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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Unterschriften fehlen. ' Diese Sammlungen haben nämlich das Unglück
gehabt, einem Unterschriften-Sammler in die Hände zu fallen: einen
Brief nehmen, für einen solchen Diebstahl ist sein Gewissen nicht weit
genug; aber die Unterschrift nehmen, wenn man den Brief läßt, das ist
etwas so Unbedeutendes, daß man es sich leicht verzeiht.

Wir setzen natürlich voraus, daß, wenn wir von Sammlungen
reden, keiner unsrer Leser an künstlerische oder wissenschaftliche Samm¬
lungen denken wolle. Die Manie beginnt erst da, wo es sich von Ge¬
genständen handelt, denen mir die Laune oder Phantasie einen Werth
verleiht.. Derartig sind die Sammlungen von Spazierstöcken, von Ta¬
baksdosen, von Pfeifen, Waffen, Alterthümern u. f. w. Für diese letz¬
teren ist Brüssel das gelobte Land, denn es giebt vielleicht keinen Ort
auf Erden, wo es mehr sogenannte Curiositäten-Händler giebt, als
hier. In Italien fabricirt man sehr schöne Alterthümer, und ist dessen
so offen eingeständig, wie in Deutschland die Champagner-Fabriken; nun
glaube ich zwar nicht, daß man in Brüssel CurioMen fabricirt, aber
man muß dort irgendwo eine unerschöpfliche Fundgrube besitzen; denn
man begegnet ihnen auf jedem Schritt.

Die schönste Sammlung Spazierstöcke, die man seit langer Zeit kennt,
besaß bekanntlich Lafayette. Manbrauchtnicht erst zu erwähnen, daß er einen
von Voltaire's Spazierstöcken besaß; denn wer , auch nur drei Spazier-'
Stöcke besitzt, hat nothwendig einen von Voltaire darunter; es sind deren
seit dem Tode des berühmten Philosophen mehr als verkauft wor¬
den. Aber Lafayette besaß das Rohr Carls des Ersten, Königs von
England, dasjenige, welches er in der Hand hatte, als er von dem
Unterhause gerichtet.wurde.,. Dieses Rohr hatte keinen Knopf, und das
war für Lafayette ,der größte^ Beweis seiner Aechtheit, und zwar aus
folgendem Grunde: Als Carl den 20. Januar 1649 zum ersten Male
vor'dem vom Unterhause eingesetzten hohen Gerichtshöfe erschien, berührte
der König den General-Fiscal Coke mit seinem Stocke an der Schulter
und gebot ihm in dem Augenblicke, als er aufstand, um die Anklage zu
beginnen, Stillschweigen. Coke drehte sich erstaunt und zornig um, und
durch diese Bewegung fiel der Knopf des Stockes herunter. In den
Zügen des Königs zeigte sich eine rasch vorübergehende aber tiefe Krän¬
kung; keiner seiner Diener war in der Nähe, um den Knopf aufzuhe¬
ben; er war also genöthigt, sich selbst danach zu bücken, worauf er sich
ruhig wieder hinsetzte. So durste also Carls des Ersten Stock keinen
Knopf haben. Obendrein hatte derjenige, der in der Sammlung La-


Unterschriften fehlen. ' Diese Sammlungen haben nämlich das Unglück
gehabt, einem Unterschriften-Sammler in die Hände zu fallen: einen
Brief nehmen, für einen solchen Diebstahl ist sein Gewissen nicht weit
genug; aber die Unterschrift nehmen, wenn man den Brief läßt, das ist
etwas so Unbedeutendes, daß man es sich leicht verzeiht.

Wir setzen natürlich voraus, daß, wenn wir von Sammlungen
reden, keiner unsrer Leser an künstlerische oder wissenschaftliche Samm¬
lungen denken wolle. Die Manie beginnt erst da, wo es sich von Ge¬
genständen handelt, denen mir die Laune oder Phantasie einen Werth
verleiht.. Derartig sind die Sammlungen von Spazierstöcken, von Ta¬
baksdosen, von Pfeifen, Waffen, Alterthümern u. f. w. Für diese letz¬
teren ist Brüssel das gelobte Land, denn es giebt vielleicht keinen Ort
auf Erden, wo es mehr sogenannte Curiositäten-Händler giebt, als
hier. In Italien fabricirt man sehr schöne Alterthümer, und ist dessen
so offen eingeständig, wie in Deutschland die Champagner-Fabriken; nun
glaube ich zwar nicht, daß man in Brüssel CurioMen fabricirt, aber
man muß dort irgendwo eine unerschöpfliche Fundgrube besitzen; denn
man begegnet ihnen auf jedem Schritt.

