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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Melanchton war bekanntlich viel gelehrter und humanistisch.gebilde¬
ter als Luther; auch war sein Gemüth sanfter, und sein Charakter we¬
niger Hart und schneidend. Das Zusammenwirken dieser Beiden
mochte vorzüglich das Resultat errungen haben, daß in jener Bibelüber¬
setzung der Mittelweg wirklich gefunden worden ist/ Die Folgen blie¬
ben'nicht aus; alle jene norddeutschen Völkerschaften, die bisher von der
Literatur ausgeschlossen waren, weil ihnen der Ausdruck fehlte, die Mar¬
ker, die Schlesier ze., die stürzten jetzt herein. Die Sprache wurde umge¬
ackert/umgewühlt > und in ganz neue Felder eingetheilt. Eine ganze
Reihe ^ von Schriftstellern beginnt auf dem neuen Tummelplatz sich her¬
umzutreiben, und alle sind sie norddeutschen Ursprungs. Die Poesie im
Süden verstummt allmählig, der schwäbische Ausdruck verschwindet aus
Wort und Schrift, und sinkt endlich zum Patoich zum Provinzialdialekt
herab. Und als Schiller und Göthe endlich erstehen, so finden sie, wie
Corneille und Racine nichts mehr von der alten poetischen Sprache des
Südens vor, und befestigen durch ihr Genie die nun einmal eingeführte
Ausdrucksweise nur noch mehr in ihrer Herrschaft. -




, Die Aehnlichkeit zwischen dem Gange , der französischen und deutschen
Sprache liegt somit klar vor Augen, dort wie hier war der südliche
Ausdruck zuerst auf dem Throne. Dort wie hier ist er von der Mund-'
art des Nordens verdrängt worden, und sonderbar genug, dort wie
hier war es ein Religionsstreit, welcher den Umsturz herbeigeführt,
dort die' Albigenser,' hier die Reformation. ' "' - ''

Noch eine ganze Reihe von Aehnlichkeiten wäre hervorzuheben:
zwischen Ronsard und Oviz,- zwischen Malherbes und- Gottsched, zwischen
Diderot und Lessing -"- doch ich darf nur flüchtig skizzirem-
'

Eine Beziehung jedochmuß ich noch hervorheben, denn sie betrifft
Belgien. -- > - - - , ' ! ',' - '", ' '

Das heutige Hochdeutsche, welches die allgemeine Schrift- und Li-
terätursprache ist, hat seinen Ursprung in der sächsischen Mundart, von
welcher das niedersächsische, das Flamändische ein naher Verwandte ist. Das
Mmändische/'welches wir in Belgien sprechen hören, unterscheidet sich von
dem Hochdeutschen darin, daß es da stehn geblieben ist, wo es vor Jahrhun¬
derten stand/ und wo ihm das Schwert Alba's die Füße' abgehauen hat.
Die deutsche Sprache ist indessen mit rüstigen Gliedern vorwärts geschrit¬
ten, bis sie die Höhe erreicht hat, auf welcher sie heute steht, während


Melanchton war bekanntlich viel gelehrter und humanistisch.gebilde¬
ter als Luther; auch war sein Gemüth sanfter, und sein Charakter we¬
niger Hart und schneidend. Das Zusammenwirken dieser Beiden
mochte vorzüglich das Resultat errungen haben, daß in jener Bibelüber¬
setzung der Mittelweg wirklich gefunden worden ist/ Die Folgen blie¬
ben'nicht aus; alle jene norddeutschen Völkerschaften, die bisher von der
Literatur ausgeschlossen waren, weil ihnen der Ausdruck fehlte, die Mar¬
ker, die Schlesier ze., die stürzten jetzt herein. Die Sprache wurde umge¬
ackert/umgewühlt > und in ganz neue Felder eingetheilt. Eine ganze
Reihe ^ von Schriftstellern beginnt auf dem neuen Tummelplatz sich her¬
umzutreiben, und alle sind sie norddeutschen Ursprungs. Die Poesie im
Süden verstummt allmählig, der schwäbische Ausdruck verschwindet aus
Wort und Schrift, und sinkt endlich zum Patoich zum Provinzialdialekt
herab. Und als Schiller und Göthe endlich erstehen, so finden sie, wie
Corneille und Racine nichts mehr von der alten poetischen Sprache des
Südens vor, und befestigen durch ihr Genie die nun einmal eingeführte
Ausdrucksweise nur noch mehr in ihrer Herrschaft. -




