Handlung zu begründen, und
sind eigentlich die Stricknadeln, womit das Netz der Intrigue gefertigt
wird, um den Abbe zu fangen, und das Lustspiel auszuführen. Zwar
hat das Stück auch den Namen: die alten Herren; aber das rechtfertigt
noch nicht. Der Titel nach dem Stück, nicht umgekehrt, wenigstens nach
konstitutionellem Staatsrecht. Hätte Laube die jungen Leute ganz weg¬
gelassen, dann mochte er den Alten allein das Feld lassen; allein bringt
er einmal diese junge Generation, so muß e/ihnen eben so viel Recht
lassen, als der alten. Hat der Dichter auf dieser Seite, wie mir scheint,
eine Parthie vernachläßigt, so hat er auf der anderen zu viel daran ge¬
geben, nämlich dem Abbe. Ist es möglich, daß dieser elende Bursche in
dem Augenblick, da er an: hellen Mittag Melanie sür sich entführen will,
eine lange Standrede hält über die Gebrechen des heutigen Frankreichs,
über die kommende Revolution? Ueberhaupt ist dieser Charakter etwas
nackter, der Umriß unstät, wie in zitterndem Wasser; wer, aber so fest
seine Zwecke verfolgt, darf sich schwerlich so gehen lassen. —Tulpe, der
Bediente endlich, ist die nothwendige Consequenz der Herrschaft: bei die¬
ser führte die Jmmoralität zum Leichtsinn, bei der Dienerschaft zur Schlech¬
tigkeit. Jeder nach seiner Natur. Uebrigens hätte ich auch an Tulpe
Einiges zu tadeln, allein ich habe vielleicht Unrecht, habe vielleicht schon
im Bisherigen dein Vergnügen, Ausstellungen zu machen, zu viel nach¬
gegeben, während doch das Stück wirklich alle die Aufmerksamkeit und
Anerkennung verdient, welche ihm in Deutschland zu Theil geworden ist.
Denn es ist ein höchst gelungenes Genrebild, eine Darstellung des vo¬
rigen Jahrhunderts im verjüngten Maßstabe, mit einer Zierlichkeit aus¬
geführt, mit Pointen und Wechseln versehen, die lebhast an die Vor¬
trefflich vom „Glas Wasser" erinnern. Ja, Deutschland hat eine schöne
Zukunft, Zeichen und Wunder geschehen. Wir lernen die längst verges¬
senen Anfangsgründe des Welthandels, wir treten über die gefallenen
Schlagbäume zu einander, machen Opposition gegen das Ausland, und
dieselbe Gewandtheit, dieselbe Verkehrfähigkeit repräsentirt sich in unsren
neuesten Dramen, nachdem (ich rede nicht von den keiner Zeit ausschlie߬
lich angehörigen Stücken unsrer Dichtcrhcroen) die Bretter so lange der
Tummelplatz galvanifirter Figuren gewesen sind. Wahrheit, Realität,
Handlung thut uns Noth, in: Leben und aus der Bühne.

Nun zur Aufführung. Brissac, unverkennbar die Hauptfigur,
wurde von Herrn Moritz gegeben. So läßt sich derMüssiggang, das


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[0350] in diesen drei letztgenannten Figuren erscheinend, so knapp abzufertigen. Sie zeigen sich blos, um das Motiv der Handlung zu begründen, und sind eigentlich die Stricknadeln, womit das Netz der Intrigue gefertigt wird, um den Abbe zu fangen, und das Lustspiel auszuführen. Zwar hat das Stück auch den Namen: die alten Herren; aber das rechtfertigt noch nicht. Der Titel nach dem Stück, nicht umgekehrt, wenigstens nach konstitutionellem Staatsrecht. Hätte Laube die jungen Leute ganz weg¬ gelassen, dann mochte er den Alten allein das Feld lassen; allein bringt er einmal diese junge Generation, so muß e/ihnen eben so viel Recht lassen, als der alten. Hat der Dichter auf dieser Seite, wie mir scheint, eine Parthie vernachläßigt, so hat er auf der anderen zu viel daran ge¬ geben, nämlich dem Abbe. Ist es möglich, daß dieser elende Bursche in dem Augenblick, da er an: hellen Mittag Melanie sür sich entführen will, eine lange Standrede hält über die Gebrechen des heutigen Frankreichs, über die kommende Revolution? Ueberhaupt ist dieser Charakter etwas nackter, der Umriß unstät, wie in zitterndem Wasser; wer, aber so fest seine Zwecke verfolgt, darf sich schwerlich so gehen lassen. —Tulpe, der Bediente endlich, ist die nothwendige Consequenz der Herrschaft: bei die¬ ser führte die Jmmoralität zum Leichtsinn, bei der Dienerschaft zur Schlech¬ tigkeit. Jeder nach seiner Natur. Uebrigens hätte ich auch an Tulpe Einiges zu tadeln, allein ich habe vielleicht Unrecht, habe vielleicht schon im Bisherigen dein Vergnügen, Ausstellungen zu machen, zu viel nach¬ gegeben, während doch das Stück wirklich alle die Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient, welche ihm in Deutschland zu Theil geworden ist. Denn es ist ein höchst gelungenes Genrebild, eine Darstellung des vo¬ rigen Jahrhunderts im verjüngten Maßstabe, mit einer Zierlichkeit aus¬ geführt, mit Pointen und Wechseln versehen, die lebhast an die Vor¬ trefflich vom „Glas Wasser" erinnern. Ja, Deutschland hat eine schöne Zukunft, Zeichen und Wunder geschehen. Wir lernen die längst verges¬ senen Anfangsgründe des Welthandels, wir treten über die gefallenen Schlagbäume zu einander, machen Opposition gegen das Ausland, und dieselbe Gewandtheit, dieselbe Verkehrfähigkeit repräsentirt sich in unsren neuesten Dramen, nachdem (ich rede nicht von den keiner Zeit ausschlie߬ lich angehörigen Stücken unsrer Dichtcrhcroen) die Bretter so lange der Tummelplatz galvanifirter Figuren gewesen sind. Wahrheit, Realität, Handlung thut uns Noth, in: Leben und aus der Bühne. Nun zur Aufführung. Brissac, unverkennbar die Hauptfigur, wurde von Herrn Moritz gegeben. So läßt sich derMüssiggang, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/350>, abgerufen am 02.07.2024.