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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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deutsche Norden durch seinen allerberühmtesten Führer erobert, durch
Martin Lücher.

Es ist leicht zu erachten, daß die schwäbische Mundart, so lange sie -
als Schriftsprache die Oberhand hatte, den Norddeutschen/ welche diesen
Dialekt nicht kannten, ihre Gesetze gewissermaßen gewaltthätig aufdrang.
Die Norddeutschen suchten sich dieser Last so weit als möglich zu ent¬
ziehen, und flickten eine ganze Reihe nordischer Worte in die süddeutsche
Schreibart ein. Diese waren natürlicherweise wieder für-die Süddeutschen
unverständlich und so entstand zwischen Sprache und Schrift eine im¬
mer weiter auseinanderklaffende Spaltung. -- Mit der Bibelübersetzung,
welche Luther herausgab, tritt eine neue Zeitrechnung in unsre Sprache
ein. Man muß keineswegs glauben , daß Luther der erste war, der sich
an das große Werk wagte. Man hatte zwar schon früher vielfach sich
bemüht, die heilige Schrift zu übersetzen, allein der süddeutsche Dia¬
lekt für die Erzeugnisse der Poesie so günstig, war sehr ungeschickt
für den Ausdruck der Prosa. Die Bibel blieb daher dem Laien mit
Recht entzogen. Luther in Eisleben geboren, bediente sich nun plötz¬
lich der norddeutschen Ausdrucksweise, und erhielt dadurch vors ' Erste
die eine Hälfte Deutschlands zu Lesern, die auch später als seine heißesten
Anhänger sich gezeigt. Die heilige Schrift/ die jetzt zum Kampfplatze der
Meinungen wurde, ging plötzlich in Millionen Hände über. Je heftiger
der Streit wurde? um desto heWungeviger fiel man darüber her> Re¬
ligiosität, Neugierde und Disputirsucht brachten das ehrwürdige Buch
in die niedrigste Hütte, jeder glaubte sich selbst Einsicht zu perschaffen,
sich selbst zu überzeugen,' selbst das südliche 'Deutschland griff danach.
Man las und las, und was man in dem fremden Dialekte nicht
verstehen konnte/ das suchte man zu errathen und zu ergrübeln. Auf
diese Weise erlangte die norddeutsche Ausdrucksweise in kürzester Zeit
eine unverhnltnißmäßige Ausbreitung; die geistlichen Herren, welche die
römischen Satzungen gegen Luther verfochten/ waren genöthigt, sich
seiner Sprache zu bedienen, und förderten so unwillkührlich seine Sache.
Andererseits durchschaute Luther wohl, welch eine bedeutende Waffe die
Bibelübersetzung für ihn geworden/ seine Bemühung ging somit auch vor¬
züglich dahin/ sich im Ausdruck nichtallzuweit vom Mittelwege, der,
beiden Mundarten zu entfernen. In diesem, Unternehmen, wurde ,er
vorzüglich durch den Umstand gefördert, daß sein Gefährte und Mitqr-
Wer'MelKnchton.ein Mddeutscher war.


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deutsche Norden durch seinen allerberühmtesten Führer erobert, durch
Martin Lücher.

