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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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erleuchtet ist: Bisher haben die Regisseure rS als einen Ehrenpunkt betrachtet, ir¬
gend ein hervorragendes Werk der deutschen Poesie neu in die Scene zu bringen.
Der Umstand, daß man dieses Mal ein französisches Product brachte, mag Ihnen
als Beweis dienen, wie sehr der Geist dieser Bühne im Verfall ist. Die alten
Schauspieler, in welchen die Tradition aus den Glanzzeiten des HofburgtheaterS
noch lebendig ist, sterben ab. Die Schreivogel'sche Schule erlischt, und die neue'
Ordnung der Dinge ist nicht geeignet, die frühere Zeit vergessen zu machen.

Von Concertmusik wurden wir diesen Winter fast erstickt; ich würde Ihnen
einen schlechten Dienst erweisen, wollte ich darüber berichten. Diese Modekrankheit
bleibt sich in allen großen Städten gleich. Es ist immer dasselbe Piano, dieselbe
Violine, dieselben Rouladen, nur daß sie dort Chopin, dort Äßt, dort Clara Wirt,
dort Hensclt, dort Lippinfky, dort Maliquc u. s. w. heißen. Unsere Zeit ist eben
reich an großen Männern; wer kann daran zweifeln! Wenn nur nicht die Jour¬
nale sich drein mischten und jedesmal bet Himmel und Erde schwören möchten: die¬
ser ist der allergrößte, und morgen wieder, dieser ist der allergrößte, und übermor¬
gen -- Auf diese Weise wird der Mann, der heute groß war, morgen wieder
klein, übermorgen noch kleiner, und über's Jahr ist er zusammengeschrumpft, wie
ein Däumchen. Vielleicht interessirt Sie der günstige Snccefi, den Ihr Brüsseler
Violoncellist Herr Gervais hier gefunden. Ein merkwürdiges Talent! Auch eine
allerliebste Sängerin: Demoiselle Elisa Meerti hat uns Ihr Belgien zugesendet.
Sie hat bereits zwei Concerte mit vielem Glück gegeben.

In der diplomatischen Welt -- um doch wieder dahin zurückzukommen, von
wo ich ausgegangen--macht die Rückkehr des Fürsten Estcrhazv von seinem Ge-
sandschaftsposten in London Epoche. Die Nummer der Times, in welcher unserm
Gesandten ein so reiches Lob gespendet wurde, ist in vielen Exemplaren hier gekauft
worden. Fürst Paul Estcrhrizv gehört zu der "Crome de la Crüme,' unserer Ari¬
stokratie. Sie wissen doch, daß sich unser hiesiger Adel in Milch, Rahm (hierheißt
es Hbers) und allerobcrstcn Rahm eintheilt. Zu lchterm gehört nur eine kleine
Zahl Auserwählter. Nichtsdestoweniger genießt Fürst Paul Esterhazv auch in den
mittlern Klassen einer gewissen Popularität, da er ein sehr liebenswürdiger, freund¬
licher Herr ist, der den Grundsatz "leben und leben lassen" in großartiger Aus¬
führung befolgt. Fürst Esterhazv ist der reichste Magnat Ungarns, und neben dem
Fürsten Lichtenstein der reichste Edelmann des österreichischen Staats. So groß die
Stadt Wien auch ist, so ist eS doch immer für sie ein nicht unbedeutender Vortheil,
daß dieser Magnat nun feine Revenüen hier verzehren wird.


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erleuchtet ist: Bisher haben die Regisseure rS als einen Ehrenpunkt betrachtet, ir¬
gend ein hervorragendes Werk der deutschen Poesie neu in die Scene zu bringen.
Der Umstand, daß man dieses Mal ein französisches Product brachte, mag Ihnen
als Beweis dienen, wie sehr der Geist dieser Bühne im Verfall ist. Die alten
Schauspieler, in welchen die Tradition aus den Glanzzeiten des HofburgtheaterS
noch lebendig ist, sterben ab. Die Schreivogel'sche Schule erlischt, und die neue'
Ordnung der Dinge ist nicht geeignet, die frühere Zeit vergessen zu machen.

Von Concertmusik wurden wir diesen Winter fast erstickt; ich würde Ihnen
einen schlechten Dienst erweisen, wollte ich darüber berichten. Diese Modekrankheit
bleibt sich in allen großen Städten gleich. Es ist immer dasselbe Piano, dieselbe
Violine, dieselben Rouladen, nur daß sie dort Chopin, dort Äßt, dort Clara Wirt,
dort Hensclt, dort Lippinfky, dort Maliquc u. s. w. heißen. Unsere Zeit ist eben
reich an großen Männern; wer kann daran zweifeln! Wenn nur nicht die Jour¬
nale sich drein mischten und jedesmal bet Himmel und Erde schwören möchten: die¬
ser ist der allergrößte, und morgen wieder, dieser ist der allergrößte, und übermor¬
gen — Auf diese Weise wird der Mann, der heute groß war, morgen wieder
klein, übermorgen noch kleiner, und über's Jahr ist er zusammengeschrumpft, wie
ein Däumchen. Vielleicht interessirt Sie der günstige Snccefi, den Ihr Brüsseler
Violoncellist Herr Gervais hier gefunden. Ein merkwürdiges Talent! Auch eine
allerliebste Sängerin: Demoiselle Elisa Meerti hat uns Ihr Belgien zugesendet.
Sie hat bereits zwei Concerte mit vielem Glück gegeben.

