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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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wie jene einen Theil von Frankreich, es hat nie dessen Gesetzgebung
zu der seinigen gemacht oder auch nur ein Gelüste verspürt, sie da¬
zu machen zu wollen; seine Geschichte, seine Institutionen, sein Na¬
tionalleben, überragen die russischen, wie die Altgriechenlands die
des neuen Griechenlands überragen. Sein materielles Leben, seine
Industrie, sein Handel hat keine Berührung mit den fernen Sprach--
verwandten, und mit Recht kann man den Ausspruch des Grasen
Thun wiederholen: "die Nussensurcht ist ein Gespenst, nur eine über¬
reizte Einbildungskraft und leichtgläubige Kindernaturen können da¬
vor zurückschrecken."

Es ist ein schlechter Dienst, welchen die Zuflüsterer der östrei¬
chischen Regierung erweisen, indem sie ihr Mißtrauen gegen die
slavische Literaturbewegung in Böhmen stacheln; es kann nur dazu
beitragen, Oestreich in eine Reihe von Verlegenheiten zu stürzen.
Ich bin kein Slave, kenne den Werth der böhmischen Literatur nicht
und habe keine innere Veranlassung, ihr das Wort zu reden; aber
wo der Nationalgeist erwacht ist, da hat er ein Recht zu seiner
Existenz. Eine weise Negierung muß ihn zu leiten wissen, ihn un¬
terdrücken ist ungerecht und unklug. Man lasse dem Strom seinen
vollen breiten Lauf und er wird ruhig in seinem Bette bleiben. Legt
man ihm Hindernisse in den Weg, sucht man ihn einzudämmen, so
wird er sich entweder überstürzen oder sich aus Nebenwegen Bahn
machen und dort hervorbrechen, wo sein Erscheinen am gefährlichsten
ist. Es ist in letzter Zeit vielfach von einer Versetzung des Oberst¬
burggrafen von Cholet die Rede gewesen, und aus den widerspre¬
chenden Nachrichten einiger halbofficiellen Journale konnte auch der
Uneingeweihte ersehen, daß man in Wien hinsichtlich dieses Staats¬
mannes schwankende Ansichten habe. Einige Mißverständnisse, die
zwischen demselben und dem hiesigen Adel eingetreten sind, haben
hieran weniger Schuld als der Vorwurf, daß er die neue Czechi-
sche Bewegung eine so entschiede:" Entwicklung gewinnen ließ.
Dieser Vorwurf findet aber, so viel ich in Wien mich darüb.er un-
terrrichten ließ, dort viele Gegner, und gerade derjenige Staatsmann,
auf dessen Urtheil das meiste Gewicht gelegt wird, soll der Ansicht
des böhmischen Landesgouverneurs durchaus nicht entgegen sein.
Ich habe bereits in den wenigen Tagen, die ich hier lebe, häufig


wie jene einen Theil von Frankreich, es hat nie dessen Gesetzgebung
zu der seinigen gemacht oder auch nur ein Gelüste verspürt, sie da¬
zu machen zu wollen; seine Geschichte, seine Institutionen, sein Na¬
tionalleben, überragen die russischen, wie die Altgriechenlands die
des neuen Griechenlands überragen. Sein materielles Leben, seine
Industrie, sein Handel hat keine Berührung mit den fernen Sprach--
verwandten, und mit Recht kann man den Ausspruch des Grasen
Thun wiederholen: „die Nussensurcht ist ein Gespenst, nur eine über¬
reizte Einbildungskraft und leichtgläubige Kindernaturen können da¬
vor zurückschrecken."

Es ist ein schlechter Dienst, welchen die Zuflüsterer der östrei¬
chischen Regierung erweisen, indem sie ihr Mißtrauen gegen die
slavische Literaturbewegung in Böhmen stacheln; es kann nur dazu
beitragen, Oestreich in eine Reihe von Verlegenheiten zu stürzen.
Ich bin kein Slave, kenne den Werth der böhmischen Literatur nicht
und habe keine innere Veranlassung, ihr das Wort zu reden; aber
wo der Nationalgeist erwacht ist, da hat er ein Recht zu seiner
Existenz. Eine weise Negierung muß ihn zu leiten wissen, ihn un¬
terdrücken ist ungerecht und unklug. Man lasse dem Strom seinen
vollen breiten Lauf und er wird ruhig in seinem Bette bleiben. Legt
man ihm Hindernisse in den Weg, sucht man ihn einzudämmen, so
wird er sich entweder überstürzen oder sich aus Nebenwegen Bahn
machen und dort hervorbrechen, wo sein Erscheinen am gefährlichsten
ist. Es ist in letzter Zeit vielfach von einer Versetzung des Oberst¬
burggrafen von Cholet die Rede gewesen, und aus den widerspre¬
chenden Nachrichten einiger halbofficiellen Journale konnte auch der
Uneingeweihte ersehen, daß man in Wien hinsichtlich dieses Staats¬
mannes schwankende Ansichten habe. Einige Mißverständnisse, die
zwischen demselben und dem hiesigen Adel eingetreten sind, haben
hieran weniger Schuld als der Vorwurf, daß er die neue Czechi-
sche Bewegung eine so entschiede:» Entwicklung gewinnen ließ.
Dieser Vorwurf findet aber, so viel ich in Wien mich darüb.er un-
terrrichten ließ, dort viele Gegner, und gerade derjenige Staatsmann,
auf dessen Urtheil das meiste Gewicht gelegt wird, soll der Ansicht
des böhmischen Landesgouverneurs durchaus nicht entgegen sein.
Ich habe bereits in den wenigen Tagen, die ich hier lebe, häufig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/86>, abgerufen am 23.07.2024.