Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.ter, große Kindereien ernsthaft behandeln, und daß die Fortschritte, de¬ Unter die berühmtesten Litcraturfthden gehört der Streit, der gegen ter, große Kindereien ernsthaft behandeln, und daß die Fortschritte, de¬ Unter die berühmtesten Litcraturfthden gehört der Streit, der gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267479"/> <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> ter, große Kindereien ernsthaft behandeln, und daß die Fortschritte, de¬<lb/> ren wir uns rühmen, in nichts weiter bestehen, als im Verlust alles<lb/> Enthusiasmus, dieser Leidenschaft, die das Mittel zur Hervorbringung und<lb/> zur richtigen Schätzung großer Dinge ist. Fern von uiis ein solches<lb/> Geständniß! Im Gegentheil, wir behaupten, daß die Politik allein das<lb/> Recht hat, uns zu fesseln; daß unsre Cnbinette viel zu interessant sind,<lb/> als daß uns Muße bliebe,, ein Dichter und Künstler zu denken. Unsre<lb/> Voreltern waren wirklich Narren, sich über solche Possen den Kopf zu<lb/> zerbrechen. Wie wenig verstanden sie die Kunst, das Leben zu ver¬<lb/> schönern! Man sehe nur, wie sie iiss Theater laufen, als wäre es<lb/> das dringendste Geschäft, wie sie sich für ein Stück ereifern, wie sie aus<lb/> qllen Kräften Beifall klatschen, oder aus tiefinnerster Seele pfeifen; wie<lb/> "sie in dem LMspiel lachen, bei ergreifenden, pathetischen Scenen weinen,<lb/> kurz sich ganz dein Strome der äußern Eindrücke hingeben. Wir heut¬<lb/> zutage, sind vsel zu klug, um solche Verkehrtheiten zu begehen. Die<lb/> frivolen Ergötzlichkeiten des Theaters haben nichts Anziehendes für uns;<lb/> unsre Zeit ist uns zu kostbar, um sie nicht besser anzuwenden, und wir<lb/> gehen meist nur aus Langeweile, oder um die Mode mitzumachen, ins<lb/> Schauspielhaus. Dse Sorge, dem Dichter ermunternde Beifallsbezeu-<lb/> gungen zu geben 5 Herlassen wir der obersten Galserse; und wenn einer<lb/> oder der anders BHnendiMr wirklich Glück macht, so ist uns das et-<lb/> Ms.viel zu Gleichgültiges, als daß wir dagegen protestiren sollten,<lb/> wenn es unverdient ist. Uns durch die Erzählung von Ereignissen rüh¬<lb/> ren lassen, von denen , wir wissen, daß sie erdichtet sind, — wie ver¬<lb/> trüge sich ehre solche Schwache mit der Würde unsres hochpraktischen<lb/> Meuse!)enverstandeö?.--</p><lb/> <p xml:id="ID_1072" next="#ID_1073"> Unter die berühmtesten Litcraturfthden gehört der Streit, der gegen<lb/> Ende des vorigen Jahrhunderts zwischen den Verfechtern der Gin et'schen<lb/> Musik und den Bewundrern Piccini'S ausbrach. Ganz Paris nahm<lb/> an dieser Coiitroverse Theil, und aus jedem Gesellschaftssaal war ein<lb/> Kampfplatz geworden, in dem die Vorkämpfer der beiden Parteien ein¬<lb/> ander so viel Hiebe als möglich beizubringen suchten. In dieser wichti¬<lb/> gen Streitfrage war eS nicht erlaubt, neutral zu bleiben; man mußte,<lb/> gleich wie bei den alten Spartanern, zu einer oder, der andern Partei<lb/> gehören. Selbst ti'e Gleichgültigsten mußten sich zu den Glucki'sten oder<lb/> zu den Piccinisten schlagen, so sehr wär alle Welt in den Streit ver¬<lb/> wickelt.. Die Schriftsteller und Philosophen,, welche sich für befugte<lb/> Schiedsrichter über AM hielten, ließen eine Sündfluth von Broschüren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
ter, große Kindereien ernsthaft behandeln, und daß die Fortschritte, de¬
ren wir uns rühmen, in nichts weiter bestehen, als im Verlust alles
Enthusiasmus, dieser Leidenschaft, die das Mittel zur Hervorbringung und
zur richtigen Schätzung großer Dinge ist. Fern von uiis ein solches
Geständniß! Im Gegentheil, wir behaupten, daß die Politik allein das
Recht hat, uns zu fesseln; daß unsre Cnbinette viel zu interessant sind,
als daß uns Muße bliebe,, ein Dichter und Künstler zu denken. Unsre
Voreltern waren wirklich Narren, sich über solche Possen den Kopf zu
zerbrechen. Wie wenig verstanden sie die Kunst, das Leben zu ver¬
schönern! Man sehe nur, wie sie iiss Theater laufen, als wäre es
das dringendste Geschäft, wie sie sich für ein Stück ereifern, wie sie aus
qllen Kräften Beifall klatschen, oder aus tiefinnerster Seele pfeifen; wie
"sie in dem LMspiel lachen, bei ergreifenden, pathetischen Scenen weinen,
kurz sich ganz dein Strome der äußern Eindrücke hingeben. Wir heut¬
zutage, sind vsel zu klug, um solche Verkehrtheiten zu begehen. Die
frivolen Ergötzlichkeiten des Theaters haben nichts Anziehendes für uns;
unsre Zeit ist uns zu kostbar, um sie nicht besser anzuwenden, und wir
gehen meist nur aus Langeweile, oder um die Mode mitzumachen, ins
Schauspielhaus. Dse Sorge, dem Dichter ermunternde Beifallsbezeu-
gungen zu geben 5 Herlassen wir der obersten Galserse; und wenn einer
oder der anders BHnendiMr wirklich Glück macht, so ist uns das et-
Ms.viel zu Gleichgültiges, als daß wir dagegen protestiren sollten,
wenn es unverdient ist. Uns durch die Erzählung von Ereignissen rüh¬
ren lassen, von denen , wir wissen, daß sie erdichtet sind, — wie ver¬
trüge sich ehre solche Schwache mit der Würde unsres hochpraktischen
Meuse!)enverstandeö?.--
Unter die berühmtesten Litcraturfthden gehört der Streit, der gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts zwischen den Verfechtern der Gin et'schen
Musik und den Bewundrern Piccini'S ausbrach. Ganz Paris nahm
an dieser Coiitroverse Theil, und aus jedem Gesellschaftssaal war ein
Kampfplatz geworden, in dem die Vorkämpfer der beiden Parteien ein¬
ander so viel Hiebe als möglich beizubringen suchten. In dieser wichti¬
gen Streitfrage war eS nicht erlaubt, neutral zu bleiben; man mußte,
gleich wie bei den alten Spartanern, zu einer oder, der andern Partei
gehören. Selbst ti'e Gleichgültigsten mußten sich zu den Glucki'sten oder
zu den Piccinisten schlagen, so sehr wär alle Welt in den Streit ver¬
wickelt.. Die Schriftsteller und Philosophen,, welche sich für befugte
Schiedsrichter über AM hielten, ließen eine Sündfluth von Broschüren
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