In der diplomatischen Welt — um doch wieder dahin zurückzukommen, von
wo ich ausgegangen—macht die Rückkehr des Fürsten Estcrhazv von seinem Ge-
sandschaftsposten in London Epoche. Die Nummer der Times, in welcher unserm
Gesandten ein so reiches Lob gespendet wurde, ist in vielen Exemplaren hier gekauft
worden. Fürst Paul Estcrhrizv gehört zu der „Crome de la Crüme,' unserer Ari¬
stokratie. Sie wissen doch, daß sich unser hiesiger Adel in Milch, Rahm (hierheißt
es Hbers) und allerobcrstcn Rahm eintheilt. Zu lchterm gehört nur eine kleine
Zahl Auserwählter. Nichtsdestoweniger genießt Fürst Paul Esterhazv auch in den
mittlern Klassen einer gewissen Popularität, da er ein sehr liebenswürdiger, freund¬
licher Herr ist, der den Grundsatz »leben und leben lassen" in großartiger Aus¬
führung befolgt. Fürst Esterhazv ist der reichste Magnat Ungarns, und neben dem
Fürsten Lichtenstein der reichste Edelmann des österreichischen Staats. So groß die
Stadt Wien auch ist, so ist eS doch immer für sie ein nicht unbedeutender Vortheil,
daß dieser Magnat nun feine Revenüen hier verzehren wird.


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[0326] erleuchtet ist: Bisher haben die Regisseure rS als einen Ehrenpunkt betrachtet, ir¬ gend ein hervorragendes Werk der deutschen Poesie neu in die Scene zu bringen. Der Umstand, daß man dieses Mal ein französisches Product brachte, mag Ihnen als Beweis dienen, wie sehr der Geist dieser Bühne im Verfall ist. Die alten Schauspieler, in welchen die Tradition aus den Glanzzeiten des HofburgtheaterS noch lebendig ist, sterben ab. Die Schreivogel'sche Schule erlischt, und die neue' Ordnung der Dinge ist nicht geeignet, die frühere Zeit vergessen zu machen. Von Concertmusik wurden wir diesen Winter fast erstickt; ich würde Ihnen einen schlechten Dienst erweisen, wollte ich darüber berichten. Diese Modekrankheit bleibt sich in allen großen Städten gleich. Es ist immer dasselbe Piano, dieselbe Violine, dieselben Rouladen, nur daß sie dort Chopin, dort Äßt, dort Clara Wirt, dort Hensclt, dort Lippinfky, dort Maliquc u. s. w. heißen. Unsere Zeit ist eben reich an großen Männern; wer kann daran zweifeln! Wenn nur nicht die Jour¬ nale sich drein mischten und jedesmal bet Himmel und Erde schwören möchten: die¬ ser ist der allergrößte, und morgen wieder, dieser ist der allergrößte, und übermor¬ gen — Auf diese Weise wird der Mann, der heute groß war, morgen wieder klein, übermorgen noch kleiner, und über's Jahr ist er zusammengeschrumpft, wie ein Däumchen. Vielleicht interessirt Sie der günstige Snccefi, den Ihr Brüsseler Violoncellist Herr Gervais hier gefunden. Ein merkwürdiges Talent! Auch eine allerliebste Sängerin: Demoiselle Elisa Meerti hat uns Ihr Belgien zugesendet. Sie hat bereits zwei Concerte mit vielem Glück gegeben. In der diplomatischen Welt — um doch wieder dahin zurückzukommen, von wo ich ausgegangen—macht die Rückkehr des Fürsten Estcrhazv von seinem Ge- sandschaftsposten in London Epoche. Die Nummer der Times, in welcher unserm Gesandten ein so reiches Lob gespendet wurde, ist in vielen Exemplaren hier gekauft worden. Fürst Paul Estcrhrizv gehört zu der „Crome de la Crüme,' unserer Ari¬ stokratie. Sie wissen doch, daß sich unser hiesiger Adel in Milch, Rahm (hierheißt es Hbers) und allerobcrstcn Rahm eintheilt. Zu lchterm gehört nur eine kleine Zahl Auserwählter. Nichtsdestoweniger genießt Fürst Paul Esterhazv auch in den mittlern Klassen einer gewissen Popularität, da er ein sehr liebenswürdiger, freund¬ licher Herr ist, der den Grundsatz »leben und leben lassen" in großartiger Aus¬ führung befolgt. Fürst Esterhazv ist der reichste Magnat Ungarns, und neben dem Fürsten Lichtenstein der reichste Edelmann des österreichischen Staats. So groß die Stadt Wien auch ist, so ist eS doch immer für sie ein nicht unbedeutender Vortheil, daß dieser Magnat nun feine Revenüen hier verzehren wird. — —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/326>, abgerufen am 30.06.2024.