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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Interesse ist es ja und sein Beruf, für jede Freiheit das Gesetz, die
gesellschaftliche Form und Ordnung aufzuweisen. Diese Freiheit, die
des Denkens und Lehrers, die wir in den politisch freiesten Ländern
nicht immer ungefährdet sehen, ist ein Gut, in dessen Besitz und
Gebrauch nicht leicht ein anderes Volk mit dem Deutschen wetteifern
kann. Es sei erlaubt, hieran zu erinnern, da wir selbst Stimmen
haben vernehmen müssen, die für uns Deutsche das Unterrichtsgesetz
eines fremden Landes zum Muster aufstellen. Wie oft hören wir
nicht Klagen und Besorgnisse laut werden, über die Rückschritte,
über den vermeinten Verfall unserer Universitäten. Wir geben den
unzufriednen Richtern und Tadlern im deutschen Vaterlande zu be¬
denken, daß bei uns die Lehrfreiheit in einem hohen Grade, wie bei
keinem andern Volke, geübt wird. Aller ernsten Forschung, sofern
sie nicht vorschnell über das Reich des Wissens hinausgreift, stehen
in Deutschland Lehrwege offen; jedes System, jede Methode findet
auf unseren Universitäten einen Spielraum. Hindernisse und Ein¬
schränkungen, die hier und da vorfallen, Ausnahmen in diesem oder
jenem Staate, auf einzelnen Hochschulen, die im Nachtrabe stehe",
beweisen nichts gegen einen Zustand, der allgemein zu fassen ist.
Wenn die theologische Facultät in Bonn einem Docenten das Recht
des akademischen Vertrags entzieht, so ist daS freilich keiner von
den Fällen, nach denen wir uns eine allgemeine Ansicht über den
Zustand des deutschen Universitätswesens bilden wollen. Die theo¬
logischen Facultäten befinden sich überdies in einer ganz verschiedenen
Lage gegen die andern; sie können, streng genommen, einen Ge¬
lehrten, der die Fundamente ihrer Wissenschaft positiv verneint, in
ihrem Schooße nur dulden, nicht aber eigentlich zu sich rechnen;
denn ein solcher Gelehrter ist, in Folge seines Standpunktes bereits
in die Sphäre der philosophischen Wissenschaften hinübergeschritten.-
Wo fände sich nur das Land, wo wie in den Theilen von Deutsch¬
land, welche in der geistigen Welt den Ton angeben, gradezu ent¬
gegengesetzte Lehrsysteme öffentlich und im Dienste des Staates verkün¬
det werden, sowie z. B. in Berlin Savigny und Gans zusammen
lehrten, oder in Halle, wo neben dem Pietismus und der heftigsten
Orthodorie sowohl die ältern als die neuern radikalsten Nationalisten
den Katheder inne hatten. Sogar das historisch-gesinnte Göttingen
kann sich in diese Reihe stellen. Was würde dagegen Orford zu


Interesse ist es ja und sein Beruf, für jede Freiheit das Gesetz, die
gesellschaftliche Form und Ordnung aufzuweisen. Diese Freiheit, die
des Denkens und Lehrers, die wir in den politisch freiesten Ländern
nicht immer ungefährdet sehen, ist ein Gut, in dessen Besitz und
Gebrauch nicht leicht ein anderes Volk mit dem Deutschen wetteifern
kann. Es sei erlaubt, hieran zu erinnern, da wir selbst Stimmen
haben vernehmen müssen, die für uns Deutsche das Unterrichtsgesetz
eines fremden Landes zum Muster aufstellen. Wie oft hören wir
nicht Klagen und Besorgnisse laut werden, über die Rückschritte,
über den vermeinten Verfall unserer Universitäten. Wir geben den
unzufriednen Richtern und Tadlern im deutschen Vaterlande zu be¬
denken, daß bei uns die Lehrfreiheit in einem hohen Grade, wie bei
keinem andern Volke, geübt wird. Aller ernsten Forschung, sofern
sie nicht vorschnell über das Reich des Wissens hinausgreift, stehen
in Deutschland Lehrwege offen; jedes System, jede Methode findet
auf unseren Universitäten einen Spielraum. Hindernisse und Ein¬
schränkungen, die hier und da vorfallen, Ausnahmen in diesem oder
jenem Staate, auf einzelnen Hochschulen, die im Nachtrabe stehe»,
beweisen nichts gegen einen Zustand, der allgemein zu fassen ist.
Wenn die theologische Facultät in Bonn einem Docenten das Recht
des akademischen Vertrags entzieht, so ist daS freilich keiner von
den Fällen, nach denen wir uns eine allgemeine Ansicht über den
Zustand des deutschen Universitätswesens bilden wollen. Die theo¬
logischen Facultäten befinden sich überdies in einer ganz verschiedenen
Lage gegen die andern; sie können, streng genommen, einen Ge¬
lehrten, der die Fundamente ihrer Wissenschaft positiv verneint, in
ihrem Schooße nur dulden, nicht aber eigentlich zu sich rechnen;
denn ein solcher Gelehrter ist, in Folge seines Standpunktes bereits
in die Sphäre der philosophischen Wissenschaften hinübergeschritten.-
Wo fände sich nur das Land, wo wie in den Theilen von Deutsch¬
land, welche in der geistigen Welt den Ton angeben, gradezu ent¬
gegengesetzte Lehrsysteme öffentlich und im Dienste des Staates verkün¬
det werden, sowie z. B. in Berlin Savigny und Gans zusammen
lehrten, oder in Halle, wo neben dem Pietismus und der heftigsten
Orthodorie sowohl die ältern als die neuern radikalsten Nationalisten
den Katheder inne hatten. Sogar das historisch-gesinnte Göttingen
kann sich in diese Reihe stellen. Was würde dagegen Orford zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/70>, abgerufen am 23.07.2024.