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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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wenn auch Stammverwandte den Zwischenraum zum Theil bevöl¬
kern. Hierdurch sind die Slaven über Länder verbreitet, die durch
ihre ungeheure Ausdehnung die verschiedensten, zum Theil wider¬
sprechendsten materiellen Interessen erzeugen. Zwischen sie hinein ha¬
ben sich andere Völker gelagert, und selbst die Gebiete, welche sie
bewohnen, haben sie nicht im ausschließlichen Besitze. Der hier¬
aus hervorgehende, in das Geschäfts-, wie in das Familien¬
leben vielfach verwobene, innige Verkehr der Westslavcn mit den
Angehörigen anderer Nationen, die seit Jahrhunderten ihre Le¬
bensgefährten sind, ist ein mächtiges Mittel, sie vor nationaler Eng¬
herzigkeit zu bewahren; so wie der Umstand, daß ein Staat, der
alle Slaven umfassen sollte, zugleich die Magyaren und ausgedehnte
deutsche Ansiedlungen verschlingen müßte, und daher nur auf den
Trümmern des europäischen Staatensystems errichtet werden könnte,
den Wunsch nach einer politischen Vereinigung aller Stämme seiner
Nation, auch in der Brust jedes redlichen und einigermaßen gebil¬
deten Slaven niemals entstehen lassen kann."

Graf Thun bringt noch einige andere Gründe vor, welche die
gefürchteten Gefahren des Panslavismus als ein Hirngespinst dar¬
stellen, als: die Verschiedenheit in den Sprachen der Russen und
Serbier, der Polen und Böhmen :c. Aber den Hauptgrund gegen
die Möglichkeit einer slavischen Universalmonarchie, das sicherste Mit¬
tel, alles Mißtrauen gegen die Möglichkeit solcher Gedanken und
Hoffnungen zu zerstreuen, hätte er in den vielfachen Entgegnungen
und in der entschiedensten Zurückweisung suchen können, welche die
Schrift über "die europäische Pentarchie" in Deutschland erfahren
hat. Frankreich ist für Deutschland ein gefährlicher Feind, denn die
Civilisation steht ihm zur Seite. Nicht seine Waffen allein sind es,
was die Regierungen fürchten, sondern seine Theorien, seine verfüh¬
rerische Cultur. Nußland aber könnte sich auf Deutschland nur stür¬
zen, wie die Wandalen auf Rom, keine Intelligenz, keine humanen
Sympathien, kein geschichtlicher Glanz macht ihm Bahn. Es war
eine ungeschickte Vergleichung, wenn unlängst ein Schriftsteller die
Stellung Böhmens zu Oestreich mit der Stellung der Rheinprovinzen
zu Preußen verglich. Böhmen ist mit Oestreich durch Jahrhunderte
zusammengewachsen. Es hat nie einen Theil von Nußland gebildet,


wenn auch Stammverwandte den Zwischenraum zum Theil bevöl¬
kern. Hierdurch sind die Slaven über Länder verbreitet, die durch
ihre ungeheure Ausdehnung die verschiedensten, zum Theil wider¬
sprechendsten materiellen Interessen erzeugen. Zwischen sie hinein ha¬
ben sich andere Völker gelagert, und selbst die Gebiete, welche sie
bewohnen, haben sie nicht im ausschließlichen Besitze. Der hier¬
aus hervorgehende, in das Geschäfts-, wie in das Familien¬
leben vielfach verwobene, innige Verkehr der Westslavcn mit den
Angehörigen anderer Nationen, die seit Jahrhunderten ihre Le¬
bensgefährten sind, ist ein mächtiges Mittel, sie vor nationaler Eng¬
herzigkeit zu bewahren; so wie der Umstand, daß ein Staat, der
alle Slaven umfassen sollte, zugleich die Magyaren und ausgedehnte
deutsche Ansiedlungen verschlingen müßte, und daher nur auf den
Trümmern des europäischen Staatensystems errichtet werden könnte,
den Wunsch nach einer politischen Vereinigung aller Stämme seiner
Nation, auch in der Brust jedes redlichen und einigermaßen gebil¬
deten Slaven niemals entstehen lassen kann."