, Die Aehnlichkeit zwischen dem Gange , der französischen und deutschen
Sprache liegt somit klar vor Augen, dort wie hier war der südliche
Ausdruck zuerst auf dem Throne. Dort wie hier ist er von der Mund-'
art des Nordens verdrängt worden, und sonderbar genug, dort wie
hier war es ein Religionsstreit, welcher den Umsturz herbeigeführt,
dort die' Albigenser,' hier die Reformation. ' "' - ''

Noch eine ganze Reihe von Aehnlichkeiten wäre hervorzuheben:
zwischen Ronsard und Oviz,- zwischen Malherbes und- Gottsched, zwischen
Diderot und Lessing -"- doch ich darf nur flüchtig skizzirem-
'

Eine Beziehung jedochmuß ich noch hervorheben, denn sie betrifft
Belgien. — > - - - , ' ! ',' - '", ' '

Das heutige Hochdeutsche, welches die allgemeine Schrift- und Li-
terätursprache ist, hat seinen Ursprung in der sächsischen Mundart, von
welcher das niedersächsische, das Flamändische ein naher Verwandte ist. Das
Mmändische/'welches wir in Belgien sprechen hören, unterscheidet sich von
dem Hochdeutschen darin, daß es da stehn geblieben ist, wo es vor Jahrhun¬
derten stand/ und wo ihm das Schwert Alba's die Füße' abgehauen hat.
Die deutsche Sprache ist indessen mit rüstigen Gliedern vorwärts geschrit¬
ten, bis sie die Höhe erreicht hat, auf welcher sie heute steht, während


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[0020] Melanchton war bekanntlich viel gelehrter und humanistisch.gebilde¬ ter als Luther; auch war sein Gemüth sanfter, und sein Charakter we¬ niger Hart und schneidend. Das Zusammenwirken dieser Beiden mochte vorzüglich das Resultat errungen haben, daß in jener Bibelüber¬ setzung der Mittelweg wirklich gefunden worden ist/ Die Folgen blie¬ ben'nicht aus; alle jene norddeutschen Völkerschaften, die bisher von der Literatur ausgeschlossen waren, weil ihnen der Ausdruck fehlte, die Mar¬ ker, die Schlesier ze., die stürzten jetzt herein. Die Sprache wurde umge¬ ackert/umgewühlt > und in ganz neue Felder eingetheilt. Eine ganze Reihe ^ von Schriftstellern beginnt auf dem neuen Tummelplatz sich her¬ umzutreiben, und alle sind sie norddeutschen Ursprungs. Die Poesie im Süden verstummt allmählig, der schwäbische Ausdruck verschwindet aus Wort und Schrift, und sinkt endlich zum Patoich zum Provinzialdialekt herab. Und als Schiller und Göthe endlich erstehen, so finden sie, wie Corneille und Racine nichts mehr von der alten poetischen Sprache des Südens vor, und befestigen durch ihr Genie die nun einmal eingeführte Ausdrucksweise nur noch mehr in ihrer Herrschaft. - , Die Aehnlichkeit zwischen dem Gange , der französischen und deutschen Sprache liegt somit klar vor Augen, dort wie hier war der südliche Ausdruck zuerst auf dem Throne. Dort wie hier ist er von der Mund-' art des Nordens verdrängt worden, und sonderbar genug, dort wie hier war es ein Religionsstreit, welcher den Umsturz herbeigeführt, dort die' Albigenser,' hier die Reformation. ' "' - '' Noch eine ganze Reihe von Aehnlichkeiten wäre hervorzuheben: zwischen Ronsard und Oviz,- zwischen Malherbes und- Gottsched, zwischen Diderot und Lessing -"- doch ich darf nur flüchtig skizzirem- ' Eine Beziehung jedochmuß ich noch hervorheben, denn sie betrifft Belgien. — > - - - , ' ! ',' - '", ' ' Das heutige Hochdeutsche, welches die allgemeine Schrift- und Li- terätursprache ist, hat seinen Ursprung in der sächsischen Mundart, von welcher das niedersächsische, das Flamändische ein naher Verwandte ist. Das Mmändische/'welches wir in Belgien sprechen hören, unterscheidet sich von dem Hochdeutschen darin, daß es da stehn geblieben ist, wo es vor Jahrhun¬ derten stand/ und wo ihm das Schwert Alba's die Füße' abgehauen hat. Die deutsche Sprache ist indessen mit rüstigen Gliedern vorwärts geschrit¬ ten, bis sie die Höhe erreicht hat, auf welcher sie heute steht, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/20>, abgerufen am 04.07.2024.