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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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haben; bei Helena und Paris ist er gestorben. Die Frage geht nicht
bloß das Aeußere an; sie ist vielmehr durchaus social und philosophisch.
Die Wirklichkeit des Gedankens, die Seele, der Gehalt allein machen die
Kraft, Lebendigkeit, den Glanz und den Erfolg Davids aus. Michel-Angelo
und alle Meister der Renaissance hatten die Gottheit vermenschlicht; David
vergöttlicht den Menschen, er wählt den Socrares zu seinem Christus;
Brutus, Leonidas, Socrates, dies sind seine Götterj die Freiheit und
das Vaterland sind seine Religion. Europa, zwar gegen Frankreich
verbündet, aber doch von denselben Bedürfnissen, von denselben Wünschen
dumpf bewegt, konnte sich der Ansteckung dieses neuen Kunstgeistes nicht
entziehen. David herrscht überall; Italien, das classische Land der
schönen Zeichnung, ahmte die falschen Formen Davids nach; Flandern/
das Land der schönen Färbung, nahm das Perlgrau des französischen
Meisters an. Ueberall triumphirt der Geist über die FonU, so gewaltig
und schwungvoll war er bei seinem Erwachen. Gewiß verdickt der innere
Werth des französischen Princips Bewunderung; denn titres dieses Princip
wurde lange Zeit der Schwäche des Ausdrucks das Gleichgewicht gelMem

Wir wollen es David Dank wissen, daß er die historische Schule wieder
in ihr Recht eingesetzt hat. Obgleich wir seine Zeichnung, 'Färbung und
Composition verdammen, so wollen wir ihm doch völlige Gerechtigkeit
widerfahren lassen, wegen des Ernstes, wegen des lebendigen der Zeit an-
gehörigen Gedankens, wodurch er die französische Malerei so hoch er¬
hoben hat.

Mer Wer wird es ihm in Belgien verzeihen, daß er die Wiederge¬
burt unserer Schule um dreißig Jahre aufgehalten, daß er uns unter seine
Vormundschaft zwang, als Herrepns den Muth zu fassen schien, unsern
Geschmack aus den fremden Fesseln zu befreien.

Das volle Gewicht dieses Despotismus bedrückte uns seit der Schlacht
bei Fleurus im Jahr 1794, welche der ftanzösischen Republik den Besitz
Belgiens sicherte, bis zum Tode Davids, der zu Brüssel im Jahr 1825
erfolgte. Während dieses ganzen Zeitraums hatte L eus in Mer schwam-
migten und farblosen Manier fortgefahren/ und Herreyns mit seiner
kräftigen, lcbenvolleN/ warmen Färbung. Diesen biedern Männern schloß
sich ein Dritter/ der berühmte Ommeganck an, der die trefflich: Manier
Berghems angenommen hatte und durch seine Werke mehr und mehr sich
die Bewunderung und Achtung der Kenner erwarbt Wigen des Kunst-
zweiges dem er sich widmete, könnte Ommeganck dem Tyrannen keine'n Ab¬
bruch thun, der dieHistorie und Mythologie für sich in Beschlag genommen


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haben; bei Helena und Paris ist er gestorben. Die Frage geht nicht
bloß das Aeußere an; sie ist vielmehr durchaus social und philosophisch.
Die Wirklichkeit des Gedankens, die Seele, der Gehalt allein machen die
Kraft, Lebendigkeit, den Glanz und den Erfolg Davids aus. Michel-Angelo
und alle Meister der Renaissance hatten die Gottheit vermenschlicht; David
vergöttlicht den Menschen, er wählt den Socrares zu seinem Christus;
Brutus, Leonidas, Socrates, dies sind seine Götterj die Freiheit und
das Vaterland sind seine Religion. Europa, zwar gegen Frankreich
verbündet, aber doch von denselben Bedürfnissen, von denselben Wünschen
dumpf bewegt, konnte sich der Ansteckung dieses neuen Kunstgeistes nicht
entziehen. David herrscht überall; Italien, das classische Land der
schönen Zeichnung, ahmte die falschen Formen Davids nach; Flandern/
das Land der schönen Färbung, nahm das Perlgrau des französischen
Meisters an. Ueberall triumphirt der Geist über die FonU, so gewaltig
und schwungvoll war er bei seinem Erwachen. Gewiß verdickt der innere
Werth des französischen Princips Bewunderung; denn titres dieses Princip
wurde lange Zeit der Schwäche des Ausdrucks das Gleichgewicht gelMem

Wir wollen es David Dank wissen, daß er die historische Schule wieder
in ihr Recht eingesetzt hat. Obgleich wir seine Zeichnung, 'Färbung und
Composition verdammen, so wollen wir ihm doch völlige Gerechtigkeit
widerfahren lassen, wegen des Ernstes, wegen des lebendigen der Zeit an-
gehörigen Gedankens, wodurch er die französische Malerei so hoch er¬
hoben hat.

Mer Wer wird es ihm in Belgien verzeihen, daß er die Wiederge¬
burt unserer Schule um dreißig Jahre aufgehalten, daß er uns unter seine
Vormundschaft zwang, als Herrepns den Muth zu fassen schien, unsern
Geschmack aus den fremden Fesseln zu befreien.

Das volle Gewicht dieses Despotismus bedrückte uns seit der Schlacht
bei Fleurus im Jahr 1794, welche der ftanzösischen Republik den Besitz
Belgiens sicherte, bis zum Tode Davids, der zu Brüssel im Jahr 1825
erfolgte. Während dieses ganzen Zeitraums hatte L eus in Mer schwam-
migten und farblosen Manier fortgefahren/ und Herreyns mit seiner
kräftigen, lcbenvolleN/ warmen Färbung. Diesen biedern Männern schloß
sich ein Dritter/ der berühmte Ommeganck an, der die trefflich: Manier
Berghems angenommen hatte und durch seine Werke mehr und mehr sich
die Bewunderung und Achtung der Kenner erwarbt Wigen des Kunst-
zweiges dem er sich widmete, könnte Ommeganck dem Tyrannen keine'n Ab¬
bruch thun, der dieHistorie und Mythologie für sich in Beschlag genommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/35>, abgerufen am 23.07.2024.