Es ist leicht zu erachten, daß die schwäbische Mundart, so lange sie -
als Schriftsprache die Oberhand hatte, den Norddeutschen/ welche diesen
Dialekt nicht kannten, ihre Gesetze gewissermaßen gewaltthätig aufdrang.
Die Norddeutschen suchten sich dieser Last so weit als möglich zu ent¬
ziehen, und flickten eine ganze Reihe nordischer Worte in die süddeutsche
Schreibart ein. Diese waren natürlicherweise wieder für-die Süddeutschen
unverständlich und so entstand zwischen Sprache und Schrift eine im¬
mer weiter auseinanderklaffende Spaltung. — Mit der Bibelübersetzung,
welche Luther herausgab, tritt eine neue Zeitrechnung in unsre Sprache
ein. Man muß keineswegs glauben , daß Luther der erste war, der sich
an das große Werk wagte. Man hatte zwar schon früher vielfach sich
bemüht, die heilige Schrift zu übersetzen, allein der süddeutsche Dia¬
lekt für die Erzeugnisse der Poesie so günstig, war sehr ungeschickt
für den Ausdruck der Prosa. Die Bibel blieb daher dem Laien mit
Recht entzogen. Luther in Eisleben geboren, bediente sich nun plötz¬
lich der norddeutschen Ausdrucksweise, und erhielt dadurch vors ' Erste
die eine Hälfte Deutschlands zu Lesern, die auch später als seine heißesten
Anhänger sich gezeigt. Die heilige Schrift/ die jetzt zum Kampfplatze der
Meinungen wurde, ging plötzlich in Millionen Hände über. Je heftiger
der Streit wurde? um desto heWungeviger fiel man darüber her> Re¬
ligiosität, Neugierde und Disputirsucht brachten das ehrwürdige Buch
in die niedrigste Hütte, jeder glaubte sich selbst Einsicht zu perschaffen,
sich selbst zu überzeugen,' selbst das südliche 'Deutschland griff danach.
Man las und las, und was man in dem fremden Dialekte nicht
verstehen konnte/ das suchte man zu errathen und zu ergrübeln. Auf
diese Weise erlangte die norddeutsche Ausdrucksweise in kürzester Zeit
eine unverhnltnißmäßige Ausbreitung; die geistlichen Herren, welche die
römischen Satzungen gegen Luther verfochten/ waren genöthigt, sich
seiner Sprache zu bedienen, und förderten so unwillkührlich seine Sache.
Andererseits durchschaute Luther wohl, welch eine bedeutende Waffe die
Bibelübersetzung für ihn geworden/ seine Bemühung ging somit auch vor¬
züglich dahin/ sich im Ausdruck nichtallzuweit vom Mittelwege, der,
beiden Mundarten zu entfernen. In diesem, Unternehmen, wurde ,er
vorzüglich durch den Umstand gefördert, daß sein Gefährte und Mitqr-
Wer'MelKnchton.ein Mddeutscher war.


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[0019] deutsche Norden durch seinen allerberühmtesten Führer erobert, durch Martin Lücher. Es ist leicht zu erachten, daß die schwäbische Mundart, so lange sie - als Schriftsprache die Oberhand hatte, den Norddeutschen/ welche diesen Dialekt nicht kannten, ihre Gesetze gewissermaßen gewaltthätig aufdrang. Die Norddeutschen suchten sich dieser Last so weit als möglich zu ent¬ ziehen, und flickten eine ganze Reihe nordischer Worte in die süddeutsche Schreibart ein. Diese waren natürlicherweise wieder für-die Süddeutschen unverständlich und so entstand zwischen Sprache und Schrift eine im¬ mer weiter auseinanderklaffende Spaltung. — Mit der Bibelübersetzung, welche Luther herausgab, tritt eine neue Zeitrechnung in unsre Sprache ein. Man muß keineswegs glauben , daß Luther der erste war, der sich an das große Werk wagte. Man hatte zwar schon früher vielfach sich bemüht, die heilige Schrift zu übersetzen, allein der süddeutsche Dia¬ lekt für die Erzeugnisse der Poesie so günstig, war sehr ungeschickt für den Ausdruck der Prosa. Die Bibel blieb daher dem Laien mit Recht entzogen. Luther in Eisleben geboren, bediente sich nun plötz¬ lich der norddeutschen Ausdrucksweise, und erhielt dadurch vors ' Erste die eine Hälfte Deutschlands zu Lesern, die auch später als seine heißesten Anhänger sich gezeigt. Die heilige Schrift/ die jetzt zum Kampfplatze der Meinungen wurde, ging plötzlich in Millionen Hände über. Je heftiger der Streit wurde? um desto heWungeviger fiel man darüber her> Re¬ ligiosität, Neugierde und Disputirsucht brachten das ehrwürdige Buch in die niedrigste Hütte, jeder glaubte sich selbst Einsicht zu perschaffen, sich selbst zu überzeugen,' selbst das südliche 'Deutschland griff danach. Man las und las, und was man in dem fremden Dialekte nicht verstehen konnte/ das suchte man zu errathen und zu ergrübeln. Auf diese Weise erlangte die norddeutsche Ausdrucksweise in kürzester Zeit eine unverhnltnißmäßige Ausbreitung; die geistlichen Herren, welche die römischen Satzungen gegen Luther verfochten/ waren genöthigt, sich seiner Sprache zu bedienen, und förderten so unwillkührlich seine Sache. Andererseits durchschaute Luther wohl, welch eine bedeutende Waffe die Bibelübersetzung für ihn geworden/ seine Bemühung ging somit auch vor¬ züglich dahin/ sich im Ausdruck nichtallzuweit vom Mittelwege, der, beiden Mundarten zu entfernen. In diesem, Unternehmen, wurde ,er vorzüglich durch den Umstand gefördert, daß sein Gefährte und Mitqr- Wer'MelKnchton.ein Mddeutscher war. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/19>, abgerufen am 04.07.2024.