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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Vielen in allem Ernste aufgestellt; den Beweis sind sie unseres Wis¬
sens alle schuldig geblieben. -- Uns scheint eben diese gefürchtet"
Universalmonarchie nichts mehr als ein Gespenst. Wohl muß dem
Gefühle nationaler Verwandtschaft und dem Bande einer gemeinsa¬
men Literatur politische Wichtigkeit zugeschrieben werden. Allein
sie stellen doch gewiß nicht das einzige Moment dar, welches auf
die Abgrenzung der Staaten einwirkt. Den materiellen Interessen,
dann jenen Umständen, welche unabhängig von der subjektiven Be¬
schaffenheit einer Bevölkerung ihre geistigen sowohl als materiellen
Interessen auf das Mannigfachste modificiren: der geographischen
Lage, den Verhältnissen der Stellung zu Nachbarvölkern, endlich der
Macht des geschichtlich Bestehenden müssen wir einen gleichen Ein¬
fluß zugestehen. Deutschland, ein zusammenhängendes, abgerundetes
Gebiet, wird von einem Volke bewohnt, das alle Perioden der
Entwicklung gemeinschaftlich bestanden, unter dem stets nur eine
Sprache geherrscht hat, und doch sehen wir, daß es nicht einen
Staat bildet, sondern sogar aus einem Staat in viele zerfallen ist.
Besteht unter diesen einige politische Gemeinschaft oder ist man der
Meinung, daß sich solche noch in Zukunft herstellen wird?(!) Nicht
eher und nicht mehr werden die deutschen Staaten je ihre Selb¬
ständigkeit aufgeben, als es die Interessen ihrer Völker verlangen,
und immer werden von der politischen Einheit Deutschlands jene
Völker sich ganz lossagen, deren Interessen durch den Anschluß an
einen andern Staat mehr gefördert werden. Nach denselben Gesetzen
wird auch die politische Zukunft der Slaven sich gestalten. Ein
Blick auf die Karte von Europa und in seine Geschichte lehrt uns
aber, daß alle die Umstände, deren Gesammtwirkung nur eben hin¬
gereicht hat, um Deutschland einigermaßen zusammenzuhalten, hin¬
sichtlich der slavischen Völker nicht vorhanden sind. So weit wir
dem Verlaufe der Zeiten nachzuforschen im Stande sind, finden wir
keinen Vereinigungovunkt für alle slavischen Völker, nicht ein den
östlichen Slavenstämmen mit den westlichen gemeinschaftliches Ereig-
niß. Vielmehr sehen wir, daß jeder Stamm seine sociale Entwick¬
lung auf einem eigenen Wege, von den übrigen abgesondert, erlangt
hat. Dem Raume nach sind nicht nur die Böhmen und Jllyrier
weit auseinander gerückt, sondern sowohl die einen als die andern
von den östlichen Stämmen durch eine große Entfernung getrennt,


Vielen in allem Ernste aufgestellt; den Beweis sind sie unseres Wis¬
sens alle schuldig geblieben. — Uns scheint eben diese gefürchtet«
Universalmonarchie nichts mehr als ein Gespenst. Wohl muß dem
Gefühle nationaler Verwandtschaft und dem Bande einer gemeinsa¬
men Literatur politische Wichtigkeit zugeschrieben werden. Allein
sie stellen doch gewiß nicht das einzige Moment dar, welches auf
die Abgrenzung der Staaten einwirkt. Den materiellen Interessen,
dann jenen Umständen, welche unabhängig von der subjektiven Be¬
schaffenheit einer Bevölkerung ihre geistigen sowohl als materiellen
Interessen auf das Mannigfachste modificiren: der geographischen
Lage, den Verhältnissen der Stellung zu Nachbarvölkern, endlich der
Macht des geschichtlich Bestehenden müssen wir einen gleichen Ein¬
fluß zugestehen. Deutschland, ein zusammenhängendes, abgerundetes
Gebiet, wird von einem Volke bewohnt, das alle Perioden der
Entwicklung gemeinschaftlich bestanden, unter dem stets nur eine
Sprache geherrscht hat, und doch sehen wir, daß es nicht einen
Staat bildet, sondern sogar aus einem Staat in viele zerfallen ist.
