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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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verderblich geworden; mancher Unserer Schriftsteller, der die gehörige An¬
wendung nicht verstand, ist durch ihn zu Grunde gegangen. Ich habe aus
dem Theater oft bemerkt, daß ein schlechter oder mittelmäßiger Schauspieler,
der einen römischen Helden vorzustellen hatte, am meisten durch den Römer-
mantel genirt wurde. Das Kleid war ihm zu weit, und da er die Kunst
des Faltenwurfs nicht verstand, so kam ihm ungeschickter Weise der Mantel,
immer zwischen die Beine, er warf ihn hin und her, und einer sogar stol¬
perte darüber und fiel zur großen Belustigung des Publikums zu Boden-
Gerade so geht es bei uns manchem Schriftsteller.', Die' Sprache ist ihm zu
weit er kann sie nicht drapiren, er will den'Mantel , kühn über die Schulter
werfen, verliert das Gleichgewicht und verdirbt sich selbst die Rolle. In
dem weiten Raum, der unserer Sprache ausgesteckt ist, verirren sich kleine
Geister und mittelmäßige Köpfe gar leicht und die deutsche Literatur zählt
deshalb vielmehr Verlorne Kinder als jede andere.

Aber das Genie, der kühne schöpferische Geist findet da für seine ritter¬
lichen Fahrten, den breitesten und üppigsten Spielraum. Klopstock, Göthe,
Schiller, Jean Paul, wären aus jeder andern Sprache vielleicht nicht so
^rhaben empor gestiegen, als ans der, welche für ihre gigantische Denkkraft
hinlänglich Raum Und Ausdehnung besitzt. Und hierin sind wir den Fran¬
zosen wieder entgegengesetzt. Die französische Sprache ist sür die allgemeine
Bildung sehr günstig, eben weil die Grenzen enger gezogen sind, kann man
leichter mit dem Innern vertraut sein, eben weil Per Mantel nicht so viele
Falten zuläßt/ist er um so sicherer umzuschlagen. Der mittelmäßige fran¬
zösische Schriftsteller ist in Bezug auf Form und Styl immer noch ein über¬
ragendes Muster für'Schriftsteller seines Ranges bei anöern-Nationen.
Der deutsche Autor erhält von seiner Sprache nur die Worte vereinzelt,
der französische Autor bekömmt die Worte zum großen Theil in Redeformen
schon zusammengesetzt; in Redeformen, welche die Gesellschaft seit Jahrhun¬
derten ausgebildet uno adoptirt hat.

Nie kann daher der schlechte französische Schriftsteller so ausarten, w le
der schlechte deutsche. Doch das Genie,'der außergewöhnliche Kopf, bclebr
von dem Drange Neues zu Schaffell, der fühlt sich in dieser engen Form
gedrückt, seine lcbcnstrozende Kraft verlangt einen freien Raum zur Ent¬
wicklung, und er sieht sich eingeschnürt in gesellschaftliche Wortformen
in eine Sprache, wo aus jeder Phrase ein Zermonienmeister tritt, und ihm
zuruft: das ist nicht Sitte, deine Schritte sind zu stark, auf diesen Teppichen
geht man leise, bei diesem Worte machst Du eine Verbeugung und jenes
sprichst Du gar nicht ans. Der deutsche Leser läßt die Anforderungen an


verderblich geworden; mancher Unserer Schriftsteller, der die gehörige An¬
wendung nicht verstand, ist durch ihn zu Grunde gegangen. Ich habe aus
dem Theater oft bemerkt, daß ein schlechter oder mittelmäßiger Schauspieler,
der einen römischen Helden vorzustellen hatte, am meisten durch den Römer-
mantel genirt wurde. Das Kleid war ihm zu weit, und da er die Kunst
des Faltenwurfs nicht verstand, so kam ihm ungeschickter Weise der Mantel,
immer zwischen die Beine, er warf ihn hin und her, und einer sogar stol¬
perte darüber und fiel zur großen Belustigung des Publikums zu Boden-
Gerade so geht es bei uns manchem Schriftsteller.', Die' Sprache ist ihm zu
weit er kann sie nicht drapiren, er will den'Mantel , kühn über die Schulter
werfen, verliert das Gleichgewicht und verdirbt sich selbst die Rolle. In
dem weiten Raum, der unserer Sprache ausgesteckt ist, verirren sich kleine
Geister und mittelmäßige Köpfe gar leicht und die deutsche Literatur zählt
deshalb vielmehr Verlorne Kinder als jede andere.

