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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Lehren seines Meisters, trat er in die neue Laufbahn ein, auf welcher
die französische Malerei ihre Wiedergeburt finden sollte; es war David.

Vielleicht bietet, uns die Kunstgeschichte keinen Namen dar,, der in
größerem Maße ein Gegenstand des Enthusiasmus und der Bewunderung
sowie der Verachtung und des Vergessens gewesen wäre. Kein Künstler
hat einen, größeren und schöneren Triumph gefeiert, als David, keiner
hat einen so, tiefen Se.urz erlitten., Erst das Pantheon, und dann das
Hochgericht; und dies alles, in dem kurzen Zeitraum eines Vierteljahr-
Hunderts. Jetzt, da sechszehn, Jahre über Davids Grab entschwunden
sind, scheint die , Zeit gekommen, über diesen Mann ein unparteiisches
Urtheil zu fällen. - , ,

Allerdings kann man der Zeichnung Davids den Vorwurf machen,,
daß sie trocken, mager, und flach ist/ seiner Färbung, daß sie matt,
trübe und todt, seiner Composition, daß sie gezwungen und theatralisch,
seinen Figuren, daß sie steif, und bewegungslos sind; David besaß jenen
höhern Vorzug der Zeichnung nicht, der darin besteht, die Bewegung
in der Ruhe auszudrücken. Wenn man aber diese ärmliche Hülle durch¬
dringt, -- wie schon an einem andern Orte bemerkt, worden ist--wenn
man diese unfreundliche, Rinde abnimmt, wenn man den Gehalt des
Werkes erfaßt, und sich in den LebensmMpunst desselben versetzt, so findet
man sich im Reich der Freiheit, im Angesicht des Vaterlandes, vor neuen
Göttern, vor einem neuen Glauben, welche der Künstler aus dem altrö¬
mischen Boden hat erstehen lassen. , Im Gefolge der Philosophen hat er
das Mittelalter überschritten; über Thron und Altar hat er sich hinaus
geschwungen, ,und jene Reihe, von Jahrhunderten zurück gedrängt, wo
so oft die Religion zum Wahneifer und das, Königthum zur, Tyrannei
ward; erst in den freien Städten des Alterthums hat er sich niedergelassen,
auf, den öffentlichen Plätzen von Athen oder unter den Bürgern,des rö¬
mischen Forums. Kein Künstler ist practischer gewesen, keiner historischer,
keiner mehr mit der Gegenwart, mit der Welt verflochten; keiner hat tiefer
in die Kunst die Gefühle und den Glauben der eignen Brust gelegt;
Republikaner bei dem Convent und in der Werkstättte, war er der Richter
Ludwigs XV? und der Maler des Brutus; Patriot in der Werkstätte
und bei dem Convent, decretirte er vierzehn Armem für Frankreich und
entwarf.den, Leon'das. -- Zwischen David, und Watteau liegt nicht
der bloße Triumph der Tunika über die Reifröcke, nicht eine ,bloße Ge-
schmacksverändenmg, eine äußerliche Reaction. Hätte David Liebesscenen
nackend, statt bekleidet vorgestellt, wie Watteau, so würde er nicht gelebt


Lehren seines Meisters, trat er in die neue Laufbahn ein, auf welcher
die französische Malerei ihre Wiedergeburt finden sollte; es war David.

Vielleicht bietet, uns die Kunstgeschichte keinen Namen dar,, der in
größerem Maße ein Gegenstand des Enthusiasmus und der Bewunderung
sowie der Verachtung und des Vergessens gewesen wäre. Kein Künstler
hat einen, größeren und schöneren Triumph gefeiert, als David, keiner
hat einen so, tiefen Se.urz erlitten., Erst das Pantheon, und dann das
Hochgericht; und dies alles, in dem kurzen Zeitraum eines Vierteljahr-
Hunderts. Jetzt, da sechszehn, Jahre über Davids Grab entschwunden
sind, scheint die , Zeit gekommen, über diesen Mann ein unparteiisches
Urtheil zu fällen. - , ,

Allerdings kann man der Zeichnung Davids den Vorwurf machen,,
daß sie trocken, mager, und flach ist/ seiner Färbung, daß sie matt,
trübe und todt, seiner Composition, daß sie gezwungen und theatralisch,
seinen Figuren, daß sie steif, und bewegungslos sind; David besaß jenen
höhern Vorzug der Zeichnung nicht, der darin besteht, die Bewegung
in der Ruhe auszudrücken. Wenn man aber diese ärmliche Hülle durch¬
dringt, — wie schon an einem andern Orte bemerkt, worden ist—wenn
man diese unfreundliche, Rinde abnimmt, wenn man den Gehalt des
Werkes erfaßt, und sich in den LebensmMpunst desselben versetzt, so findet
man sich im Reich der Freiheit, im Angesicht des Vaterlandes, vor neuen
Göttern, vor einem neuen Glauben, welche der Künstler aus dem altrö¬
mischen Boden hat erstehen lassen. , Im Gefolge der Philosophen hat er
das Mittelalter überschritten; über Thron und Altar hat er sich hinaus
geschwungen, ,und jene Reihe, von Jahrhunderten zurück gedrängt, wo
so oft die Religion zum Wahneifer und das, Königthum zur, Tyrannei
ward; erst in den freien Städten des Alterthums hat er sich niedergelassen,
auf, den öffentlichen Plätzen von Athen oder unter den Bürgern,des rö¬
mischen Forums. Kein Künstler ist practischer gewesen, keiner historischer,
keiner mehr mit der Gegenwart, mit der Welt verflochten; keiner hat tiefer
in die Kunst die Gefühle und den Glauben der eignen Brust gelegt;
Republikaner bei dem Convent und in der Werkstättte, war er der Richter
Ludwigs XV? und der Maler des Brutus; Patriot in der Werkstätte
und bei dem Convent, decretirte er vierzehn Armem für Frankreich und
entwarf.den, Leon'das. — Zwischen David, und Watteau liegt nicht
der bloße Triumph der Tunika über die Reifröcke, nicht eine ,bloße Ge-
schmacksverändenmg, eine äußerliche Reaction. Hätte David Liebesscenen
nackend, statt bekleidet vorgestellt, wie Watteau, so würde er nicht gelebt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/34>, abgerufen am 23.07.2024.