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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Briefe aus Paris
Von A, Wein,



Philartte Chasles hat seine nordischen Vorlesungen begonnen. Nach langen?
Schwitzen und hohlen Phrasen erklärte er, daß er über Shakspeare lesen würde.--
Er wird ihn, so sagte er, nach seinen Worten und nach seinem Leben erklären,
welches Letztere der große Dichter selbst durch seine Sonette mehr an den Tag
legte. Bei dieser Gelegenheit wird Chasles die Uebersetzung Schlegels beurtheilen
und zu Rathe ziehen. Chasles ging hier diplomatisch zu Werke. Er versteht näm¬
lich ein wenig englisch, da er unter der Restauration als Drucker/ungs nach London
wandern mußte. Deutsch versteht er blutwenig, und auch das Wenige nicht, Ich
spreche hier aus Erfahrung. Da aber die Minister noch weniger verstehen, so erhielt
er eine Profefforstclle für deutsche und englische Literatur, Er will also durch den
Schlegel den Shakspeare erklären/und durch Shakspeare Schlegel. Beide versteht er
nicht. Doch hat er Hoffnung, während d°s Unterrichts etwas daraus lernen. Rau¬
mer sagte, Preußen beruhe auf dein Wissen. Frankreich hingegen nimmt seine
Rache. Es bericht gänzlich auf dem Nichtwissen, und in dieser Hinsicht herrscht
hier eine wundervolle Einigkeit. Deswegen fehlt es hier nicht an großen Männern.
Wir haben" Thiers und Guizots in Menge. Sie können sich mit Recht Alexander
dem Großen und CMr vergleichen. Jene verstanden weder deutsch noch englisch,
noch böhmisch, noch russisch, sie auch nicht; jene aßen und tranken gern, sie auch;
jene wußten wenig Geographie, sie auch nicht; jene -- doch jetzt weiß ich nichts
mehr --Alexander der Große verstand wenigstens Griechisch -- und Cäsar Latein.

Kennen Sie den Herbecni von Sandeau? Sie wissen, daß die Sand ihren
Namen von Sandeau, ihrem ersten Lehrer, nahm. Der Schüler hat in Styl und
Conzeption den Meister überflügelt. Darob mag der Lehrer wohl ergrimmt
sein, und schon in seiner Marianna bekämpft er unwillkürlich ihre Prinzipien.
Die Emanzipation des Weibes mag ihm wohl nicht in jeder Hinsicht behagt haben,
denn die Sand sing damit an, sich von ihm zuerst zu emanzipiren. In seinem
Doktor, einem Sitten- und Genregemälde, liegt wohl wieder ein so verstecktes
Prinzip. Der Doktor ist ein Mann in den Fünfzigen vom alten Regime. Er


Briefe aus Paris
Von A, Wein,



Philartte Chasles hat seine nordischen Vorlesungen begonnen. Nach langen?
Schwitzen und hohlen Phrasen erklärte er, daß er über Shakspeare lesen würde.—
Er wird ihn, so sagte er, nach seinen Worten und nach seinem Leben erklären,
welches Letztere der große Dichter selbst durch seine Sonette mehr an den Tag
legte. Bei dieser Gelegenheit wird Chasles die Uebersetzung Schlegels beurtheilen
und zu Rathe ziehen. Chasles ging hier diplomatisch zu Werke. Er versteht näm¬
lich ein wenig englisch, da er unter der Restauration als Drucker/ungs nach London
wandern mußte. Deutsch versteht er blutwenig, und auch das Wenige nicht, Ich
spreche hier aus Erfahrung. Da aber die Minister noch weniger verstehen, so erhielt
er eine Profefforstclle für deutsche und englische Literatur, Er will also durch den
Schlegel den Shakspeare erklären/und durch Shakspeare Schlegel. Beide versteht er
nicht. Doch hat er Hoffnung, während d°s Unterrichts etwas daraus lernen. Rau¬
mer sagte, Preußen beruhe auf dein Wissen. Frankreich hingegen nimmt seine
Rache. Es bericht gänzlich auf dem Nichtwissen, und in dieser Hinsicht herrscht
hier eine wundervolle Einigkeit. Deswegen fehlt es hier nicht an großen Männern.
Wir haben« Thiers und Guizots in Menge. Sie können sich mit Recht Alexander
dem Großen und CMr vergleichen. Jene verstanden weder deutsch noch englisch,
noch böhmisch, noch russisch, sie auch nicht; jene aßen und tranken gern, sie auch;
jene wußten wenig Geographie, sie auch nicht; jene — doch jetzt weiß ich nichts
mehr —Alexander der Große verstand wenigstens Griechisch — und Cäsar Latein.

