Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.Diejenigen unter Ihnen, meine freundlichen Hörer, welche die Pracht Die Hauptsache aber ist folgende. Die heutige deutsche Schriftsprache Diejenigen unter Ihnen, meine freundlichen Hörer, welche die Pracht Die Hauptsache aber ist folgende. Die heutige deutsche Schriftsprache <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267232"/> <p xml:id="ID_40"> Diejenigen unter Ihnen, meine freundlichen Hörer, welche die Pracht<lb/> des südlichen Deutschlands mit eigenen Augen gesehen haben, die wer¬<lb/> den es begreifen, wie diese von dem Hauche Gottes geschwellten Gegen¬<lb/> den die Heimach so vieler Dichter und Dichtungen geworden sind. In<lb/> diesen gesegneten, von Reben, Saaten und Waldungen bekränzten Ge¬<lb/> genden, durch welche der grüne Rhein, der gelbe Main und die<lb/> blaue Donau, wie lebensverbreitende Pulsadern sich schlängeln, wo em<lb/> treuer biederherziger Volksstamm in glücklicher Einfachheit die Hütten,<lb/> Häuser und Landstraßen füllt, dort, lebt für den Dichter eine Welt von<lb/> immer neuen Anregungen. Der deutsche Süden war es, der Schiller<lb/> und Göthe, Schelling und Hegel, Gluck und Mozart uns gegeben, und<lb/> derselbe Süden war es auch, der die ältesten Wurzeln unserer Poesie<lb/> erzeugte. Da wo der neuere poetische Messias der Deutschen in dein<lb/> Don Carlos und Wilhelm Meister aufgestiegen, in desnclben gelobten<lb/> Landen hatte die deutsche Poesie schon vor sechshundert Jahren ihre<lb/> Offenbarung erhalten dnrch die Propheten Heinrich von Ofterdingen,<lb/> Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach. Und soll ich<lb/> den Unterschied zwischen jener altdeutschen Poesie und unsrer jetzigen ange¬<lb/> ben, so möchte ich sagen: Jene altdeutschen Dichtungen, unter welchen<lb/> das Nibelungenlied das berühmteste bleibt, verhalten sich zu unsren jetzigen<lb/> vhngefcihr wie das alte Testament zu deur neuen. Unsere neuere Poesie<lb/> ist eine unendliche Erweiterung der früheren ; aber jene ist immerhin<lb/> "ihre Grundlage. Unsere neuere Poesie ist coömopolitischer, allgemeiner,<lb/> auf einen freieren Standpunkt sich stellend, während die altdeutsche Poe¬<lb/> sie nur mit ihrem eigenen Volke sich beschäftigte. Die neuere Poesie der<lb/> Deutschen ist eine Weltpoesie; die altdeutsche ist eine Volkspoesie.</p><lb/> <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Die Hauptsache aber ist folgende. Die heutige deutsche Schriftsprache<lb/> ist bedeutend verschieden von der Sprache, welche sich im Munde des Vol¬<lb/> kes befindet. Als Malherbe dem Französischen seine heutige Gestalt gab,<lb/> da war es die Pariser Mundart, welche er ihr zur Grundlage machte.<lb/> — ,/Die Pariser Sprache ist Muster für ganz Frankreich!" lautete das Ge¬<lb/> setz.— Anders ist es in Deutschland. Der Fremde, der uns fragt: In<lb/> welcher Gegend spricht man denn die Sprache, die man in Euren Bü¬<lb/> chern findet? dem können wir nicht genügend antworten. Weder in Berlin,<lb/> - noch in Wien, noch in Hamburg, also in den drei Hauptstädten Deutsch¬<lb/> lands, ist sie die Volkssprache. Das was wir Hochdeutsch nennen, hat<lb/> bei uns keinen bestimmten Sitz und Boden. Der Poet, das Buch, die<lb/> Bühne haben einen ganz andern Ausdruck als der Bürger. In jenen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Diejenigen unter Ihnen, meine freundlichen Hörer, welche die Pracht
des südlichen Deutschlands mit eigenen Augen gesehen haben, die wer¬
den es begreifen, wie diese von dem Hauche Gottes geschwellten Gegen¬
den die Heimach so vieler Dichter und Dichtungen geworden sind. In
diesen gesegneten, von Reben, Saaten und Waldungen bekränzten Ge¬
genden, durch welche der grüne Rhein, der gelbe Main und die
blaue Donau, wie lebensverbreitende Pulsadern sich schlängeln, wo em
treuer biederherziger Volksstamm in glücklicher Einfachheit die Hütten,
Häuser und Landstraßen füllt, dort, lebt für den Dichter eine Welt von
immer neuen Anregungen. Der deutsche Süden war es, der Schiller
und Göthe, Schelling und Hegel, Gluck und Mozart uns gegeben, und
derselbe Süden war es auch, der die ältesten Wurzeln unserer Poesie
erzeugte. Da wo der neuere poetische Messias der Deutschen in dein
Don Carlos und Wilhelm Meister aufgestiegen, in desnclben gelobten
Landen hatte die deutsche Poesie schon vor sechshundert Jahren ihre
Offenbarung erhalten dnrch die Propheten Heinrich von Ofterdingen,
Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach. Und soll ich
den Unterschied zwischen jener altdeutschen Poesie und unsrer jetzigen ange¬
ben, so möchte ich sagen: Jene altdeutschen Dichtungen, unter welchen
das Nibelungenlied das berühmteste bleibt, verhalten sich zu unsren jetzigen
vhngefcihr wie das alte Testament zu deur neuen. Unsere neuere Poesie
ist eine unendliche Erweiterung der früheren ; aber jene ist immerhin
"ihre Grundlage. Unsere neuere Poesie ist coömopolitischer, allgemeiner,
auf einen freieren Standpunkt sich stellend, während die altdeutsche Poe¬
sie nur mit ihrem eigenen Volke sich beschäftigte. Die neuere Poesie der
Deutschen ist eine Weltpoesie; die altdeutsche ist eine Volkspoesie.
Die Hauptsache aber ist folgende. Die heutige deutsche Schriftsprache
ist bedeutend verschieden von der Sprache, welche sich im Munde des Vol¬
kes befindet. Als Malherbe dem Französischen seine heutige Gestalt gab,
da war es die Pariser Mundart, welche er ihr zur Grundlage machte.
— ,/Die Pariser Sprache ist Muster für ganz Frankreich!" lautete das Ge¬
setz.— Anders ist es in Deutschland. Der Fremde, der uns fragt: In
welcher Gegend spricht man denn die Sprache, die man in Euren Bü¬
chern findet? dem können wir nicht genügend antworten. Weder in Berlin,
- noch in Wien, noch in Hamburg, also in den drei Hauptstädten Deutsch¬
lands, ist sie die Volkssprache. Das was wir Hochdeutsch nennen, hat
bei uns keinen bestimmten Sitz und Boden. Der Poet, das Buch, die
Bühne haben einen ganz andern Ausdruck als der Bürger. In jenen
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