Aber das Genie, der kühne schöpferische Geist findet da für seine ritter¬
lichen Fahrten, den breitesten und üppigsten Spielraum. Klopstock, Göthe,
Schiller, Jean Paul, wären aus jeder andern Sprache vielleicht nicht so
^rhaben empor gestiegen, als ans der, welche für ihre gigantische Denkkraft
hinlänglich Raum Und Ausdehnung besitzt. Und hierin sind wir den Fran¬
zosen wieder entgegengesetzt. Die französische Sprache ist sür die allgemeine
Bildung sehr günstig, eben weil die Grenzen enger gezogen sind, kann man
leichter mit dem Innern vertraut sein, eben weil Per Mantel nicht so viele
Falten zuläßt/ist er um so sicherer umzuschlagen. Der mittelmäßige fran¬
zösische Schriftsteller ist in Bezug auf Form und Styl immer noch ein über¬
ragendes Muster für'Schriftsteller seines Ranges bei anöern-Nationen.
Der deutsche Autor erhält von seiner Sprache nur die Worte vereinzelt,
der französische Autor bekömmt die Worte zum großen Theil in Redeformen
schon zusammengesetzt; in Redeformen, welche die Gesellschaft seit Jahrhun¬
derten ausgebildet uno adoptirt hat.

Nie kann daher der schlechte französische Schriftsteller so ausarten, w le
der schlechte deutsche. Doch das Genie,'der außergewöhnliche Kopf, bclebr
von dem Drange Neues zu Schaffell, der fühlt sich in dieser engen Form
gedrückt, seine lcbcnstrozende Kraft verlangt einen freien Raum zur Ent¬
wicklung, und er sieht sich eingeschnürt in gesellschaftliche Wortformen
in eine Sprache, wo aus jeder Phrase ein Zermonienmeister tritt, und ihm
zuruft: das ist nicht Sitte, deine Schritte sind zu stark, auf diesen Teppichen
geht man leise, bei diesem Worte machst Du eine Verbeugung und jenes
sprichst Du gar nicht ans. Der deutsche Leser läßt die Anforderungen an


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[0024] verderblich geworden; mancher Unserer Schriftsteller, der die gehörige An¬ wendung nicht verstand, ist durch ihn zu Grunde gegangen. Ich habe aus dem Theater oft bemerkt, daß ein schlechter oder mittelmäßiger Schauspieler, der einen römischen Helden vorzustellen hatte, am meisten durch den Römer- mantel genirt wurde. Das Kleid war ihm zu weit, und da er die Kunst des Faltenwurfs nicht verstand, so kam ihm ungeschickter Weise der Mantel, immer zwischen die Beine, er warf ihn hin und her, und einer sogar stol¬ perte darüber und fiel zur großen Belustigung des Publikums zu Boden- Gerade so geht es bei uns manchem Schriftsteller.', Die' Sprache ist ihm zu weit er kann sie nicht drapiren, er will den'Mantel , kühn über die Schulter werfen, verliert das Gleichgewicht und verdirbt sich selbst die Rolle. In dem weiten Raum, der unserer Sprache ausgesteckt ist, verirren sich kleine Geister und mittelmäßige Köpfe gar leicht und die deutsche Literatur zählt deshalb vielmehr Verlorne Kinder als jede andere. Aber das Genie, der kühne schöpferische Geist findet da für seine ritter¬ lichen Fahrten, den breitesten und üppigsten Spielraum. Klopstock, Göthe, Schiller, Jean Paul, wären aus jeder andern Sprache vielleicht nicht so ^rhaben empor gestiegen, als ans der, welche für ihre gigantische Denkkraft hinlänglich Raum Und Ausdehnung besitzt. Und hierin sind wir den Fran¬ zosen wieder entgegengesetzt. Die französische Sprache ist sür die allgemeine Bildung sehr günstig, eben weil die Grenzen enger gezogen sind, kann man leichter mit dem Innern vertraut sein, eben weil Per Mantel nicht so viele Falten zuläßt/ist er um so sicherer umzuschlagen. Der mittelmäßige fran¬ zösische Schriftsteller ist in Bezug auf Form und Styl immer noch ein über¬ ragendes Muster für'Schriftsteller seines Ranges bei anöern-Nationen. Der deutsche Autor erhält von seiner Sprache nur die Worte vereinzelt, der französische Autor bekömmt die Worte zum großen Theil in Redeformen schon zusammengesetzt; in Redeformen, welche die Gesellschaft seit Jahrhun¬ derten ausgebildet uno adoptirt hat. Nie kann daher der schlechte französische Schriftsteller so ausarten, w le der schlechte deutsche. Doch das Genie,'der außergewöhnliche Kopf, bclebr von dem Drange Neues zu Schaffell, der fühlt sich in dieser engen Form gedrückt, seine lcbcnstrozende Kraft verlangt einen freien Raum zur Ent¬ wicklung, und er sieht sich eingeschnürt in gesellschaftliche Wortformen in eine Sprache, wo aus jeder Phrase ein Zermonienmeister tritt, und ihm zuruft: das ist nicht Sitte, deine Schritte sind zu stark, auf diesen Teppichen geht man leise, bei diesem Worte machst Du eine Verbeugung und jenes sprichst Du gar nicht ans. Der deutsche Leser läßt die Anforderungen an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/24>, abgerufen am 02.07.2024.