Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

dame Sandeau und, sie Herr Sand heißen. Sein Talent ist zart, fein, durchsichtig
und voller Grazie, das ihrige kräftig, männlich, aufbrausend, drcinswlagend und
schnell vorrückend. Die zweite Natur im Menschen vergreift sich sichtbar oft in
dem Geschlecht.

Wenn hie und da aber auch eine Rose sich über Dornen in der Romcmlite-,
ratur zeigt, so ist die Thcatcrlitcratnr fast unter aller Critik. Eine neue kölnische
Oper, der Teufel in der Schule, ist ein wahres TeufelsgerröS von Robert, Frei"
Schuh, Zanipa ze. ein dummer Teufel, ein Schüler, und eben auch ein dummes
Stück. Im Odcon erwartet man zwei Dramen von Bedeutung, eines von Pvat,
das andere von Calman. Die viel besprochene Judith von Madame Girardin
wird nun bald im Theatre flau?als durchfallen. Ein Beweis der Mittelmäßigkeit
dieses Stücks ist die Patronage Hugo'S. Hugo unterstützt keinen Dichter, der be¬
deutendes Talent hat.--Die Reichel, die in literarischer Hinsicht eben noch Lcicr-
mädchcn ist, begünstigte er auch. Vielleicht erhält sie es eine Zeit lang. Neulich
trat sie als Chimime im Eid auf. Der Eid ist bekanntlich unter den Clnsfn'em
das romantischste Studium. Beständiger Kampf zwischen Liebe und Ehre, zwischen
Pflicht und Gefühl, dabei ritterlich und kühn. Trotz der Berühmtheit Corneille'S'
hätte ein Shakspeare diese herrlichen Situationen doch anders 'benutzt. 'Rachel, eine
VerstandcSkimstlerin, hat hierin wieder alle Voraussagungen getäuscht. Sie hat die
Stellen, worin berühmte Vorgängerinnen sich auszeichneten, ruhig vorüberfließen
lassen und hat sich wieder ihre eigenen gesucht, so daß ihre Auffassung ganz neu
scheint. Dies Verfahren ist sehr klug und berechnet.' Sie fällt nicht mit der Thüre
ins Haus, sondern hält immer' in ldeen geistigen Schritten die Hand vor, bis sie,
festen Boon faßt, um dann tüchtig aufzuhaben. Erst wenn sie diese Rolle einige
Male gegeben, haben wird, wird sie sich, heimisch finden und alle Minen spielen
lassen. Uebrigens halte sie diesmal noch einen anderen Zweck vor Augen. Bis'
letzt, sagte mau, habe sie sich nur groß ,in Wuth, Indignation, Verachtung, Stolz
und Würde gezeigt; Gefühl,, Weichlichkeit, Zärtlichkeit entginge ihr. Als Chimime
nun, sprang sie über jene Situationen,und klammerte sich an letztere, wie eine
Biene, an kein Rosenblatt. Die zackt nicht an, schreit nicht, sondern fliegt leicht
darauf hin, sitzt aber nicht weniger fest an und wiegt sich mit ihm oft über einem,
Abgrund, ohne die geringste Furcht zu haben. Rachel ist eine große Bühnenkünst¬
lerin, und Jules Janin, der sie mit Gewalt entfernen will, macht sich nur tacher-,
lich und zerbricht seine eigenen Waffen, deren Splitter ihn selbst verwunden. Seine,
Hiebe auf'Rachel prallen ab,, wie die der Juliccimpfenden auf Louis Philipp, den,
sie eben auch zum König machten. Nur fürchtet sie d>'r König noch, während Ra¬
chel Janin ins Gesicht lacht, waS in der That unausstehlich ist. Sie sollte ihn scho- ,
lien, besonders da, er verheirathet ist. , ,




dame Sandeau und, sie Herr Sand heißen. Sein Talent ist zart, fein, durchsichtig
und voller Grazie, das ihrige kräftig, männlich, aufbrausend, drcinswlagend und
schnell vorrückend. Die zweite Natur im Menschen vergreift sich sichtbar oft in
dem Geschlecht.

