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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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ist der Hausarzt eines pferdeliebhabenden Grafen, der nicht allein bäuerisch grob
ist, sondern auch liberale Grundsähe Hat. Die Geschichte fand unter der Restau¬
ration statt, und der Graf, ein negativer Mensch, ist ebenso stolz auf seine Füllen
als auf seinen Titel eines Correspondenten des Constitutionels. Damals hatte der
Charivari den Constitutionel noch nicht begraben und besungen. Seine Frau ist
ein zartes Geschöpf, das immer kränkelt. ES giebt nur ein Heilmittel für zarte
Frauen. Amor ist der beste Arzt, und sehr wichtig für die Kunst wäre eS, unter¬
suchte man, ob Amor homöopathisch oder allopathisch verfährt. Ein junger Arzt
kömmt in die Gegend. Der Graf, der den Doktor Herbcan nicht leiden kann,
schon deshalb, weil er ihm an Sitten und Gelehrsamkeit überlegen ist und fein
versteckte aristokratische Grundsätze hat, sucht beide Aerzte zusammenzubringen und
verliebt sich förmlich in den jungen Savenap. -- Herbeau aber ist verliebt in die
Gräfin trotz seinen Fiinfzigen, er kämpft mit seinen Grundsätzen und beschränkt sich
auf Galanterie. Der Graf, obschon ihm die Ehre nicht anthuend, eifersüchtig zu
sein, setzt ihn oft'deswegen auf die Folterbank seiner witzigen Brutalität. Dazu
kommen häusliche Szenen zwischen dem Doktor und seinem L.,eibe, Streit zwischen
ihnen wegen des geliebten Sohnes, der in Montpellier studirt. Der Vater ent¬
schließt sich endlich den Sohn kommen zu lassen: aber o der Schande, dieses Wun¬
der der Welt kommt als Ignorant zurück. Er hat so und so viel Pfeifen kulot-
tirt, M das ganze Vermögen des Vaters,,.durchgebracht und ist obendrein noch
Homöopath. -- Unglück auf Unglück stürzt auf-das Haus. -- Die Gräfin, zwischen
Liebe und Tugend kämpfend -- sie liebt Savenap, ohne daß es der Verfasser nur
ein Mal gesteht -- sucht eine Stütze an ihrem braven Doktor Herbeau. Hier
nun ist das Interesse des Romans. Alle ihre Anstrengungen in diesem Sinne wer"'
den von ihrem eigenen Gatten vernichtet. Sie giebt Herbeau ein Rendez-vous,
der Gatte kommt dazu und lacht, quält aber den Doktor zu Tode, sie schreibt ihm
selbst, er schickt den Brief zurück, endlich zwingt er den braven Doktor das Haus
zu verlassen und stellt die Sachen so, als verließe der Doktor selbst freiwillig seine
Clientin, so daß diese ihrem Gatten gar keinen Vorwurf zu machen hat. Am
Schlüsse wird der junge Herbeau Apothekerjunge und Savenap Arzt und Freund
des Hauses Riquemcnt. Der Mann hatte einen guten ärztlichen Takt. Nach ei¬
niger Zeit war die Gräfin vollkommen hergestellt--Man sieht, was Sandeau
andeutet, was er vermeiden will. Wenn auch oft die Details etwas weitläufig
sind, so ist dieser Roman doch sehr künstlich durchgeführt, besonders sind die Cha¬
raktere naturtreu und frisch aus dem Leben gegriffen. Die Moral darin wankt
halb rechts halb links, aber da einmal die Hauptsache nicht zu vermeiden ist, den"
so ist das Leben, so hat Sandeau alles gethan, um nicht in das Grelle zu fallen.
Merkwürdig! Liest man seine und die Romane Sands, so möchte,man ihn Ma-


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ist der Hausarzt eines pferdeliebhabenden Grafen, der nicht allein bäuerisch grob
ist, sondern auch liberale Grundsähe Hat. Die Geschichte fand unter der Restau¬
ration statt, und der Graf, ein negativer Mensch, ist ebenso stolz auf seine Füllen
als auf seinen Titel eines Correspondenten des Constitutionels. Damals hatte der
Charivari den Constitutionel noch nicht begraben und besungen. Seine Frau ist
ein zartes Geschöpf, das immer kränkelt. ES giebt nur ein Heilmittel für zarte
Frauen. Amor ist der beste Arzt, und sehr wichtig für die Kunst wäre eS, unter¬
suchte man, ob Amor homöopathisch oder allopathisch verfährt. Ein junger Arzt
kömmt in die Gegend. Der Graf, der den Doktor Herbcan nicht leiden kann,
schon deshalb, weil er ihm an Sitten und Gelehrsamkeit überlegen ist und fein
versteckte aristokratische Grundsätze hat, sucht beide Aerzte zusammenzubringen und
verliebt sich förmlich in den jungen Savenap. — Herbeau aber ist verliebt in die
Gräfin trotz seinen Fiinfzigen, er kämpft mit seinen Grundsätzen und beschränkt sich
auf Galanterie. Der Graf, obschon ihm die Ehre nicht anthuend, eifersüchtig zu
sein, setzt ihn oft'deswegen auf die Folterbank seiner witzigen Brutalität. Dazu
kommen häusliche Szenen zwischen dem Doktor und seinem L.,eibe, Streit zwischen
ihnen wegen des geliebten Sohnes, der in Montpellier studirt. Der Vater ent¬
schließt sich endlich den Sohn kommen zu lassen: aber o der Schande, dieses Wun¬
der der Welt kommt als Ignorant zurück. Er hat so und so viel Pfeifen kulot-
tirt, M das ganze Vermögen des Vaters,,.durchgebracht und ist obendrein noch
Homöopath. — Unglück auf Unglück stürzt auf-das Haus. — Die Gräfin, zwischen
Liebe und Tugend kämpfend — sie liebt Savenap, ohne daß es der Verfasser nur
ein Mal gesteht — sucht eine Stütze an ihrem braven Doktor Herbeau. Hier
nun ist das Interesse des Romans. Alle ihre Anstrengungen in diesem Sinne wer«'
den von ihrem eigenen Gatten vernichtet. Sie giebt Herbeau ein Rendez-vous,
der Gatte kommt dazu und lacht, quält aber den Doktor zu Tode, sie schreibt ihm
selbst, er schickt den Brief zurück, endlich zwingt er den braven Doktor das Haus
zu verlassen und stellt die Sachen so, als verließe der Doktor selbst freiwillig seine
Clientin, so daß diese ihrem Gatten gar keinen Vorwurf zu machen hat. Am
Schlüsse wird der junge Herbeau Apothekerjunge und Savenap Arzt und Freund
des Hauses Riquemcnt. Der Mann hatte einen guten ärztlichen Takt. Nach ei¬
niger Zeit war die Gräfin vollkommen hergestellt--Man sieht, was Sandeau
andeutet, was er vermeiden will. Wenn auch oft die Details etwas weitläufig
sind, so ist dieser Roman doch sehr künstlich durchgeführt, besonders sind die Cha¬
raktere naturtreu und frisch aus dem Leben gegriffen. Die Moral darin wankt
halb rechts halb links, aber da einmal die Hauptsache nicht zu vermeiden ist, den«
so ist das Leben, so hat Sandeau alles gethan, um nicht in das Grelle zu fallen.
Merkwürdig! Liest man seine und die Romane Sands, so möchte,man ihn Ma-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/228>, abgerufen am 23.07.2024.