Graf Thun bringt noch einige andere Gründe vor, welche die
gefürchteten Gefahren des Panslavismus als ein Hirngespinst dar¬
stellen, als: die Verschiedenheit in den Sprachen der Russen und
Serbier, der Polen und Böhmen :c. Aber den Hauptgrund gegen
die Möglichkeit einer slavischen Universalmonarchie, das sicherste Mit¬
tel, alles Mißtrauen gegen die Möglichkeit solcher Gedanken und
Hoffnungen zu zerstreuen, hätte er in den vielfachen Entgegnungen
und in der entschiedensten Zurückweisung suchen können, welche die
Schrift über „die europäische Pentarchie" in Deutschland erfahren
hat. Frankreich ist für Deutschland ein gefährlicher Feind, denn die
Civilisation steht ihm zur Seite. Nicht seine Waffen allein sind es,
was die Regierungen fürchten, sondern seine Theorien, seine verfüh¬
rerische Cultur. Nußland aber könnte sich auf Deutschland nur stür¬
zen, wie die Wandalen auf Rom, keine Intelligenz, keine humanen
Sympathien, kein geschichtlicher Glanz macht ihm Bahn. Es war
eine ungeschickte Vergleichung, wenn unlängst ein Schriftsteller die
Stellung Böhmens zu Oestreich mit der Stellung der Rheinprovinzen
zu Preußen verglich. Böhmen ist mit Oestreich durch Jahrhunderte
zusammengewachsen. Es hat nie einen Theil von Nußland gebildet,


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[0085] wenn auch Stammverwandte den Zwischenraum zum Theil bevöl¬ kern. Hierdurch sind die Slaven über Länder verbreitet, die durch ihre ungeheure Ausdehnung die verschiedensten, zum Theil wider¬ sprechendsten materiellen Interessen erzeugen. Zwischen sie hinein ha¬ ben sich andere Völker gelagert, und selbst die Gebiete, welche sie bewohnen, haben sie nicht im ausschließlichen Besitze. Der hier¬ aus hervorgehende, in das Geschäfts-, wie in das Familien¬ leben vielfach verwobene, innige Verkehr der Westslavcn mit den Angehörigen anderer Nationen, die seit Jahrhunderten ihre Le¬ bensgefährten sind, ist ein mächtiges Mittel, sie vor nationaler Eng¬ herzigkeit zu bewahren; so wie der Umstand, daß ein Staat, der alle Slaven umfassen sollte, zugleich die Magyaren und ausgedehnte deutsche Ansiedlungen verschlingen müßte, und daher nur auf den Trümmern des europäischen Staatensystems errichtet werden könnte, den Wunsch nach einer politischen Vereinigung aller Stämme seiner Nation, auch in der Brust jedes redlichen und einigermaßen gebil¬ deten Slaven niemals entstehen lassen kann." Graf Thun bringt noch einige andere Gründe vor, welche die gefürchteten Gefahren des Panslavismus als ein Hirngespinst dar¬ stellen, als: die Verschiedenheit in den Sprachen der Russen und Serbier, der Polen und Böhmen :c. Aber den Hauptgrund gegen die Möglichkeit einer slavischen Universalmonarchie, das sicherste Mit¬ tel, alles Mißtrauen gegen die Möglichkeit solcher Gedanken und Hoffnungen zu zerstreuen, hätte er in den vielfachen Entgegnungen und in der entschiedensten Zurückweisung suchen können, welche die Schrift über „die europäische Pentarchie" in Deutschland erfahren hat. Frankreich ist für Deutschland ein gefährlicher Feind, denn die Civilisation steht ihm zur Seite. Nicht seine Waffen allein sind es, was die Regierungen fürchten, sondern seine Theorien, seine verfüh¬ rerische Cultur. Nußland aber könnte sich auf Deutschland nur stür¬ zen, wie die Wandalen auf Rom, keine Intelligenz, keine humanen Sympathien, kein geschichtlicher Glanz macht ihm Bahn. Es war eine ungeschickte Vergleichung, wenn unlängst ein Schriftsteller die Stellung Böhmens zu Oestreich mit der Stellung der Rheinprovinzen zu Preußen verglich. Böhmen ist mit Oestreich durch Jahrhunderte zusammengewachsen. Es hat nie einen Theil von Nußland gebildet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/85>, abgerufen am 23.07.2024.