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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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des Buchs ging offenbar darauf los, die österreichische Diplomatie er den Augen
der nationalen Partei in Deutschland bloßzustellen. Die Pli-ces justificatives berüh¬
ren hochgestellte Personen, Indessen aber ist es eine bekannte Thatsache, daß Herr
von Hormayer in seinen historischen Arbeiten nicht immer die Tugend der Genau¬
igkeit sich zum Vorwurf machen läßt. Immerhin aber erregt sein Buch hier gro¬
ßen Scandal, und Sie werden denselben aus einigen Reklamationen der Allgemei¬
nen Zeitung leicht errathen können. ES ist schwer, ein Exemplar zu erhalten, und
doch soll die ganze erste Auflage bereits vergriffen sein.

In der sonstigen Literatur ist große Windstille. Die alten Zeitschriften gehen
keinen neuen Gang, und die neu aufgetauchten tragen eben"nicht den Kranz der
Jugend auf der Stirn. Die Lyrik, die vor drei, vier Jahren so frisch hier getönt,
lepcrt nun die früheren Melodien zum hundert und funfzigsten Male wieder ab.
Der oft erwähnte Mönch von Kalenberg, mit welchem Anastasius Grün sich be¬
schäftigt, ist wieder in den Hintergrund geschoben; dagegen hat sich dieser Dichter
letzt dem komischen Fache zugewendet, und in wenigen Wochen wird ein komisches
Heldengedicht von ihm erscheinen: Die Nibelungen im Frack. , Ludwig Au¬
gust Fränkl's Gedichte, die bei Brockhaus erschienen sind, finden hier viele Leser
weniger LlMnahme erregen die von ihm redigirten Sonntagsblätter: ein glückli.
cher Poet ist selten ein glücklicher Journalist. Indessen das Blatt ist noch neu, und
Fränkl einer unserer chremvcrthestcn Namen, es wird ihm anMitarbeitern nicht fehlen.

Man sagt, daß von den hiesigen Literaten eine unverhältnißmäßige Anzahl von
Lustspielen nach Berlin zur Preisbewerbung eingesendet wurden. Wie Sie wissen,
ist die letzte komische PrriSlustspiel-Ausschreibung, welche die Herrn Lewald und
Seidelmann zu Preisrichtern hatte, zweien Oesterreichern zu Gunsten gekommen,
und die famose "Vormundschaft" wurde als das Meisterwerk der deutschen Thalia
Proclamirt. Dieses mag viele unserer österreichischen Literaten aufgemuntert haben,
gleichfalls ihr Glück zu versuchen -- in Oesterreich ist ja das Lottospiel noch gang
lind gebe! Vielleicht geht es diesen Herrn in Berlin besser, als in Wien, wo, der
eingeschüchterte Herr von Holbein ihre Stücke zurückweist. Das neue Holbeinischc
Thcaterrcgimc hat noch wenig Rosen getragen, und von allen Stücken, welche er
seit seinem Directions-Antritte zur Aufführung brachte, haben im Ganzen nur zwei
gefallen, nämlich Halms Sohn der Wildniß und Scribes Glas Wasser. Eine
außerordentliche Indignation bei dem bessern Publikum erregte es, daß zum Bene-
sice der vier Regisseure ein französisches Product (Scribes Fesseln) gegeben wurde.
Der Beresina-Abend der vier Regisseure ist, wie Sie Sich noch aus alten Zeiten
erinnern werden, der glänzendste Punkt des ganzen Theater-JnhreS. An diesem
Abend erscheint der Hof, die Aristokratie und die Elite der gebildeten Welt in aus¬
gesuchter Toilette im Theater, das von Unten bis Oben vollgcdrängt und festlich


des Buchs ging offenbar darauf los, die österreichische Diplomatie er den Augen
der nationalen Partei in Deutschland bloßzustellen. Die Pli-ces justificatives berüh¬
ren hochgestellte Personen, Indessen aber ist es eine bekannte Thatsache, daß Herr
von Hormayer in seinen historischen Arbeiten nicht immer die Tugend der Genau¬
igkeit sich zum Vorwurf machen läßt. Immerhin aber erregt sein Buch hier gro¬
ßen Scandal, und Sie werden denselben aus einigen Reklamationen der Allgemei¬
nen Zeitung leicht errathen können. ES ist schwer, ein Exemplar zu erhalten, und
doch soll die ganze erste Auflage bereits vergriffen sein.

In der sonstigen Literatur ist große Windstille. Die alten Zeitschriften gehen
keinen neuen Gang, und die neu aufgetauchten tragen eben"nicht den Kranz der
Jugend auf der Stirn. Die Lyrik, die vor drei, vier Jahren so frisch hier getönt,
lepcrt nun die früheren Melodien zum hundert und funfzigsten Male wieder ab.
Der oft erwähnte Mönch von Kalenberg, mit welchem Anastasius Grün sich be¬
schäftigt, ist wieder in den Hintergrund geschoben; dagegen hat sich dieser Dichter
letzt dem komischen Fache zugewendet, und in wenigen Wochen wird ein komisches
Heldengedicht von ihm erscheinen: Die Nibelungen im Frack. , Ludwig Au¬
gust Fränkl's Gedichte, die bei Brockhaus erschienen sind, finden hier viele Leser
weniger LlMnahme erregen die von ihm redigirten Sonntagsblätter: ein glückli.
cher Poet ist selten ein glücklicher Journalist. Indessen das Blatt ist noch neu, und
Fränkl einer unserer chremvcrthestcn Namen, es wird ihm anMitarbeitern nicht fehlen.