Die schönste Sammlung Spazierstöcke, die man seit langer Zeit kennt,
besaß bekanntlich Lafayette. Manbrauchtnicht erst zu erwähnen, daß er einen
von Voltaire's Spazierstöcken besaß; denn wer , auch nur drei Spazier-'
Stöcke besitzt, hat nothwendig einen von Voltaire darunter; es sind deren
seit dem Tode des berühmten Philosophen mehr als verkauft wor¬
den. Aber Lafayette besaß das Rohr Carls des Ersten, Königs von
England, dasjenige, welches er in der Hand hatte, als er von dem
Unterhause gerichtet.wurde.,. Dieses Rohr hatte keinen Knopf, und das
war für Lafayette ,der größte^ Beweis seiner Aechtheit, und zwar aus
folgendem Grunde: Als Carl den 20. Januar 1649 zum ersten Male
vor'dem vom Unterhause eingesetzten hohen Gerichtshöfe erschien, berührte
der König den General-Fiscal Coke mit seinem Stocke an der Schulter
und gebot ihm in dem Augenblicke, als er aufstand, um die Anklage zu
beginnen, Stillschweigen. Coke drehte sich erstaunt und zornig um, und
durch diese Bewegung fiel der Knopf des Stockes herunter. In den
Zügen des Königs zeigte sich eine rasch vorübergehende aber tiefe Krän¬
kung; keiner seiner Diener war in der Nähe, um den Knopf aufzuhe¬
ben; er war also genöthigt, sich selbst danach zu bücken, worauf er sich
ruhig wieder hinsetzte. So durste also Carls des Ersten Stock keinen
Knopf haben. Obendrein hatte derjenige, der in der Sammlung La-


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[0210] Unterschriften fehlen. ' Diese Sammlungen haben nämlich das Unglück gehabt, einem Unterschriften-Sammler in die Hände zu fallen: einen Brief nehmen, für einen solchen Diebstahl ist sein Gewissen nicht weit genug; aber die Unterschrift nehmen, wenn man den Brief läßt, das ist etwas so Unbedeutendes, daß man es sich leicht verzeiht. Wir setzen natürlich voraus, daß, wenn wir von Sammlungen reden, keiner unsrer Leser an künstlerische oder wissenschaftliche Samm¬ lungen denken wolle. Die Manie beginnt erst da, wo es sich von Ge¬ genständen handelt, denen mir die Laune oder Phantasie einen Werth verleiht.. Derartig sind die Sammlungen von Spazierstöcken, von Ta¬ baksdosen, von Pfeifen, Waffen, Alterthümern u. f. w. Für diese letz¬ teren ist Brüssel das gelobte Land, denn es giebt vielleicht keinen Ort auf Erden, wo es mehr sogenannte Curiositäten-Händler giebt, als hier. In Italien fabricirt man sehr schöne Alterthümer, und ist dessen so offen eingeständig, wie in Deutschland die Champagner-Fabriken; nun glaube ich zwar nicht, daß man in Brüssel CurioMen fabricirt, aber man muß dort irgendwo eine unerschöpfliche Fundgrube besitzen; denn man begegnet ihnen auf jedem Schritt. Die schönste Sammlung Spazierstöcke, die man seit langer Zeit kennt, besaß bekanntlich Lafayette. Manbrauchtnicht erst zu erwähnen, daß er einen von Voltaire's Spazierstöcken besaß; denn wer , auch nur drei Spazier-' Stöcke besitzt, hat nothwendig einen von Voltaire darunter; es sind deren seit dem Tode des berühmten Philosophen mehr als verkauft wor¬ den. Aber Lafayette besaß das Rohr Carls des Ersten, Königs von England, dasjenige, welches er in der Hand hatte, als er von dem Unterhause gerichtet.wurde.,. Dieses Rohr hatte keinen Knopf, und das war für Lafayette ,der größte^ Beweis seiner Aechtheit, und zwar aus folgendem Grunde: Als Carl den 20. Januar 1649 zum ersten Male vor'dem vom Unterhause eingesetzten hohen Gerichtshöfe erschien, berührte der König den General-Fiscal Coke mit seinem Stocke an der Schulter und gebot ihm in dem Augenblicke, als er aufstand, um die Anklage zu beginnen, Stillschweigen. Coke drehte sich erstaunt und zornig um, und durch diese Bewegung fiel der Knopf des Stockes herunter. In den Zügen des Königs zeigte sich eine rasch vorübergehende aber tiefe Krän¬ kung; keiner seiner Diener war in der Nähe, um den Knopf aufzuhe¬ ben; er war also genöthigt, sich selbst danach zu bücken, worauf er sich ruhig wieder hinsetzte. So durste also Carls des Ersten Stock keinen Knopf haben. Obendrein hatte derjenige, der in der Sammlung La-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/210>, abgerufen am 25.08.2024.