Besteht unter diesen einige politische Gemeinschaft oder ist man der
Meinung, daß sich solche noch in Zukunft herstellen wird?(!) Nicht
eher und nicht mehr werden die deutschen Staaten je ihre Selb¬
ständigkeit aufgeben, als es die Interessen ihrer Völker verlangen,
und immer werden von der politischen Einheit Deutschlands jene
Völker sich ganz lossagen, deren Interessen durch den Anschluß an
einen andern Staat mehr gefördert werden. Nach denselben Gesetzen
wird auch die politische Zukunft der Slaven sich gestalten. Ein
Blick auf die Karte von Europa und in seine Geschichte lehrt uns
aber, daß alle die Umstände, deren Gesammtwirkung nur eben hin¬
gereicht hat, um Deutschland einigermaßen zusammenzuhalten, hin¬
sichtlich der slavischen Völker nicht vorhanden sind. So weit wir
dem Verlaufe der Zeiten nachzuforschen im Stande sind, finden wir
keinen Vereinigungovunkt für alle slavischen Völker, nicht ein den
östlichen Slavenstämmen mit den westlichen gemeinschaftliches Ereig-
niß. Vielmehr sehen wir, daß jeder Stamm seine sociale Entwick¬
lung auf einem eigenen Wege, von den übrigen abgesondert, erlangt
hat. Dem Raume nach sind nicht nur die Böhmen und Jllyrier
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[0084] Vielen in allem Ernste aufgestellt; den Beweis sind sie unseres Wis¬ sens alle schuldig geblieben. — Uns scheint eben diese gefürchtet« Universalmonarchie nichts mehr als ein Gespenst. Wohl muß dem Gefühle nationaler Verwandtschaft und dem Bande einer gemeinsa¬ men Literatur politische Wichtigkeit zugeschrieben werden. Allein sie stellen doch gewiß nicht das einzige Moment dar, welches auf die Abgrenzung der Staaten einwirkt. Den materiellen Interessen, dann jenen Umständen, welche unabhängig von der subjektiven Be¬ schaffenheit einer Bevölkerung ihre geistigen sowohl als materiellen Interessen auf das Mannigfachste modificiren: der geographischen Lage, den Verhältnissen der Stellung zu Nachbarvölkern, endlich der Macht des geschichtlich Bestehenden müssen wir einen gleichen Ein¬ fluß zugestehen. Deutschland, ein zusammenhängendes, abgerundetes Gebiet, wird von einem Volke bewohnt, das alle Perioden der Entwicklung gemeinschaftlich bestanden, unter dem stets nur eine Sprache geherrscht hat, und doch sehen wir, daß es nicht einen Staat bildet, sondern sogar aus einem Staat in viele zerfallen ist. Besteht unter diesen einige politische Gemeinschaft oder ist man der Meinung, daß sich solche noch in Zukunft herstellen wird?(!) Nicht eher und nicht mehr werden die deutschen Staaten je ihre Selb¬ ständigkeit aufgeben, als es die Interessen ihrer Völker verlangen, und immer werden von der politischen Einheit Deutschlands jene Völker sich ganz lossagen, deren Interessen durch den Anschluß an einen andern Staat mehr gefördert werden. Nach denselben Gesetzen wird auch die politische Zukunft der Slaven sich gestalten. Ein Blick auf die Karte von Europa und in seine Geschichte lehrt uns aber, daß alle die Umstände, deren Gesammtwirkung nur eben hin¬ gereicht hat, um Deutschland einigermaßen zusammenzuhalten, hin¬ sichtlich der slavischen Völker nicht vorhanden sind. So weit wir dem Verlaufe der Zeiten nachzuforschen im Stande sind, finden wir keinen Vereinigungovunkt für alle slavischen Völker, nicht ein den östlichen Slavenstämmen mit den westlichen gemeinschaftliches Ereig- niß. Vielmehr sehen wir, daß jeder Stamm seine sociale Entwick¬ lung auf einem eigenen Wege, von den übrigen abgesondert, erlangt hat. Dem Raume nach sind nicht nur die Böhmen und Jllyrier weit auseinander gerückt, sondern sowohl die einen als die andern von den östlichen Stämmen durch eine große Entfernung getrennt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/84>, abgerufen am 23.07.2024.