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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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siebenzig Jahre mit welterschütternden Ereignissen zwischendurch fluchetcn.
Darum ist Laube's Stück so interessant: es zeigt uns ein bekanntes Ge¬
sicht, nur daß das Haar gepudert, der Ton feiner, weil exklusiver, ist.

Gehen wir über zu den einzelnen Personen des Stücks. Die Haupt¬
potenzen, welche das damalige Hofleben zu Versailles bewegten, sind
vertreten: Maitressen , Ccwaliere, Geld und Zufall. Die Zeit Ludwig
des Vierzehnten, wo neben dem Nepotismus seiner Mamtenon doch auch
noch der Manneswerth sich geltend machte, wo neben Boudoir-Mar-
schällen wie Villeroi doch auch noch ein Catinat, ein Vendome die Fran¬
zosen gegen den Feind führten, kurzum wo die Welt noch schwankte zwi¬
schen der Möglichkeit einer Reform und der Nothwendigkeit der Revolu¬
tion-- diese Zeit stellt in unserm Lustspiele noch einen Repräsentanten
in dem Marquis von Brissae. Fataler schon sind die Zeichen der Zeit
in dem Baron G"-rard, welcher die Geldaristokratie vertritt, die Macht,
die aufleimend in den Generalpächtern Ludwig des Vierzehnten., unter
der Regentjchaft sich vollends breit setzte, mit Law spekulirte-, und den
Zutritt in die Säle des verarmten Adels sich erzwang, bis sie dieselben
an Macht überflügelte, wie heutzutage die Chaussee d'Artim den Fau-
bourg-Se.-Germain, dann die Pompadour selbst die menschgewordene
Mode, ungläubig, unwissend, willenlos, aber leicht tändelnd, verführe¬
risch, wie eine Nire. Endlich der Abb-- doch wen der repräfeiitich
weiß Jeder; aber es ist gegenwärtig eine trübe, Stillschweigen fordernde
Zeit, wo man sich, wie schon Voltaire von seinem Zeitalter klagte, zwar
über den lieben Gott, aber nicht über den Clerus moquiren darf. Ge¬
nug, daß das Christenthum damals aus der Mode gekommen war, daß
aber Laube's Abbe selbst hier, in dem protestantischen Würtemberg, nicht
als geistlicher Schuft, sondern als ein Betrüger auftreten mußte,
der sich nur der Maske des Geistlichen bedient. -- Der Parlammtsrath
Didier vertritt jene Kaste, die, ursprünglich zur Wehrung der Volks¬
rechte berufen, mehr und mehr in sich selbst zusammenwuchs, um endlich
neuen mächtigeren Instituten zu weichen.--Prosper von Didier, sein
Sohn, ist ein schönes Vorbild für alle Faule, die eine hübsche Larve,
weiße Handschche, volle Börse und leeres Herz, haben. -- Der Cheva¬
lier Viktor ist ein junger Mann von etwas deutschem Anstrich: ver¬
liebt, ehrlich, unbeholfen und verzagt. -- Melanie, Gerard's Tochter,
ein harmloses Kind und -- hier sei dieser Ausdruck als gewiß passend
erlaubt -- Viktor's Schatz, die er umträumt.

Ich weiß .nicht, ob Laube recht, gethan hat, das junge Frankreich,


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siebenzig Jahre mit welterschütternden Ereignissen zwischendurch fluchetcn.
Darum ist Laube's Stück so interessant: es zeigt uns ein bekanntes Ge¬
sicht, nur daß das Haar gepudert, der Ton feiner, weil exklusiver, ist.