Man sagt, daß von den hiesigen Literaten eine unverhältnißmäßige Anzahl von
Lustspielen nach Berlin zur Preisbewerbung eingesendet wurden. Wie Sie wissen,
ist die letzte komische PrriSlustspiel-Ausschreibung, welche die Herrn Lewald und
Seidelmann zu Preisrichtern hatte, zweien Oesterreichern zu Gunsten gekommen,
und die famose „Vormundschaft» wurde als das Meisterwerk der deutschen Thalia
Proclamirt. Dieses mag viele unserer österreichischen Literaten aufgemuntert haben,
gleichfalls ihr Glück zu versuchen — in Oesterreich ist ja das Lottospiel noch gang
lind gebe! Vielleicht geht es diesen Herrn in Berlin besser, als in Wien, wo, der
eingeschüchterte Herr von Holbein ihre Stücke zurückweist. Das neue Holbeinischc
Thcaterrcgimc hat noch wenig Rosen getragen, und von allen Stücken, welche er
seit seinem Directions-Antritte zur Aufführung brachte, haben im Ganzen nur zwei
gefallen, nämlich Halms Sohn der Wildniß und Scribes Glas Wasser. Eine
außerordentliche Indignation bei dem bessern Publikum erregte es, daß zum Bene-
sice der vier Regisseure ein französisches Product (Scribes Fesseln) gegeben wurde.
Der Beresina-Abend der vier Regisseure ist, wie Sie Sich noch aus alten Zeiten
erinnern werden, der glänzendste Punkt des ganzen Theater-JnhreS. An diesem
Abend erscheint der Hof, die Aristokratie und die Elite der gebildeten Welt in aus¬
gesuchter Toilette im Theater, das von Unten bis Oben vollgcdrängt und festlich


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[0325] des Buchs ging offenbar darauf los, die österreichische Diplomatie er den Augen der nationalen Partei in Deutschland bloßzustellen. Die Pli-ces justificatives berüh¬ ren hochgestellte Personen, Indessen aber ist es eine bekannte Thatsache, daß Herr von Hormayer in seinen historischen Arbeiten nicht immer die Tugend der Genau¬ igkeit sich zum Vorwurf machen läßt. Immerhin aber erregt sein Buch hier gro¬ ßen Scandal, und Sie werden denselben aus einigen Reklamationen der Allgemei¬ nen Zeitung leicht errathen können. ES ist schwer, ein Exemplar zu erhalten, und doch soll die ganze erste Auflage bereits vergriffen sein. In der sonstigen Literatur ist große Windstille. Die alten Zeitschriften gehen keinen neuen Gang, und die neu aufgetauchten tragen eben"nicht den Kranz der Jugend auf der Stirn. Die Lyrik, die vor drei, vier Jahren so frisch hier getönt, lepcrt nun die früheren Melodien zum hundert und funfzigsten Male wieder ab. Der oft erwähnte Mönch von Kalenberg, mit welchem Anastasius Grün sich be¬ schäftigt, ist wieder in den Hintergrund geschoben; dagegen hat sich dieser Dichter letzt dem komischen Fache zugewendet, und in wenigen Wochen wird ein komisches Heldengedicht von ihm erscheinen: Die Nibelungen im Frack. , Ludwig Au¬ gust Fränkl's Gedichte, die bei Brockhaus erschienen sind, finden hier viele Leser weniger LlMnahme erregen die von ihm redigirten Sonntagsblätter: ein glückli. cher Poet ist selten ein glücklicher Journalist. Indessen das Blatt ist noch neu, und Fränkl einer unserer chremvcrthestcn Namen, es wird ihm anMitarbeitern nicht fehlen. Man sagt, daß von den hiesigen Literaten eine unverhältnißmäßige Anzahl von Lustspielen nach Berlin zur Preisbewerbung eingesendet wurden. Wie Sie wissen, ist die letzte komische PrriSlustspiel-Ausschreibung, welche die Herrn Lewald und Seidelmann zu Preisrichtern hatte, zweien Oesterreichern zu Gunsten gekommen, und die famose „Vormundschaft» wurde als das Meisterwerk der deutschen Thalia Proclamirt. Dieses mag viele unserer österreichischen Literaten aufgemuntert haben, gleichfalls ihr Glück zu versuchen — in Oesterreich ist ja das Lottospiel noch gang lind gebe! Vielleicht geht es diesen Herrn in Berlin besser, als in Wien, wo, der eingeschüchterte Herr von Holbein ihre Stücke zurückweist. Das neue Holbeinischc Thcaterrcgimc hat noch wenig Rosen getragen, und von allen Stücken, welche er seit seinem Directions-Antritte zur Aufführung brachte, haben im Ganzen nur zwei gefallen, nämlich Halms Sohn der Wildniß und Scribes Glas Wasser. Eine außerordentliche Indignation bei dem bessern Publikum erregte es, daß zum Bene- sice der vier Regisseure ein französisches Product (Scribes Fesseln) gegeben wurde. Der Beresina-Abend der vier Regisseure ist, wie Sie Sich noch aus alten Zeiten erinnern werden, der glänzendste Punkt des ganzen Theater-JnhreS. An diesem Abend erscheint der Hof, die Aristokratie und die Elite der gebildeten Welt in aus¬ gesuchter Toilette im Theater, das von Unten bis Oben vollgcdrängt und festlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/325>, abgerufen am 28.06.2024.