Wenn hie und da aber auch eine Rose sich über Dornen in der Romcmlite-,
ratur zeigt, so ist die Thcatcrlitcratnr fast unter aller Critik. Eine neue kölnische
Oper, der Teufel in der Schule, ist ein wahres TeufelsgerröS von Robert, Frei«
Schuh, Zanipa ze. ein dummer Teufel, ein Schüler, und eben auch ein dummes
Stück. Im Odcon erwartet man zwei Dramen von Bedeutung, eines von Pvat,
das andere von Calman. Die viel besprochene Judith von Madame Girardin
wird nun bald im Theatre flau?als durchfallen. Ein Beweis der Mittelmäßigkeit
dieses Stücks ist die Patronage Hugo'S. Hugo unterstützt keinen Dichter, der be¬
deutendes Talent hat.—Die Reichel, die in literarischer Hinsicht eben noch Lcicr-
mädchcn ist, begünstigte er auch. Vielleicht erhält sie es eine Zeit lang. Neulich
trat sie als Chimime im Eid auf. Der Eid ist bekanntlich unter den Clnsfn'em
das romantischste Studium. Beständiger Kampf zwischen Liebe und Ehre, zwischen
Pflicht und Gefühl, dabei ritterlich und kühn. Trotz der Berühmtheit Corneille'S'
hätte ein Shakspeare diese herrlichen Situationen doch anders 'benutzt. 'Rachel, eine
VerstandcSkimstlerin, hat hierin wieder alle Voraussagungen getäuscht. Sie hat die
Stellen, worin berühmte Vorgängerinnen sich auszeichneten, ruhig vorüberfließen
lassen und hat sich wieder ihre eigenen gesucht, so daß ihre Auffassung ganz neu
scheint. Dies Verfahren ist sehr klug und berechnet.' Sie fällt nicht mit der Thüre
ins Haus, sondern hält immer' in ldeen geistigen Schritten die Hand vor, bis sie,
festen Boon faßt, um dann tüchtig aufzuhaben. Erst wenn sie diese Rolle einige
Male gegeben, haben wird, wird sie sich, heimisch finden und alle Minen spielen
lassen. Uebrigens halte sie diesmal noch einen anderen Zweck vor Augen. Bis'
letzt, sagte mau, habe sie sich nur groß ,in Wuth, Indignation, Verachtung, Stolz
und Würde gezeigt; Gefühl,, Weichlichkeit, Zärtlichkeit entginge ihr. Als Chimime
nun, sprang sie über jene Situationen,und klammerte sich an letztere, wie eine
Biene, an kein Rosenblatt. Die zackt nicht an, schreit nicht, sondern fliegt leicht
darauf hin, sitzt aber nicht weniger fest an und wiegt sich mit ihm oft über einem,
Abgrund, ohne die geringste Furcht zu haben. Rachel ist eine große Bühnenkünst¬
lerin, und Jules Janin, der sie mit Gewalt entfernen will, macht sich nur tacher-,
lich und zerbricht seine eigenen Waffen, deren Splitter ihn selbst verwunden. Seine,
Hiebe auf'Rachel prallen ab,, wie die der Juliccimpfenden auf Louis Philipp, den,
sie eben auch zum König machten. Nur fürchtet sie d>'r König noch, während Ra¬
chel Janin ins Gesicht lacht, waS in der That unausstehlich ist. Sie sollte ihn scho- ,
lien, besonders da, er verheirathet ist. , ,




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267443"/>
          <p xml:id="ID_981" prev="#ID_980"> dame Sandeau und, sie Herr Sand heißen. Sein Talent ist zart, fein, durchsichtig<lb/>
und voller Grazie, das ihrige kräftig, männlich, aufbrausend, drcinswlagend und<lb/>
schnell vorrückend. Die zweite Natur im Menschen vergreift sich sichtbar oft in<lb/>