Gehen wir über zu den einzelnen Personen des Stücks. Die Haupt¬
potenzen, welche das damalige Hofleben zu Versailles bewegten, sind
vertreten: Maitressen , Ccwaliere, Geld und Zufall. Die Zeit Ludwig
des Vierzehnten, wo neben dem Nepotismus seiner Mamtenon doch auch
noch der Manneswerth sich geltend machte, wo neben Boudoir-Mar-
schällen wie Villeroi doch auch noch ein Catinat, ein Vendome die Fran¬
zosen gegen den Feind führten, kurzum wo die Welt noch schwankte zwi¬
schen der Möglichkeit einer Reform und der Nothwendigkeit der Revolu¬
tion— diese Zeit stellt in unserm Lustspiele noch einen Repräsentanten
in dem Marquis von Brissae. Fataler schon sind die Zeichen der Zeit
in dem Baron G«-rard, welcher die Geldaristokratie vertritt, die Macht,
die aufleimend in den Generalpächtern Ludwig des Vierzehnten., unter
der Regentjchaft sich vollends breit setzte, mit Law spekulirte-, und den
Zutritt in die Säle des verarmten Adels sich erzwang, bis sie dieselben
an Macht überflügelte, wie heutzutage die Chaussee d'Artim den Fau-
bourg-Se.-Germain, dann die Pompadour selbst die menschgewordene
Mode, ungläubig, unwissend, willenlos, aber leicht tändelnd, verführe¬
risch, wie eine Nire. Endlich der Abb-- doch wen der repräfeiitich
weiß Jeder; aber es ist gegenwärtig eine trübe, Stillschweigen fordernde
Zeit, wo man sich, wie schon Voltaire von seinem Zeitalter klagte, zwar
über den lieben Gott, aber nicht über den Clerus moquiren darf. Ge¬
nug, daß das Christenthum damals aus der Mode gekommen war, daß
aber Laube's Abbe selbst hier, in dem protestantischen Würtemberg, nicht
als geistlicher Schuft, sondern als ein Betrüger auftreten mußte,
der sich nur der Maske des Geistlichen bedient. — Der Parlammtsrath
Didier vertritt jene Kaste, die, ursprünglich zur Wehrung der Volks¬
rechte berufen, mehr und mehr in sich selbst zusammenwuchs, um endlich
neuen mächtigeren Instituten zu weichen.—Prosper von Didier, sein
Sohn, ist ein schönes Vorbild für alle Faule, die eine hübsche Larve,
weiße Handschche, volle Börse und leeres Herz, haben. — Der Cheva¬
lier Viktor ist ein junger Mann von etwas deutschem Anstrich: ver¬
liebt, ehrlich, unbeholfen und verzagt. — Melanie, Gerard's Tochter,
ein harmloses Kind und — hier sei dieser Ausdruck als gewiß passend
erlaubt — Viktor's Schatz, die er umträumt.

Ich weiß .nicht, ob Laube recht, gethan hat, das junge Frankreich,


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[0349] siebenzig Jahre mit welterschütternden Ereignissen zwischendurch fluchetcn. Darum ist Laube's Stück so interessant: es zeigt uns ein bekanntes Ge¬ sicht, nur daß das Haar gepudert, der Ton feiner, weil exklusiver, ist. Gehen wir über zu den einzelnen Personen des Stücks. Die Haupt¬ potenzen, welche das damalige Hofleben zu Versailles bewegten, sind vertreten: Maitressen , Ccwaliere, Geld und Zufall. Die Zeit Ludwig des Vierzehnten, wo neben dem Nepotismus seiner Mamtenon doch auch noch der Manneswerth sich geltend machte, wo neben Boudoir-Mar- schällen wie Villeroi doch auch noch ein Catinat, ein Vendome die Fran¬ zosen gegen den Feind führten, kurzum wo die Welt noch schwankte zwi¬ schen der Möglichkeit einer Reform und der Nothwendigkeit der Revolu¬ tion— diese Zeit stellt in unserm Lustspiele noch einen Repräsentanten in dem Marquis von Brissae. Fataler schon sind die Zeichen der Zeit in dem Baron G«-rard, welcher die Geldaristokratie vertritt, die Macht, die aufleimend in den Generalpächtern Ludwig des Vierzehnten., unter der Regentjchaft sich vollends breit setzte, mit Law spekulirte-, und den Zutritt in die Säle des verarmten Adels sich erzwang, bis sie dieselben an Macht überflügelte, wie heutzutage die Chaussee d'Artim den Fau- bourg-Se.-Germain, dann die Pompadour selbst die menschgewordene Mode, ungläubig, unwissend, willenlos, aber leicht tändelnd, verführe¬ risch, wie eine Nire. Endlich der Abb-- doch wen der repräfeiitich weiß Jeder; aber es ist gegenwärtig eine trübe, Stillschweigen fordernde Zeit, wo man sich, wie schon Voltaire von seinem Zeitalter klagte, zwar über den lieben Gott, aber nicht über den Clerus moquiren darf. Ge¬ nug, daß das Christenthum damals aus der Mode gekommen war, daß aber Laube's Abbe selbst hier, in dem protestantischen Würtemberg, nicht als geistlicher Schuft, sondern als ein Betrüger auftreten mußte, der sich nur der Maske des Geistlichen bedient. — Der Parlammtsrath Didier vertritt jene Kaste, die, ursprünglich zur Wehrung der Volks¬ rechte berufen, mehr und mehr in sich selbst zusammenwuchs, um endlich neuen mächtigeren Instituten zu weichen.—Prosper von Didier, sein Sohn, ist ein schönes Vorbild für alle Faule, die eine hübsche Larve, weiße Handschche, volle Börse und leeres Herz, haben. — Der Cheva¬ lier Viktor ist ein junger Mann von etwas deutschem Anstrich: ver¬ liebt, ehrlich, unbeholfen und verzagt. — Melanie, Gerard's Tochter, ein harmloses Kind und — hier sei dieser Ausdruck als gewiß passend erlaubt — Viktor's Schatz, die er umträumt. Ich weiß .nicht, ob Laube recht, gethan hat, das junge Frankreich, 47»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/349>, abgerufen am 22.12.2024.