Kennen Sie den Herbecni von Sandeau? Sie wissen, daß die Sand ihren
Namen von Sandeau, ihrem ersten Lehrer, nahm. Der Schüler hat in Styl und
Conzeption den Meister überflügelt. Darob mag der Lehrer wohl ergrimmt
sein, und schon in seiner Marianna bekämpft er unwillkürlich ihre Prinzipien.
Die Emanzipation des Weibes mag ihm wohl nicht in jeder Hinsicht behagt haben,
denn die Sand sing damit an, sich von ihm zuerst zu emanzipiren. In seinem
Doktor, einem Sitten- und Genregemälde, liegt wohl wieder ein so verstecktes
Prinzip. Der Doktor ist ein Mann in den Fünfzigen vom alten Regime. Er


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[0227] Briefe aus Paris Von A, Wein, Philartte Chasles hat seine nordischen Vorlesungen begonnen. Nach langen? Schwitzen und hohlen Phrasen erklärte er, daß er über Shakspeare lesen würde.— Er wird ihn, so sagte er, nach seinen Worten und nach seinem Leben erklären, welches Letztere der große Dichter selbst durch seine Sonette mehr an den Tag legte. Bei dieser Gelegenheit wird Chasles die Uebersetzung Schlegels beurtheilen und zu Rathe ziehen. Chasles ging hier diplomatisch zu Werke. Er versteht näm¬ lich ein wenig englisch, da er unter der Restauration als Drucker/ungs nach London wandern mußte. Deutsch versteht er blutwenig, und auch das Wenige nicht, Ich spreche hier aus Erfahrung. Da aber die Minister noch weniger verstehen, so erhielt er eine Profefforstclle für deutsche und englische Literatur, Er will also durch den Schlegel den Shakspeare erklären/und durch Shakspeare Schlegel. Beide versteht er nicht. Doch hat er Hoffnung, während d°s Unterrichts etwas daraus lernen. Rau¬ mer sagte, Preußen beruhe auf dein Wissen. Frankreich hingegen nimmt seine Rache. Es bericht gänzlich auf dem Nichtwissen, und in dieser Hinsicht herrscht hier eine wundervolle Einigkeit. Deswegen fehlt es hier nicht an großen Männern. Wir haben« Thiers und Guizots in Menge. Sie können sich mit Recht Alexander dem Großen und CMr vergleichen. Jene verstanden weder deutsch noch englisch, noch böhmisch, noch russisch, sie auch nicht; jene aßen und tranken gern, sie auch; jene wußten wenig Geographie, sie auch nicht; jene — doch jetzt weiß ich nichts mehr —Alexander der Große verstand wenigstens Griechisch — und Cäsar Latein. Kennen Sie den Herbecni von Sandeau? Sie wissen, daß die Sand ihren Namen von Sandeau, ihrem ersten Lehrer, nahm. Der Schüler hat in Styl und Conzeption den Meister überflügelt. Darob mag der Lehrer wohl ergrimmt sein, und schon in seiner Marianna bekämpft er unwillkürlich ihre Prinzipien. Die Emanzipation des Weibes mag ihm wohl nicht in jeder Hinsicht behagt haben, denn die Sand sing damit an, sich von ihm zuerst zu emanzipiren. In seinem Doktor, einem Sitten- und Genregemälde, liegt wohl wieder ein so verstecktes Prinzip. Der Doktor ist ein Mann in den Fünfzigen vom alten Regime. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/227>, abgerufen am 22.07.2024.