dem Geschlecht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982"> Wenn hie und da aber auch eine Rose sich über Dornen in der Romcmlite-,<lb/>
ratur zeigt, so ist die Thcatcrlitcratnr fast unter aller Critik. Eine neue kölnische<lb/>
Oper, der Teufel in der Schule, ist ein wahres TeufelsgerröS von Robert, Frei«<lb/>
Schuh, Zanipa ze. ein dummer Teufel, ein Schüler, und eben auch ein dummes<lb/>
Stück. Im Odcon erwartet man zwei Dramen von Bedeutung, eines von Pvat,<lb/>
das andere von Calman. Die viel besprochene Judith von Madame Girardin<lb/>
wird nun bald im Theatre flau?als durchfallen. Ein Beweis der Mittelmäßigkeit<lb/>
dieses Stücks ist die Patronage Hugo'S.  Hugo unterstützt keinen Dichter, der be¬<lb/>
deutendes Talent hat.&#x2014;Die Reichel, die in literarischer Hinsicht eben noch Lcicr-<lb/>
mädchcn ist, begünstigte er auch.  Vielleicht erhält sie es eine Zeit lang. Neulich<lb/>
trat sie als Chimime im Eid auf.  Der Eid ist bekanntlich unter den Clnsfn'em<lb/>
das romantischste Studium. Beständiger Kampf zwischen Liebe und Ehre, zwischen<lb/>
Pflicht und Gefühl, dabei ritterlich und kühn.  Trotz der Berühmtheit Corneille'S'<lb/>
hätte ein Shakspeare diese herrlichen Situationen doch anders 'benutzt. 'Rachel, eine<lb/>
VerstandcSkimstlerin, hat hierin wieder alle Voraussagungen getäuscht. Sie hat die<lb/>
Stellen, worin berühmte Vorgängerinnen sich auszeichneten, ruhig vorüberfließen<lb/>
lassen und hat sich wieder ihre eigenen gesucht, so daß ihre Auffassung ganz neu<lb/>
scheint. Dies Verfahren ist sehr klug und berechnet.' Sie fällt nicht mit der Thüre<lb/>
ins Haus, sondern hält immer' in ldeen geistigen Schritten die Hand vor, bis sie,<lb/>
festen Boon faßt, um dann tüchtig aufzuhaben.  Erst wenn sie diese Rolle einige<lb/>
Male gegeben, haben wird, wird sie sich, heimisch finden und alle Minen spielen<lb/>
lassen.  Uebrigens halte sie diesmal noch einen anderen Zweck vor Augen. Bis'<lb/>
letzt, sagte mau, habe sie sich nur groß ,in Wuth, Indignation, Verachtung, Stolz<lb/>
und Würde gezeigt; Gefühl,, Weichlichkeit, Zärtlichkeit entginge ihr. Als Chimime<lb/>
nun, sprang sie über jene Situationen,und klammerte sich an letztere, wie eine<lb/>
Biene, an kein Rosenblatt.  Die zackt nicht an, schreit nicht, sondern fliegt leicht<lb/>
darauf hin, sitzt aber nicht weniger fest an und wiegt sich mit ihm oft über einem,<lb/>
Abgrund, ohne die geringste Furcht zu haben.  Rachel ist eine große Bühnenkünst¬<lb/>
lerin, und Jules Janin, der sie mit Gewalt entfernen will, macht sich nur tacher-,<lb/>
lich und zerbricht seine eigenen Waffen, deren Splitter ihn selbst verwunden. Seine,<lb/>
Hiebe auf'Rachel prallen ab,, wie die der Juliccimpfenden auf Louis Philipp, den,<lb/>
sie eben auch zum König machten. Nur fürchtet sie d&gt;'r König noch, während Ra¬<lb/>
chel Janin ins Gesicht lacht, waS in der That unausstehlich ist. Sie sollte ihn scho- ,<lb/>
lien, besonders da, er verheirathet ist. , ,</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] dame Sandeau und, sie Herr Sand heißen. Sein Talent ist zart, fein, durchsichtig und voller Grazie, das ihrige kräftig, männlich, aufbrausend, drcinswlagend und schnell vorrückend. Die zweite Natur im Menschen vergreift sich sichtbar oft in dem Geschlecht. Wenn hie und da aber auch eine Rose sich über Dornen in der Romcmlite-, ratur zeigt, so ist die Thcatcrlitcratnr fast unter aller Critik. Eine neue kölnische Oper, der Teufel in der Schule, ist ein wahres TeufelsgerröS von Robert, Frei« Schuh, Zanipa ze. ein dummer Teufel, ein Schüler, und eben auch ein dummes Stück. Im Odcon erwartet man zwei Dramen von Bedeutung, eines von Pvat, das andere von Calman. Die viel besprochene Judith von Madame Girardin wird nun bald im Theatre flau?als durchfallen. Ein Beweis der Mittelmäßigkeit dieses Stücks ist die Patronage Hugo'S. Hugo unterstützt keinen Dichter, der be¬ deutendes Talent hat.—Die Reichel, die in literarischer Hinsicht eben noch Lcicr- mädchcn ist, begünstigte er auch. Vielleicht erhält sie es eine Zeit lang. Neulich trat sie als Chimime im Eid auf. Der Eid ist bekanntlich unter den Clnsfn'em das romantischste Studium. Beständiger Kampf zwischen Liebe und Ehre, zwischen Pflicht und Gefühl, dabei ritterlich und kühn. Trotz der Berühmtheit Corneille'S' hätte ein Shakspeare diese herrlichen Situationen doch anders 'benutzt. 'Rachel, eine VerstandcSkimstlerin, hat hierin wieder alle Voraussagungen getäuscht. Sie hat die Stellen, worin berühmte Vorgängerinnen sich auszeichneten, ruhig vorüberfließen lassen und hat sich wieder ihre eigenen gesucht, so daß ihre Auffassung ganz neu scheint. Dies Verfahren ist sehr klug und berechnet.' Sie fällt nicht mit der Thüre ins Haus, sondern hält immer' in ldeen geistigen Schritten die Hand vor, bis sie, festen Boon faßt, um dann tüchtig aufzuhaben. Erst wenn sie diese Rolle einige Male gegeben, haben wird, wird sie sich, heimisch finden und alle Minen spielen lassen. Uebrigens halte sie diesmal noch einen anderen Zweck vor Augen. Bis' letzt, sagte mau, habe sie sich nur groß ,in Wuth, Indignation, Verachtung, Stolz und Würde gezeigt; Gefühl,, Weichlichkeit, Zärtlichkeit entginge ihr. Als Chimime nun, sprang sie über jene Situationen,und klammerte sich an letztere, wie eine Biene, an kein Rosenblatt. Die zackt nicht an, schreit nicht, sondern fliegt leicht darauf hin, sitzt aber nicht weniger fest an und wiegt sich mit ihm oft über einem, Abgrund, ohne die geringste Furcht zu haben. Rachel ist eine große Bühnenkünst¬ lerin, und Jules Janin, der sie mit Gewalt entfernen will, macht sich nur tacher-, lich und zerbricht seine eigenen Waffen, deren Splitter ihn selbst verwunden. Seine, Hiebe auf'Rachel prallen ab,, wie die der Juliccimpfenden auf Louis Philipp, den, sie eben auch zum König machten. Nur fürchtet sie d>'r König noch, während Ra¬ chel Janin ins Gesicht lacht, waS in der That unausstehlich ist. Sie sollte ihn scho- , lien, besonders da, er verheirathet ist. , ,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/229>, abgerufen am 23.07.2024.